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Rede zur zweiten Lesung des 6. Altenbericht der Bundesregierung

Rede von Heidrun Dittrich,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hören Sie auf, über Demografie zu reden. Das lenkt von den wirklichen Problemen ab. Die Tatsache, dass es mehr ältere Menschen gibt, erzwingt keinen Sozialabbau, sondern Ihre Regierungspolitik, die Steuersenkungen für die Reichen und Geldgeschenke an die Großbanken im Euro-Raum vorsieht, erzwingt einen Abbau des Sozialstaates. Das lehnt die Linke ab.


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach (CDU/CSU))


Im Sechsten Altenbericht der Bundesregierung geht es um Altersbilder. In Wirklichkeit sind diese Altersbilder umkämpft; denn es gibt verschiedene Ältere: arme und reiche. Der Daimler-Chef Dieter Zetsche erhält 29,6 Millionen Euro als Gesamtrente. Er hat einen Vertrag ausgehandelt, nach dem er bereits mit 60 Jahren in Rente gehen kann. Ein anderer Topverdiener, der Deutsche-Post-Chef Frank Appel, kann sogar mit 55 Jahren in Rente gehen. Seine Rentenzusage liegt bei insgesamt 7,2 Millionen Euro. Nachlesen können Sie das in einem Artikel vom 22. April dieses Jahres auf Spiegel Online. Warum können die Superreichen mit 55 Jahren in Rente gehen und die Beschäftigten nicht?


(Beifall bei der LINKEN)


Dass ein früherer Renteneintritt möglich wäre, zeigt sich in Frankreich. Der neu gewählte Präsident Hollande von der sozialistischen Partei erklärte, dass er das Renteneintrittsalter von 62 Jahren wieder auf 60 Jahre senken werde.


(Eckhard Pols (CDU/CSU): Noch ist es aber nicht so weit! Markus Grübel (CDU/CSU): Darum sind die so erfolgreich bei der Arbeitslosigkeitsbekämpfung und bei der Haushaltssanierung!)


Das fordert auch die Linke in ihrem Parteiprogramm.
Auf dem 10. Deutschen Seniorentag sagte die Seniorenministerin, Frau Schröder: Hurra, wir werden alt!


(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Recht hat sie!)


Sie nennt als Beispiele für die Vielfalt im Alter den Großvater im Rollstuhl und die Großmutter auf Rollschuhen. Das sagt leider nichts über die finanzielle Lage dieser älteren Dame und des älteren Herrn aus.
Der Bundespräsident verkündete am selben Tag am selben Ort, dass wir für die geschenkten Jahre, die wir länger leben, dankbar sein dürfen. Ich frage Sie: Wem gehört die freie Zeit, den Älteren oder der Wirtschaft? Warum sollen die Beschäftigten dankbar sein? Sie haben diesen Staat schließlich aufgebaut. Die arbeitende Bevölkerung hat in die gesetzliche Krankenkasse und in die Rentenversicherung eingezahlt. Dadurch wurde eine Gesundheitsvorsorge möglich, durch die die Menschen länger leben können. Leider wird sie seit Jahren verteuert. Ich erinnere an die unsägliche Praxisgebühr von 10 Euro, die gerade Geringverdiener von notwendigen Arztbesuchen abhält. Die Linke hat vor zwei Wochen im Bundestag beantragt, die Praxisgebühr abzuschaffen. Leider wurde das hier mit Mehrheit abgelehnt. Aber das interessiert Senioren wirklich.


(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Fordern Sie Mindestlohn für Senioren?)


Der Sechste Altenbericht hat nicht den Auftrag, die soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Männern und Frauen zu erforschen. Die Betonung der Facetten und der Vielfalt verdeckt geradezu die grandiose Spaltung zwischen Arm und Reich. Aber gerade damit muss sich die Bundesregierung aus meiner Sicht befassen.


(Beifall bei der LINKEN)


In Deutschland sind durch Ihre Politik 3,9 Millionen Frauen in Minijobs; sie können nur unzureichend Rentenanwartschaften erwerben. Sie sind besonders gefährdet. Wer garantiert denn, dass sie einen Partner haben, der sie mitversorgt? Frauen verdienen im Durchschnitt 23 Prozent weniger als Männer. Dieser Einkommensunterschied steigt in der Rente auf 60 Prozent an.
In einer Studie über die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen, geboren zwischen 1955 und 1964, steht, dass die monatlichen Renten in dieser untersuchten Babyboomer-Generation im Westen bei im Durchschnitt 700 Euro und im Osten bei im Durchschnitt 680 Euro liegen. Das ist Grundsicherungsniveau. Das ist Hartz IV im Alter. Die Hälfte der Frauen in Westdeutschland hat sogar eine gesetzliche Rente von unter 600 Euro. Sie sind auf jeden Fall auf Sozialleistungen angewiesen. Deswegen fordert die Linke, dass es Frauen ermöglicht wird, in tariflich gut bezahlten Berufen ausreichende eigenständige Rentenanwartschaften zu erwerben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür brauchen wir vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wer keine Kindergärten finanziert, wer keine Erzieherinnen einstellt, der verweigert den Frauen die Ernährerinnenrolle, er verweigert ihnen den Aufbau einer eigenen Rente. Wir brauchen Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro. Weg mit den Minijobs!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen die Wiederherstellung der Lebensstandardsicherung in der Rente und eine solidarische Mindestrente von mindestens 900 Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Die soldarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wäre finanzierbar - Sie wissen es -, wenn die Ackermänner der Welt, die Beamten und die Bundestagsabgeordneten einzahlen würden.


(Zuruf des Abg. Jens Ackermann (FDP))


Das wäre Solidarität und nicht nur Solidarität der Beschäftigten untereinander.
Sie sagen: Die Menschen sollen für die geschenkten Jahre dankbar sein, sie sollen dankbar dafür sein, dass sie einen Sozialstaat aufbauen konnten, an dem - ich erinnere daran - seit der Agenda 2010, seit Rot-Grün - diese Regierung setzt das fort -, kräftig gesägt wird. Irgendjemand muss den sozialen Zusammenhalt ja organisieren, aber es darf nichts mehr kosten.


Das Ehrenamt wird auf Verlängerung der Altersgrenzen untersucht. Es geht dabei nicht darum, das Leben im Alter selbstbestimmt zu genießen, sondern darum, in der sozialen Arbeit eingesetzt zu werden. Der Bundesfreiwilligendienst und der Freiwilligendienst aller Generationen - das unterstützen außer der Linken Sie alle hier im Bundestag - überschreiten die Altersgrenze und öffnen die Schleusentore zum Arbeiten im Alter, um überhaupt noch Teilhabe erlangen zu können. Wir meinen: So geht das nicht.


(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): Eine schräge Vorstellung!)


Dabei geht es nicht um die Potenziale der Älteren, die man heben sollte. Dabei geht es nicht um die individuelle Entwicklung der Menschen. Vielmehr geht es dabei um Folgendes - so müssen wir hier jedenfalls befürchten -: Wer als Ehrenamtlicher länger arbeiten kann, der kann es auch als Arbeitnehmer. Das lehnt die Linke ab. Wir bestehen auf einem gesetzlichen Renteneintrittsalter.


Dass ältere Menschen, vor allem Frauen, schon jetzt gezwungen sind, zu ihrer Rente dazuzuverdienen, macht die Sache doch nicht besser. Das ist ein Skandal. Sie können das nicht schönreden, indem Sie sagen, dass die Menschen länger arbeiten wollen. Sie müssen länger arbeiten. Von einem neuen Altenbericht erwarte ich, dass man sich darin realistisch mit der Lage der Menschen auseinandersetzt, dass darin Vorschläge gemacht werden, wie die Regierung die Lage der armen Frauen im Alter verbessert, und dass darin auch die Situation von Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Behinderungen beachtet wird. Denn aus Sicht der Linken haben alle das Recht auf ein abgesichertes Alter in Würde.


(Beifall bei der LINKEN - Florian Bernschneider (FDP): Ganz schön peinlich war das!)