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Rede zum Vertragsartzrechtsänderungsgesetz

Rede von Frank Spieth,

Gehalten am 27.10.2006 in der gesundheitspolitischen Debatte

Es gilt das gesprochene Wort, hier eine Vorab-Version:

Begrüßung

Mit dem heute hier zu behandelnden Vertragsarztrechtsänderungsgesetz will die Bundesregierung u. a. dem Ärztemangel - der insbesondere in großen Teilen der neuen Bundesländer sich weiter zu verschlimmern droht - begegnen und gleichzeitig die Voraussetzungen für die Gründung medizinischer Versorgungszentren verbessern.

Diese Ziele und die dafür vorgeschlagenen Instrumente werden von uns in weiten Teilen begrüßt, wobei ich nicht verhehle, dass wir uns die eine oder andere Präzisierung gewünscht hätten. Diese haben sie im Ausschuss weggestimmt.

Die von Ihnen vorgeschlagene Flexibilisierung und Liberalisierung bei der Zulassung von Ärzten ergibt doch nur als Ausnahmereglung für unterversorgte Gebiete Sinn. Bei Ihrem Vorschlag besteht die Gefahr, dass dort, wo viele Ärzte sind und man von Voll- oder Überversorgung reden kann, noch mehr Ärzte hinzukommen. Aber dort wo Ärzte fehlen, wird keine wesentliche Verbesserung erreicht werden und die Wege und die Wartezeiten der Patienten zum Arzt werden noch länger werden.

Die Gefahr ist riesengroß, dass gerade in den ländlichen Regionen Deutschlands - dies gilt für Ost/ West/Nord und Süd gleichermaßen - hausärztliche Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann.

Deshalb wünschte ich mir, sie hätten sich unseren konkreten Vorschlägen der Begrenzung auf diese Gebiete angeschlossen. Leider haben sie dies abgelehnt.

Wir hätten trotz der geäußerten Bedenken, gerade wegen der wichtigen berufsrechtlichen Verbesserungen für Ärzte sowie der Verlängerungen der integrierten Versorgung und der Bekräftigung der Absicht einer weiteren Errichtung von medizinischen Versorgungszentren gerne zugestimmt.

Sie haben uns diese Zustimmung unmöglich gemacht, weil sie am vergangenen Mittwoch im „Hauruck Verfahren“ Änderungsanträge zur Entschuldung der Krankenkassen eingebracht haben, die mit dem Inhalt des vorgelegten Gesetzes überhaupt nichts zu tun haben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sie dieser brisanten Angelegenheit möglichst wenig Debattenraum zugestehen wollen.

Damit sie ihren Gesundheitsfond am 01. Januar 2009 starten können, schieben sie eine Entschuldungsregelung in dieses Gesetz, die nach meiner festen Überzeugung mit ihren weit reichenden Folgen von ihnen nicht überschaut wird. Sie wollten eine Entschuldung innerhalb eines Jahres.

Die von der Opposition durchgesetzte Anhörung am Montag mit Krankenkassen und ihren Verbänden hat deutlich gemacht, dass damit bei der AOK in Berlin und im Saarland Beitragssätze von über 21 % erforderlich gewesen wären. Mecklenburg/Vorpommern wären mit
17 % und Rheinland/Pfalz mit rund 18% dabei.

Diese Beitragssätze würden das sofortige Aus der jeweiligen AOK bedeuten, denn jeder Versicherte, der die Grundrechenarten beherrscht, würde sofort zu einer anderen Krankenkasse wechseln.

Sie wollen die extremen Beitragssprünge damit vermeiden, dass sie die Entschuldungszeit in Ausnahmefällen bis 2008 strecken und gleichzeitig Umlagen in der jeweiligen Kassenart erheben. Dieses Verfahren ist auch im jetzigen Recht schon vorgesehen, aber nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gekommen. Jetzt wird es zur Regel mit der Folge, dass alle AOKen die Beitragssätze um
1-2,5 % erhöhen müssen.

Damit besteht nicht nur die Gefahr, dass eine einzelne Krankenkasse geschlossen werden muss, sondern wegen zu hoher und nicht wettbewerbsfähiger Beitragssätze die gesamte AOK aus der Kassenlandschaft verschwindet. Dies kann man ja wollen, aber darüber muss dann auch debattiert werden und das darf nicht nebenbei mit einem Änderungsantrag beschlossen werden.

Dazu kommt, dass sie die Absicht haben, ab 2008 die Insolvenzfähigkeit von Krankenkassen einzuführen. Die dramatischen Konsequenzen dieser Regelung sind Ihnen offenkundig überhaupt nicht klar. Allein durch die Altersversorgungszusagen entstehen milliardenschwere Forderungen. Diese müssen in die Bilanz einer Krankenkasse aufgenommen werden; das bedeutet für den Großteil der Versorgerkassen die sofortige Zahlungsunfähigkeit. Deshalb sage ich Ihnen angesichts des hier anfallenden mehrstelligen Milliardenbetrages, voraus, dass der handwerkliche Pfusch von Hartz IV nur ein zartes Lüftchen angesichts des Sturms und der Katastrophe, die sie damit anrichten.

Außerdem frage ich sie: Wer zahlt im Konkursfall die verbleibenden Rechnungen von Ärzten, Apothekern, Orthopädieschuhmachermeistern und anderen Leistungserbringern, da für diese niemand eintreten wird? Wollen Sie auch diese Beteiligten in den Konkursstrudel treiben?

Die Versicherten und Patienten können zwar in anderen Krankenkassen untergebracht werden, aber welche Folgen damit verbunden sind und ob dies zu ihrem Vorteil ist, ist vollkommen unklar.

Ich halte dieses Vorhaben für unverantwortlich. Ich bin dafür, dass wir konsequent auf eine Entschuldung der Krankenkassen hinarbeiten, aber mit einem Entschuldungskonzept in dem Anstrengungen der Kasse, der Kassenart, aber auch des Bundes mit einbezogen werden.

Die Verschuldung der Kassen ist nicht auf deren unwirtschaftliches Verhalten zurückzuführen, sondern ganz entschieden durch politische Vorgaben verursacht. Sie haben zwar 1996 den Risikostrukturausgleich eingeführt, damit werden aber nicht die unterschiedlichen Belastungen aus den Gesundheitsrisiken ausgeglichen. Einige AOKen haben einen Mitgliederanteil an der Bevölkerung von
35 % , aber über 60 % der Krankenhauskosten im Land zu bezahlen. Dafür sind sie nicht verantwortlich. Wenn dies nicht ausgeglichen wird, kann die entsprechende Krankenkasse der Schuldenfalle nicht entkommen, so gut sie auch wirtschaften mag.

Sie haben, Frau Ministerin Schmidt, sehenden Auges diese Entwicklung zugelassen, Sie haben den im Jahre 2004 im Bundestag beschlossenen krankheitsorientierten Risikostrukturausgleich durch Unterlassung einer Rechtsverordnung nicht in Kraft gesetzt. Damit tragen sie auch politisch Verantwortung.

Sie haben noch im März dieses Jahres der Öffentlichkeit suggeriert, dass die Verschuldungsprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung gelöst seien. Sie sagten wörtlich in einer Presseerklärung : „…die gesetzliche Krankenversicherung hat einen Überschuss von 1,78 Mrd. € erzielt. Das sind rund 800 Mill. mehr als nach voreiligen Spekulationen in der vergangenen Woche vermutet wurde.
Damit konnte die Nettoverschuldung des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung bis 2005 vollständig abgebaut werden…“

Ich habe 3 Tage später darauf hingewiesen, dass sie absichtsvoll die finanzielle Entwicklung falsch darstellen, dass die großen Versorgerkassen, die Versicherte mit geringem Einkommen aber großen Gesundheitsrisiken versichern, überhaupt noch nicht finanziell konsolidiert sind. Aus ihrem Haus danach aber Schweigen im Walde.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum sie, der Bund und die Länder in finanzieller Verantwortung sind. Nach der von Rot/Grün durchgeführten letzten Gesundheitsreform mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz, mit dem Zuzahlungen, Eintrittsgebühren und Leistungsausgrenzungen für Versicherte verbunden waren, haben sie enormen Druck auf die Krankenkassen ausgeübt, die Beiträge zu senken.

Sie wollten beweisen, dass es neben den Belastungen der Patienten auch zu Entlastungen bei den Beiträgen kommt. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen, im Gegenteil.

Einige Länder wie beispielsweise Rheinland/Pfalz haben im Zusammenhang mit den Landtagswahlen obendrein noch zusätzlich Druck auf Krankenkassen gemacht, die erforderlichen Beitragserhöhungen auf einen Termin nach den Landtagswahlen zu verschieben.

Jetzt den betroffenen Krankenkassen die Pistole auf die Brust zu setzen, ist deshalb unverantwortlich und geht über die berühmte Hutschnur, des Hutes den sie angesichts ihrer politischen Verantwortung nehmen müssten, Frau Ministerin Schmidt.

Wir schlagen deshalb dem Deutschen Bundestag vor, zu beschließen, eine Entschuldung unter anderem über Steuern vorzunehmen. Die Mittel dafür sind vorhanden. Denn sie wollen den Krankenkassen 2,7 Mrd. € im Jahr 2007 aus der Tabaksteuer wegnehmen. Zur Entschuldung wäre dieser Betrag völlig ausreichend

Ihren Vorschlag der Entschuldung lehnt meine Fraktion ab.
Deshalb werden wir gegen ihren Gesetzentwurf stimmen.