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Rede zum Einzelplan 17, Haushaltsdebatte 2014

Rede von Jörn Wunderlich,

 

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Haushaltspolitik: Sie wird auch die Königsdisziplin der Politik genannt. Im Haushalt werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Die Frage bleibt: Wie werden die Weichen gestellt, und wohin soll die Fahrt gehen?

Für die Jugendverbände gibt es in diesem Haushalt einen Aufwuchs von 1 Million Euro. Das ist schön.

                                (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Aber woher kommt das Geld? Und wo bleibt bei den Haushaltsüberlegungen und ‑beschlüssen die Aufgabe der Bekämpfung der Kinderarmut? Das vermisse ich durch die Bank weg. Die Kinderstudie von World Vision hat 2013 festgestellt, dass sich ein Fünftel der Kinder abgehängt fühlt und dass sich Kinder am meisten wünschen, dass die Eltern ordentliche Arbeit haben.

Frau Schwesig, Sie haben gestern Abend beim ASB noch betont, wie wichtig Familieneinkommen ist und dass Kinderarmut damit zusammenhängt. Dass Kinder die Spirale der Elternarmut fortsetzen, wissen wir schon lange. Seit 2005 ‑ seit ich im Bundestag bin ‑ höre ich die entsprechenden Debatten. Seit 2005 hoffen die Menschen im Lande auf eine veränderte Politik, die aus der Spirale der Armut herausführt. Sie hoffen auf eine Politik, die Wege aufzeigt, davon wegzukommen, dass die Aufgaben im Gemeinwesen, ob Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit, Kultur oder was auch immer, stets auf den Kostenfaktor reduziert werden.

Seit 2005 hat sich nichts wesentlich geändert. Weder seinerzeit die Große Koalition noch Schwarz-Gelb haben etwas zum Besseren verändert.

                  (Sönke Rix (SPD): Na, na, na! ‑ Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Sie reden wirr!)

Gut, das Elterngeld und den Kitaausbau. Aber die Kinderarmut ist gewachsen.

           (Sönke Rix (SPD): Wir führen den Mindestlohn ein, damit die Familien mehr Geld im Portemonnaie                                             haben! - Weiterer Zuruf: Betreuungsgeld!)

Zum Betreuungsgeld wollte ich heute eigentlich nichts sagen.

Noch immer kann sich Deutschland nicht als das familienfreundliche Land in Europa präsentieren. Kinder sind nach wie vor ein Armutsrisiko. An der Bekämpfung der Kinderarmut wird nur marginal herumgewerkelt. Nicht umsonst wünschen sich die achtjährigen Kinder nach der Studie von World Vision am meisten, dass die Eltern eine existenzsichernde Arbeit haben. Die Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland ist nach wie vor Antwort der Menschen auf Ehrlichkeit und Verlässlichkeit in der Familienpolitik.

Schon Frau von der Leyen hat damals immer wieder Wert darauf gelegt und betont, den Kindern, die nicht auf der Sonnenseite, sondern auf der Schattenseite des Lebens geboren werden, eine besondere Hilfe zukommen lassen zu wollen. Leider vermisse ich seit 2005 bis heute irgendwelche Aussagen dazu, was die Regierung konkret bereit ist zu unternehmen, um die gesellschaftlichen Ursachen der Probleme zu beseitigen. Kinderarmut ist eines der wesentlichen Probleme in unserer Gesellschaft. Die Ursachen müssen angegangen werden.

                                         (Beifall bei der LINKEN)

Immer mehr Kinder sind armutsgefährdet. Ich frage Sie: Was wollen Sie dagegen unternehmen? Immer mehr Senioren stehen inzwischen bei den „Tafeln“ an. Was wollen Sie dagegen unternehmen? Immer mehr Alleinerziehende sind von Armut bedroht oder betroffen. Was wollen Sie dagegen unternehmen? Eine Antwort darauf gibt jedenfalls der Haushalt nicht her. Ich nenne als Beispiel den Kinderzuschlag als ein wirksames Mittel der Armutsbekämpfung. Im Entwurf für 2014 wurden noch etwa 379 Millionen Euro veranschlagt. Das waren schon circa 8 Millionen Euro weniger als im Jahr zuvor. Ich wäre froh gewesen, wenn es bei diesen 8 Millionen Euro geblieben wäre. Aber im Haushaltsausschuss wurde er am 7. Mai auf Antrag der Koalition um weitere 11 Millionen Euro gekürzt. In der Bereinigungssitzung wurde er auf Antrag der Koalitionäre erneut um 14,6 Millionen Euro gekürzt.

                          (Sönke Rix (SPD): Aber nicht bei den gesetzlichen Leistungen!)

33,7 Millionen Euro weniger! Dieses Geld würde für die Armutsbekämpfung dringend gebraucht. Eigentlich hätte der Kinderzuschlag ausgebaut werden müssen, damit er mehr Familien erreicht.

                                        (Beifall der Abg. Karin Binder (DIE LINKE)

        (Sönke Rix (SPD): Seien Sie doch froh, dass weniger Menschen Kinderzuschlag benötigen!)

Der Ausbau des Kinderzuschlags ist und bleibt eine Forderung der Linken; denn Kinderarmut kann sich Deutschland nicht leisten.

Immerhin wissen wir, woher die Mittel für die Jugendverbände und den Fonds „Heimerziehung in der DDR“ kommen. Dass die Mittel für den Fonds „Heimerziehung in der DDR“ aufgestockt werden, findet unsere volle Unterstützung. Aber dass die Finanzierung im Einzelplan 17 auf Kosten des Kindergeldes/Kinderzuschlags erfolgt, ist unerhört. Der Fonds gehört in den Einzelplan 60 ‑ Allgemeine Finanzverwaltung ‑, da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Solange nur im eigenen Haushaltsplan umgeschichtet wird oder Mittel bei den Betroffenen im ALG-II-Bezug nicht ankommen wie Unterhaltsvorschuss, Elterngeld oder Betreuungsgeld ‑ das alles wird angerechnet ‑, kann man sich den Aufwuchs schönreden, wenn im Haushalt des Arbeitsministeriums entsprechende Einsparungen entstehen. Bis heute haben wir von der Regierung keine Antwort bekommen, wie hoch die Einsparungen bei Arbeit und Sozialem sind. Die Betroffenen jedenfalls haben davon nichts.

Konkret vermisse ich echten Gestaltungswillen zur Verhinderung von Armut. Keiner darf gezwungen sein, sein Einkommen oder seine Rente durch das Sammeln von Leergut aus Mülltonnen aufzubessern, wie wir es tagtäglich immer häufiger an den S-Bahn-Stationen erleben können. Aber dafür muss man erst einmal S-Bahn-Stationen aufsuchen und darf die Augen nicht vor der Realität verschließen.

Um auf die Alleinerziehenden zurückzukommen: Es verwundert sehr, dass Alleinerziehende mit gemeinsamem Sorgerecht von den Bonusmonaten des ElterngeldPlus ausgeschlossen werden sollen. Dies läuft dem im letzten Jahr hier in diesem Haus verabschiedeten Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge völlig zuwider. Auch die sogenannte Klarstellung bei den Mehrlingsgeburten bedarf einer Richtigstellung. Es sollte doch so sein, dass pro Kind ein Elterngeldanspruch besteht und nicht pro Geburt. Die jetzige Klarstellung soll unter Ausschluss von Elterngeldansprüchen 100 Millionen Euro sparen. Sparpolitik ist aber verfehlte Familienpolitik. Und warum immer bei der Familie? Ich kenne da ganz andere Politikfelder. Aber der Verteidigungsetat steht heute nicht auf der Tagesordnung.

Gewalt gegen Frauen ist ein weiterer wesentlicher Punkt. Nach wie vor ist ungeklärt, wie die bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern aussehen soll. Die Linke fordert nach wie vor einen Rechtsanspruch auf Schutz und eine bundeseinheitliche Finanzierung. Ich will nur drei Beispiele nennen, um die Dramatik zu verdeutlichen. 2005 gab es in Bayern jährlich noch knapp 13 000 Fälle häuslicher Gewalt. 2013 waren es schon 20 000, 80 Prozent davon weibliche Opfer. In 34 Prozent der Fälle mussten Kinder Gewalt miterleben oder waren Zeugen der Gewalt. In Köln gibt es gerade einmal zwei Frauenhäuser mit 46 Betten. Jährlich werden tausend Frauen mit ihren Kindern wegen Überfüllung abgewiesen. In Heilbronn dürfen Frauenhäuser von Gewalt betroffene Frauen nicht mehr aufnehmen, wenn sie aus Nachbargemeinden kommen, und zwar aus Kostengründen. Das muss beendet werden. Hier muss Abhilfe her.

                                                               (Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin Schwesig, Sie haben angekündigt, dass Sie sich stark bei den Ländern einbringen werden, um zu einer Lösung zu kommen. Da wir schon einmal bei den Ländern sind: Der Aufbau der Strukturen in den Ländern hinsichtlich Beratungsangeboten der Antidiskriminierungsstelle müsste dringend fortgeführt werden. Dafür braucht Frau Lüders mehr Geld. Ich frage Sie: Warum wird ihr das nicht zur Verfügung gestellt?

Zum Rechtsextremismus wird mein Kollege gleich bestimmt noch Ausführungen machen. Ich weiß nur: Die 1,5 Millionen Euro Aufwuchs reichen jetzt nicht aus. 50 Millionen Euro wären eigentlich notwendig gewesen. Ich denke, wir alle wissen, an welcher der Regierungsparteien dieser Ansatz gescheitert ist. Manchmal hat man eben Pech mit Partnern. Aber: Am Ende wird alles gut, und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende. ‑ Oscar Wilde.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

                                                              (Beifall bei der LINKEN)