Zum Hauptinhalt springen

Rede zum Arbeitsprogramm der EU Kommission

Rede von Alexander Ulrich,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Roth, hier wurde schon über den Titel des Arbeitsprogramms diskutiert. Ich denke, eigentlich müssten wir das Arbeitsprogramm mit der Frage „Wie führt man Europa aus der Krise?“ überschreiben.
Wenn man sich die Ereignisse dieses fast abgelaufenen Jahres vor Augen führt Stichworte: Georgien-Konflikt, Mittelmeerunion, Finanzmarktkrise, Barcelona-Prozess, Umgang mit dem Nein der Iren , dann muss man feststellen, dass sich Europa in den letzten Jahren, wenn es um die Bewältigung von Krisen ging, nur sehr selten so wenig einig gezeigt hat. Das hat auch dazu geführt, dass die Menschen immer mehr Abstand zu diesem Europa gewinnen. Sie haben keinen Glauben mehr daran, dass dieses Europa, die europäischen Regierungen und die Europäische Kommission handlungsfähig sind und die Bevölkerungen der Länder Europas aus der Krise führen können.
Eigentlich hätte man sich dieses Papier sparen können. Denn was wollen wir noch erwarten? In einem halben Jahr finden Europa-Wahlen statt. Die Kommission weiß, dass sie sich im Prinzip in ihrer Abschluss- bzw. Ehrenrunde befindet. Bald wird es eine neue Kommission geben. Von der jetzigen Kommission können wir im nächsten Jahr nicht mehr viel erwarten. Wir können nur hoffen, dass sie Wege aufzeigt, wie die genannten Probleme gelöst werden können. Dass keiner meiner Vorredner das Nein der Iren angesprochen hat, zeigt, dass auch wir diese Probleme nicht richtig wahrnehmen.
Es ist noch nicht allzu lange her, da haben auch Sie die deutsche Bundeskanzlerin dazu beglückwünscht, dass sie es während der deutschen Ratspräsidentschaft geschafft habe, die europäischen Verträge zu retten. Ich glaube, damals hat man zu früh applaudiert. Denn heute wissen wir, dass wir aus dieser Sache nicht einfach dadurch herauskommen, dass wir die Iren so lange abstimmen lassen, bis das Ergebnis stimmt.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Sie sind doch sowieso gegen den Vertrag! - Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Sie sind doch sowieso gegen Lissabon! Sie wollen das doch gar nicht!)
Langsam frage ich mich: Wo bleiben die Vorschläge, die eure Fraktionen der EU-Kommission zur Lösung dieses Problems vorlegen wollen? Die Situation ist relativ einfach wir haben das schon vor zwei Jahren gesagt : Man wird für diese Verträge keine Mehrheit bekommen. Dort, wo Volksabstimmungen durchgeführt wurden, wurden sie abgelehnt. Hinzu kommt, dass Sie sich jetzt auch noch in den von Ihnen selbst geschaffenen Konflikten verfangen haben.
Sie haben gesagt: Es wird zusätzliche Beitritte nur bei einem neuen EU-Vertrag geben. Jetzt klopfen die kleineren Länder an die Tür. Was machen Sie nächstes Jahr? Ich höre von den Koalitionsfraktionen und der Regierung keinen Vorschlag, und ich höre auch nichts dazu, wie die Kommission damit umgehen will. Es herrscht nur Zerstrittenheit.
Ich glaube, dass das zu wenig sein wird und dass die deutsche Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit schuld daran sind, dass Europa in diese Krise hineingeführt worden ist. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat einen großen Anteil daran gehabt.
(Beifall bei der LINKEN Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Sie haben den Vertrag doch abgelehnt! Hans Peter Thul (CDU/CSU): Die Kommunisten in Berlin waren die einzigen, die Nein gesagt haben!)
Wir haben Nein zu diesem Vertrag gesagt und befinden uns damit in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung. Überall dort, wo im letzten Jahr abgestimmt worden ist, wurde mit Nein gestimmt.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Quatsch! Michael Roth (Heringen) (SPD): Falsch!)
Würde in Deutschland abgestimmt werden, dann würden diese Verträge auch abgelehnt werden, weil auch die deutsche Bevölkerung weiß: Ein neoliberales Europa gehört nicht auf die Tagesordnung.
(Beifall bei der LINKEN Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Objektiv falsch! Keine Kenntnis der Abstimmung!)
Kollege Löning, euren Antrag finde ich in Ordnung. Wir werden ihm auch zustimmen. Ich bin einmal gespannt, ob die CDU/CSU ihm auch dann noch zustimmen wird, wenn wir zustimmen, weil wir ja aus der letzten Woche wissen, dass sie lieber einen eigenen Antrag stellt, wenn wir zustimmen wollen. Wir werden eurem Antrag aber zustimmen, weil es richtig ist.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Ihr habt ja gar nicht zugestimmt!)
Wir führen ja auch immer die Diskussion darüber auch unter den Obleuten , dass es notwendig wäre, dass wir mehr über die Ratsgipfel erfahren, und dass wir im Bundestag eine Debatte darüber brauchen.
Wir haben uns auch nicht damit abgefunden, dass man beim letzten Mal den Europa-Ausschuss umgangen hat. Dass man das Plenum oder den Europa-Ausschuss umgangen hat, war früher anscheinend gang und gäbe. Mittlerweile umgeht man sie komplett. Das ist meines Erachtens auch eine Missachtung des Geistes der Vereinbarung, die zwischen Bundesregierung und Bundestag getroffen worden ist.
Es ist vollkommen richtig darin haben Sie auch unsere Unterstützung , dass wir für diesen Antrag möglicherweise eine Mehrheit erreichen. Wir hoffen, dass wir in Zukunft mehr europapolitische Debatten führen werden, vielleicht auch zu einer besseren Uhrzeit als abends um fast halb zehn.
Die fehlende europäische Öffentlichkeit ist eine wichtige Ursache für die Fehlentwicklung in Europa. Dass Sie das erkannt haben, haben Sie durch Ihren Antrag deutlich gemacht. Man merkt auch, dass es natürlich ein Problem ist, wenn die Mehrheiten in den Bevölkerungen immer wieder ignoriert werden.
Wir können lesen, dass die Europäische Kommission 70 Millionen Euro ausgeben will, damit im Fernsehen mehr über sie berichtet wird. Das hat ihr den Vorwurf eingebracht, dass sie Hochberichterstatter einkaufen will. Ich glaube aber, dass das Problem ein anderes ist. Solange das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat auch das ist ein Problem des Lissabon-Vertrags , wird es nicht ernst genommen. Solange wir keine parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene haben, wird das Fernsehen darüber auch nicht informieren. Wie gesagt: Der Vorschlag der FDP, hier über den Rat zu unterrichten, hat unsere Unterstützung.
Das Arbeitsprogramm der Kommission ist im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu sehen. Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel schreibt in seiner Kurzinformation zum Arbeitsprogramm ich zitiere :
Welche Maßnahmen kann die Kommission ergreifen, um das Wachstum zu fördern, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit sowie die finanzielle Stabilität zu gewährleisten? Auf diese Fragen geht die Kommission mit vielen Mitteilungen und wenigen Rechtsetzungsvorschlägen ein.
Das ist eine sehr treffende Beschreibung der Situation. Allerdings liegt das nicht so sehr an der Kommission und noch weniger an der französischen Ratspräsidentschaft. Es liegt auch nicht am Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon. Ich zitiere Hugo Brady, einen Ökonomen und Berater des irischen Außenministeriums, der am 7. November 2008 in der taz sagte:
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Im Original, bitte!)
Der neue Lissabon-Vertrag hätte uns in der Finanzkrise keinen Schritt weitergebracht, bei der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik beinhaltet er ja keine weitergehende Integration.
An wem liegt es dann also? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Es liegt auch an der deutschen Bundesregierung.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Oh!)
Die Bundesregierung zeigt neuerdings gerne mit dem Finger auf Amerika. Man muss sagen, dass auch sie nun die Gestaltung der Globalisierung predigt. Die französische Ratspräsidentschaft hat eine europäische Wirtschaftsregierung und eine umfassende Weltfinanzpolitik des IWF vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat das abgelehnt.
Diese Krise ist keine Krise made in USA, wie uns noch vor wenigen Wochen dargestellt wurde, sie ist auch eine Krise made in Europe. Die US-Wirtschaft war überfordert, das globale Wachstum dauerhaft durch die Verschuldung der US-Bürger zu finanzieren.
(Zuruf von der CDU/CSU: Die Gier war zu groß!)
Kollege Löning, es ist wirklich fatal, dass Sie hier auch noch sagen, die Europäische Zentralbank sei eigentlich ein Vorreiter, und den Vorschlag machen, die Amerikaner müssten sich daran orientieren. Hätten die Amerikaner eine ähnliche Zinspolitik betrieben wie die Europäische Zentralbank, dann wäre noch mehr Geld für die Zocker zur Verfügung gestellt worden. Notwendig sind niedrigere Zinsen, damit das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird und ein Beitrag für Wachstum und Beschäftigung geleistet wird. Denn nächstes Jahr wird Europa in die Krise geführt werden. Ich bin gespannt, welche Vorschläge ihr dann gegen die Zunahme der Massenarbeitslosigkeit macht.
Diese europapolitische Debatte bräuchte mehr als das Verschweigen, dass man Europa in die Krise geführt hat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)