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Rede zu Protokoll - Sprache lebt durch Veränderung

Rede von Rosemarie Hein,

Was hat sich die CDU nur dabei gedacht, einen solchen Antrag, noch dazu in der letzten Sitzungswoche der Wahlperiode, einzubringen? Möglicherweise spekulierte sie darauf, dass er dann ja gar nicht mehr öffentlichkeitswirksam debattiert werden kann. Das ist möglicherweise auch das Beste, was diesem Antrag passieren kann, denn er ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Zwar können sich die Autoren darauf berufen, viele ihrer Standpunkte und Faktensammlungen, die die besondere Bedeutung der deutschen Sprache in der Welt belegen sollen, auch im Enquetebericht „Kultur in Deutschland“ wiederzufinden, doch jene Aussagen die dort auf Vielfalt und Entwicklung von Sprache als Verständigungsmittel abzielen, werden absichtsvoll ausgeblendet. Im Antrag werden Aussagen zur Sprachbeherrschung als Mittel der Verständigung lustig gemischt mit Aussagen zur Pflege des auf der deutschen Sprache aufbauenden Kulturgutes, wird Sprache plötzlich zum Wirtschaftsfaktor, werden Forderungen aufgemacht, bei denen man den Eindruck bekommt, das deutsche Reinheitsgebot beim Bierbrauen solle nun auf die deutsche Sprache übertragen werden. Dabei werden Minderheitenrechte ebenso ignoriert wie die Sprachgeschichte von Jahrhunderten. Wäre es nicht so traurig, würde ich meine Rede mit dem Slogan „Vom Muckefuck zu Bluejeans“ überschreiben. Beide Worte sind wohl auch im deutschen Sprachraum verständlich, beide sind nichtdeutscher Herkunft. Das Wort „Fenster“, habe ich gelernt, ist ebenfalls ein Lehnwort, eben einer anderen Sprache entlehnt. Die deutsche Sprache gehört zur indogermanischen Sprachfamilie wie eben auch die in Indien gesprochenen Sprachen. Mit dem Hochdeutsch eines Walther von der Vogelweide könnten wir uns heute kaum verständigen und auch die wenigsten in friesisch, bayrisch oder dem in meiner Region gesprochenen Bördeplatt.

Worüber reden wir also? Sprachen sind Produkte gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie werden sowohl vom Zusammenleben in einer konkreten Gemeinschaft wie auch vom Austausch mit anderen Kulturen geprägt. Was uns heute fremd erscheint, wird über kürzere oder längere Zeit unsere Sprache prägen. Die netzaffinen „Neuland“-Bewohner können schon länger mit „Hashtags“ etwas anfangen. Ich hab das erst vor kurzem gelernt. Auch wenn ich es blöd finde, zu Zeitplänen „timetable“ zu sagen, kann und will ich nicht verhindern, dass andere Lebensgewohnheiten irgendwann auch meine Sprache und Ausdrucksweise prägen. Ich gehe ins Restaurant oder ins Bistro und freue mich, wenn ich in anderen Ländern diesen Hinweis finde, weil ich ansonsten die Sprache dort nicht verstehe. Ich freue mich, wenn ich in Finnland, das übrigens zwei Muttersprachen anerkennt, in einem Kaufhaus in Helsinki bei dem Versuch, mich radebrechend auf englisch verständlich zu machen, vom Verkaufspersonal freundlich darauf hingewiesen werde, dass man mich auch auf Deutsch versteht.

Doch was sollen mir die Aussagen im Antrag, wie viele Menschen auf der Welt deutsch sprechen? Und vor allem: welches Recht, welche Forderung sollen sich daraus ableiten? Moderne Sprachen sind für mich jene, die sich zur Verständigung in einer internationalen Welt eignen. Da ist Mehrsprachigkeit, die mir leider nicht gegeben ist, eher angesagt als der den Antrag an vielen Stellen prägende Alleinvertretungsanspruch der deutschen Sprache. So etwas führt zur Abkapselung und ist das Gegenteil von weltoffen.

Und nein, aus Heinrich Heines „Buch der Lieder“ werden wir keine Papiertüten falten und Wolfram von Eschenbach werden wir genauso achten wie Rabindranath Tagore, Nazim Hikmet und Pablo Neruda, deren Poesie ich nur in deutscher Übersetzung verstehe. Doch ich bin mir nicht sicher, ob sie in ihrer Ursprungssprache nicht viel poetischer klingen.

Lassen Sie uns den Schwerpunkt darauf legen, dass alle Menschen, die in unserem Land leben oder leben wollen, über eine gute Grundbildung verfügen und sich mittels Sprache verständigen können. Lassen Sie uns Literatur und Sprache, auch die deutsche, als Kulturgut pflegen, aber lassen Sie uns keine Ansprüche daraus ableiten, die eher unserer Vergangenheit angehören als unserer Zukunft.