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Rede zu Anträgen der Grünen und der FDP zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007

Rede von Alexander Ulrich,

Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden uns in der nächsten Sitzungswoche nochmals intensiv mit Europa und der deutschen Ratspräsidentschaft befassen. Aber die Grünen brauchten heute 30 Minuten zum Warmlaufen. Wir wollen es ihnen gönnen.
Die Erwartungen an die Bundesregierung sind riesengroß; das wurde hier schon mehrmals erwähnt. Die Erwartungen an die große Koalition waren vor einem Jahr ebenfalls riesengroß. Was daraus geworden ist, wissen wir alle. Angesichts der Vorbereitung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der Diskussionen im Europaausschuss können wir schon heute davon ausgehen, dass die Völker Europas Mitte 2007, wenn der Stab an Portugal weitergereicht wird, ähnlich enttäuscht feststellen werden, dass diese Ratspräsidentschaft keine großen Fortschritte erzielt hat.
Die Europäische Union befindet sich in einer schweren Krise. Auch das wird nicht bestritten. Krisen haben aber auch etwas Positives. Man kann aus den Fehlern lernen und das Nein der Franzosen und Niederländer zur Verfassung als Chance für eine soziale, friedliche und demokratische Europäische Union nutzen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme finden ihren Ausdruck in der Identitätskrise der EU. Die EU verfügt über kein gemeinsames Leitbild. Es dominiert leider auch bei der deutschen Bundesregierung immer noch die Vorstellung vom freien Markt, der alles regeln soll, als Kern des ganzen Projekts.
Europa und die deutsche Ratspräsidentschaft stehen jetzt vor einer strategischen Entscheidung von historischer Bedeutung. Der erste mögliche Weg besteht darin, dem eingeschlagenen Weg in die Sackgasse weiter zu folgen; die Folgen wären ein weiterer Vertrauensverlust bei den Menschen und vermutlich ein Anstieg der Zahl sozialer Konflikte und politischer Spannungen. Der zweite und bessere Weg setzt die Kraft und Bereitschaft zur Neuorientierung in der Europapolitik voraus. Er setzt an den beiden Hauptmängeln des bisherigen Modells an, der fehlenden sozialen Dimension und der Demokratielücke. Die Leitlinie einer solchen Strategie hieße mehr soziale Sicherheit und Verantwortung und mehr Beteiligung und Demokratie. Ein erster Schritt wäre ein alternativer Verfassungsvertrag, der die neoliberalen wirtschafts- und finanzpolitischen Vorgaben des jetzigen Entwurfs zurücknimmt. Diese alternative Verfassung könnte man dann 2009 bei den Europawahlen in allen Ländern zur Abstimmung stellen.
Herr Reiche, ich gehe davon aus, dass Sie in den Ausschusssitzungen nicht nur körperlich anwesend sind. Deshalb wissen Sie, dass wir die Verfassung nicht als solche ablehnen, sondern dass wir immer gesagt haben, dass es darauf ankommt, was in der Verfassung steht. Deshalb wollen wir eine Alternative zum jetzigen Verfassungsentwurf. Zu sagen, die Linke sei gegen eine Verfassung, entspricht schlicht und einfach nicht der Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Antrag der Grünen. Herr Steenblock, ich gehe davon aus, dass Sie selbst ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie diesen Antrag unterschrieben haben.

(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich
habe kein schlechtes Gewissen!)

Wer in seiner Regierungszeit völkerrechtswidrige Kriege und einen Sozialabbau in einem bisher nicht gekannten Ausmaß mitverantwortete, macht sich unglaubwürdig, wenn er von einer friedlichen und sozialen Union schwadroniert.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Antrag der Grünen könnte man als Antrag auf Aufnahme in die große Koalition verstehen. Ich gehe aber davon aus, dass weder die SPD noch die CDU/CSU die Koalition um die Grünen erweitern möchten. Wir, die Linke, wollen keinen weiteren Ausbau der militärischen Strukturen in Europa, wie es die Grünen wollen, sondern wir wollen die zunehmende Militarisierung Europas stoppen. Wir fordern deshalb die Abschaffung der schnellen Eingreiftruppe und der Battle-groups mit dem Ziel, auf eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der EU hinzuwirken.

(Beifall bei der LINKEN - Jörg Tauss [SPD]:
Politikunfähigkeit!)

Die Grünen sind von Ihrem Anspruch, eine Friedenspartei zu sein, weit abgekommen, wie dieser Antrag beweist.
Wir haben gestern die Chance gehabt, im Europaausschuss mit dem Kommissionspräsidenten Barroso zu diskutieren. Was er zur EU-Verfassung gesagt hat, war mehr als enttäuschend. Wenn Herr Krichbaum und Herr Reiche sagen, es sei Ausdruck der Zurückhaltung der Diplomatie, jetzt keine Vorschläge zu machen, ist das nur das Eingeständnis, dass man keine Vorstellungen hat, wie die EU-Verfassung zu retten ist. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Bundesregierung.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das
ist doch Quatsch!)

Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)