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Rede von Ulla Jelpke zu Protokoll gegeben am 27.04.2017

Rede von Ulla Jelpke,

Es geht in dieser Debatte um die Anpassung des deutschen Rechts an die neue Europol-Verordnung.

Ich möchte hier zunächst eines betonen: Die Europol-Verordnung selbst steht in unserem Parlament überhaupt nicht zur Debatte. Sie wurde vom Europaparlament und dem Europäischen Rat, also den Regierungen der Mitgliedstaaten, ausgekungelt; die nationalen Parlamente dürfen da gar nicht mitreden. Das ist eines von vielen Beispielen, die Zweifel an der demokratischen Legitimation der Europäischen Union säen.

Trotzdem ist es mir wichtig, dass auch im Bundestag einmal beschrieben wird, was das Problematische an Europol ist.

Selbstverständlich ist es vom Prinzip her nicht verkehrt, vielmehr geboten, dass europäische Polizeien grundsätzlich zusammenarbeiten – Kriminelle machen ja an den Grenzen auch nicht halt. Nur: Die Art und Weise, wie das geschieht, geht eindeutig auf Kosten der Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Denn Europol erhält immer mehr Kompetenzen, ohne dass der Datenschutz damit Schritt hält. Wir können ja schon froh sein, dass Europol jetzt – jetzt erst! – wenigstens grundsätzlich einer parlamentarischen Kontrolle durchs Europaparlament unterzogen wird. Allerdings: Während die Europol-Verordnung Anfang Mai dieses Jahres wirksam wird, ist das Datenschutzreglement nach wie vor nicht festgelegt. Das zeigt schon die Schieflage, die wir zwischen europäischen Polizeibefugnissen und ihrer Kontrolle haben, und ich sage ganz klar: Einen Polizeiapparat, der außerhalb einer effektiven, auch parlamentarischen, Kontrolle agiert, den wollen wir nicht, weil das mit dem Schutz unserer freiheitlichen Gesellschaft nichts mehr zu tun hat.

Ich nenne dafür nur einige Beispiele: Europol hat in jüngster Zeit eine sogenannte Internetmeldestelle aufgebaut. Dort werden jede Menge Daten über „verdächtige“ Internetnutzer, insbesondere wo es um Gewaltverherrlichung geht, gesammelt. Was als verdächtig gilt, was als Gewaltverherrlichung, das entscheidet Europol selbst bzw. jene nationalen Polizeibehörden, die Europol mit den Daten versorgen. Das Amt darf aber die Daten der Nutzer an die private Wirtschaft, zum Beispiel an Facebook, weitergeben und auf eine „freiwillige“ Löschung des jeweiligen Internetinhaltes drängen. Problematisch daran ist schon, dass Europol quasi exekutive Befugnisse erhält. Nicht weniger problematisch ist, dass private Unternehmen von der Polizei personengebundene Daten über Verdächtige erhalten sollen. Das hatten wir so noch nie. Doch im vorliegenden Gesetzentwurf wird die damit verbundene Grundrechteproblematik noch nicht einmal angedeutet.

Anderes Beispiel: das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung. Dort werden nach offiziellen Angaben von Europol jede Menge Informationen zwischen den nationalen Polizeibehörden ausgetauscht. Aber was denn genau? Das bleibt im Dunkeln, ebenso wie die zunehmende Kooperation von Europol mit Geheimdiensten. Bekannt ist allerdings die Absicht der Kommission, eine Art gemeinsames Zentrum europäischer Polizeibehörden und Geheimdienste zu installieren.

Dabei haben die verschiedenen Polizeibehörden in Europa ganz verschiedene Befugnisse zur Datenerhebung. Wir können diese unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ja gar nicht alle überblicken. Aber bei Europol fließt alles zusammen, und jede andere nationale Polizeibehörde kann diese Daten abrufen. Die Tatsache, dass es in Ländern wie Polen und Portugal Polizeibehörden gibt, die zugleich geheimdienstliche Befugnisse haben, wird dabei überhaupt nicht berücksichtigt. Das Europol-Gesetz erlaubt in Deutschland künftig nicht nur dem BKA, sondern auch jeder Länderpolizei den Datenabruf, sofern er zur eigenen Aufgabenerfüllung als „erforderlich“ erachtet wird. Dabei ist es angesichts der realen Gefahren durch Kriminalität nicht verkehrt, den Informationsfluss zwischen den Polizeibehörden zu vereinfachen. Aber es wäre im Interesse des Datenschutzes gewesen, hier wenigstens klarzustellen: Informationen abrufen dürfen nur solche Organisationseinheiten bei den LKA, die auch selbst in den entsprechenden Bereichen arbeiten, also vereinfacht gesagt: Auf Europol-Daten zu Drogenhandel greifen nur die Drogendezernate zu und nicht alle anderen, die denken, sie könnten die Daten vielleicht auch ganz gut gebrauchen. Aber eine solche Beschränkung fehlt im Gesetz, was erneut zeigt, wie gering hier der Datenschutz geachtet wird und wie einseitig nur auf vermeintliche polizeiliche Effektivität gesetzt wird.

Wenn künftig auch noch alle Polizeien mit allen Geheimdiensten zusammensitzen und ihre Erkenntnisse miteinander tauschen, dann wäre dies wirklich ein schwarzes Loch für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. So ein Europa, ein Europa der totalen Überwachung, wollen wir nicht!

Und noch ein Beispiel: Erst vor wenigen Tagen war in den Medien zu lesen, dass Europol jetzt auch mit dem US-Militär zusammenarbeitet. Man hofft darauf, von dort Informationen aus den diversen Kriegsschauplätzen zu erhalten – DNA-Spuren, Fingerabdrücke usw. Unsere Polizei soll also von völkerrechtswidrigen Kriegen profitieren – wollen wir das? Die Linke jedenfalls lehnt diese Entwicklung ab.

Ich fasse das einmal zusammen: Europol soll künftig alle Informationen von den europäischen Polizeibehörden erhalten, die es für nötig hält. Jede Länderpolizei wiederum kann nahezu nach Belieben Informationen von Europol abrufen. Dabei fließen die Ergebnisse polizeilicher und perspektivisch auch geheimdienstlicher und militärischer „Recherche“ zusammen. Und weil wir wissen, dass es nichts geschenkt gibt, können wir uns ausrechnen, dass dieser Datenfluss natürlich auch umgekehrt verläuft: Alles, was bei Europol eingegeben wird, kann am Ende zum Beispiel bei der NSA und dem US-Militär wieder herauskommen. Wenn also ein deutsches Landes­kriminalamt Informationen über einen mutmaßlichen „Gefährder“ an Europol übermittelt – ohne dass überhaupt klar geregelt wäre, was eigentlich einen Gefährder ausmacht –, riskiert es damit, dass die CIA eine Killerdrohne startet. Das ist unverantwortlich.

Es entsteht ein Datenberg, wie wir ihn uns heute noch gar nicht vorstellen können. Die Bürgerinnen und Bürger verlieren vollends die Kontrolle über ihre Daten.

Aus diesem Grund haben die linken Parteien im Europaparlament die Verordnung abgelehnt. Wie eingangs erwähnt, ist der Bundestag in Hinblick auf die Verordnung gar nicht zustimmungspflichtig. Wir haben hier nur noch über den Vollzug zu beraten. Nach dem, was ich eben geschildert habe, versteht es sich von selbst, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.