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Arbeitszeiterfassung: Merz' Märchenstunde

Rede von Susanne Ferschl,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es war einmal ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der sah so aus, als wäre er was Gutes für die Beschäftigten – war er aber nicht. Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Sie erzählen in Ihrem Antrag und auch heute in der Debatte wieder das Märchen von der Arbeitszeit – von fehlender Flexibilität und von Bürokratiemonstern. Glaubwürdig ist das nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Warum denn nicht?)

Sie sagen, dass Sie den Menschen mehr flexibles Arbeit ermöglichen wollen, und ja, viele Menschen wünschen sich selbstbestimmtere Arbeitszeiten,

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha!

Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen. Aber darum geht es Ihnen überhaupt nicht.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

Ich sage Ihnen, worum es Ihnen eigentlich geht: Sie wollen die Arbeitszeiten weiter ausweiten

(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Lesen Sie doch mal den Antrag! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist eine Falschbehauptung!)

und behaupten dann auch noch, das wäre im Interesse der Beschäftigten. Das ist ziemlich dreist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Alphabetisierungskurs besuchen! Anträge lesen!)

Sie spielen sich als Retter der Vertrauensarbeitszeit auf. Aber auch jetzt müssen bei der Vertrauensarbeitszeit bereits Zeiten über acht Stunden dokumentiert und Ruhezeiten eingehalten werden.

(Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Ihnen ist wohl verborgen geblieben, dass das Arbeitszeitgesetz bereits seit 30 Jahren gilt. Und Sie müssen schon die Frage beantworten: Was hat denn die Pflegekraft oder die Verkäuferin davon, wenn die Ruhezeiten verkürzt werden, obwohl sie eh schon überlastet sind? Und was hat der Schichtarbeiter an der Linie bitte davon, wenn er auch noch die elfte und zwölfte Stunde arbeiten muss?

(Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

All diese Kolleginnen und Kollegen haben weder Homeoffice

(Zuruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU])

noch Vertrauensarbeitszeit noch Laptop; aber in Ihrer Märchenwelt kommen sie überhaupt nicht mehr vor.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht Ihnen nicht darum, mehr Freiräume für Beschäftigte zu schaffen. Es geht Ihnen darum, mehr Freiräume für die Arbeitgeber zu schaffen. Dann seien Sie an dieser Stelle doch wenigstens ehrlich!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Genau! Richtig!)

Ich war selber eine ganze Zeit lang im Schichtdienst, und ich muss sagen: Ich war froh, wenn die Schicht um war. – Und eines war und ist doch auch klar: Der Arbeitgeber legt letztlich die Arbeitszeiten fest, also ob um 4 Uhr, um 5 Uhr oder um 6 Uhr angefangen wird. Das Einzige, was vor überlangen Arbeitszeiten und Entgrenzung schützt, sind Betriebsräte, Tarifverträge und das Arbeitszeitgesetz.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz.

Zu lange Arbeitszeiten und fehlende Erholung machen nachweislich krank und erhöhen das Risiko eines Arbeitsunfalles exponentiell. Das sind keine linken Thesen, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse. Deswegen sage ich in aller Klarheit: Hände weg vom Achtstundentag und von den Ruhezeiten!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch an die Adresse der Bundesregierung sage ich deutlich: Wir brauchen keine Experimentierräume im Arbeitszeitgesetz. Experimente mit der Gesundheit der Beschäftigten verbieten sich.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Rasha Nasr [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

Das Einzige, das geregelt werden muss – das ist seit vier Jahren, seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, überfällig –, ist die Arbeitszeiterfassung. Das ist das zweite Märchen, das die Union uns hier heute erzählt: das Märchen vom Bürokratiemonster der elektronischen Arbeitszeiterfassung. Ich weiß nicht, liebe Union, ob Sie beim Thema Digitalisierung im Fantasialand oder im vorletzten Jahrhundert stecken geblieben sind.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sowohl als auch!)

Um das Märchen an der Stelle zu beenden und zu den Fakten zurückzukehren: Die modernen Zeiterfassungssysteme sind kostengünstig, effizient und haben so gut wie keinen bürokratischen Mehraufwand; deswegen braucht es auch keine Ausnahmen. Alle Arbeitszeiten sind lückenlos, tagesaktuell und elektronisch zu erfassen; das beugt auch Missbrauch vor.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Lebenszeit der Beschäftigten, die Zeit mit der Familie, mit Freunden, für Hobbys usw., ist wertvoll und muss geschützt werden. Deswegen brauchen wir ein Recht auf geregelte Arbeitszeiten, Arbeitszeiten, die zum Leben passen, und vor allem auch kürzere Arbeitszeiten. Darum sollten wir uns kümmern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)