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Rede von Richard Pitterle zu Protokoll gegeben am 01.12.2016

Rede von Richard Pitterle,

Im Kampf gegen Steuervermeidung zählt jede Minute und jede noch so kleine Maßnahme. In jeder Minute, in der wir nicht handeln, nutzen milliardenschwere internationale Konzerne die Schwächen des nationalen und internationalen Steuerrechts aus, um ihre Gewinne zu verschieben und Steuern in Milliardenhöhe einzusparen. Daher begrüßen wir den heute zur Verabschiedung stehenden Gesetzentwurf zur EU-Amtshilferichtlinie und zu weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen als richtigen Schritt.

Allerdings, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, sollten Sie sich nicht zu sehr auf die Schultern klopfen. Mit der Note „Eins“ lässt sich der Gesetzentwurf nicht bewerten. Eine hervorragende Leistung haben Sie damit nicht abgeliefert. Sie setzen ohne besonderen Eifer nur das um, was durch internationale Empfehlungen sowie Vereinbarungen und durch europäisches Recht ohnehin vorgegeben ist.

Die Wirksamkeit gesetzgeberischer Maßnahmen hängt jedoch nicht vom Gesetz selbst ab. Papier ist geduldig, und wo kein Kläger, da kein Richter. Mit der Verabschiedung von Gesetzen muss sichergestellt sein, dass die geschriebenen Pflichten auch befolgt werden. Alles andere ist Aktionismus, den wir uns im Kampf gegen Steuervermeidung im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten können!

Leider strotzt Ihr Gesetz vor Vollzugsdefiziten, die es zu einem zahnlosen Tiger machen. Sie verpflichten multinationale Unternehmensgruppen mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro zur Übermittlung länderbezogener Berichte ihrer Geschäftstätigkeit. Und was, wenn nicht?, werden sich die Berater der Konzerne fragen. Dann sieht Ihr Gesetz vor, dass eine Geldbuße von 10 000 Euro fällig wird. Aber auch ein Zwangsgeld von 25 000 Euro wird bei einem Konzern wie Apple mit Barreserven in Höhe von 200 Milliarden Dollar vermutlich keine nächtliche Sondersitzung des Vorstandes auslösen. Wirksam und abschreckend, wie es die Amtshilferichtlinie verlangt, ist das jedenfalls nicht.

Natürlich lässt sich taktisch auch anders handeln. Sie wollen Informationen? Sie bekommen Informationen! Aber in einem Umfang, der die Suche nach steuerlich relevanten Umständen zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen macht. Offenbar glaubt man im Bundesfinanzministerium trotz der heillosen Überforderung bei Cum/Ex-Geschäften noch immer daran, bei den personellen und sachlichen Ressourcen auf Augenhöhe mit Finanzberatern zu agieren. Anders lässt sich jedenfalls die lapidare und an Realitätsverweigerung grenzende Anmerkung im Entwurf, die Prüfung der Berichte würde keine messbaren Auswirkungen auf die Verwaltung haben, nicht verstehen.

Hätte der Entwurf vielleicht noch ein „Ausreichend“ erzielen können, wird er durch die kurzfristigen Änderungsanträge im Finanzausschuss endgültig mangelhaft. Das Sammelsurium an Änderungen im Steuerrecht, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Ziel des Entwurfes stehen und für gewöhnlich im eigenständigen Jahressteuergesetz zu finden sind, ist schlicht formell verfassungswidrig. Der Finanzausschuss des Bundestages, der diese Änderungen hier zur erstmaligen und zugleich letzten Beratung vorlegt, ist – wie alle Fachausschüsse – für Gesetzesvorhaben nicht initiativberechtigt.

Zu diesen Ergänzungen zählt im Übrigen auch die großspurig angekündigte Entlastung von Familien mit Kindern. Jetzt wird es endlich amtlich: Mit der Erhöhung des Kindergeldes um 2 Euro gibt es vielleicht im nächsten Sommer die eine oder andere Kugel Eis mehr.