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Rede von Richard Pitterle am 20.10.2016

Rede von Richard Pitterle,

Den heute zur ersten Beratung vorliegenden Entwurf einer Änderung der Insolvenzordnung wollten Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren der Regierungskoalition, kürzlich noch überhastet über den Rechtsausschuss in einem anderen Gesetzgebungsvorhaben unterbringen. Es hat uns als Opposition viel Kraft gekostet, dieses Omnibusverfahren abzuwehren, aber anscheinend haben Sie inzwischen verstanden, wie der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens im Grundgesetz geregelt ist. Nur zur Wiederholung für die Zukunft: Ausschüsse des Bundestages sind nach unserer Verfassung nicht berechtigt, Gesetzgebungsvorhaben einzubringen.

Zur Sache. Vor wenigen Monaten gab es wieder mal ein kleines Beben in der Finanzwelt. Es braucht nicht viel Fantasie, um den Ursprung des Bebens zu lokalisieren: Termin- und Optionsgeschäfte, komplizierte Verträge, um Chancen sich verändernder Kurse wahrzunehmen oder Risiken sinkender Kurse zu minimieren. Mit anderen Worten: das übliche Finanzkasino, das die Welt schon häufiger an den Abgrund geführt hat. Auch diesmal war das Beben von einiger Stärke. Der Bundesgerichtshof urteilte, dass bestimmte, aber international übliche Vereinbarungen zwischen Spielern im Finanzkasino, die im Falle der Pleite eines Spielers gelten sollen – es geht um das sogenannte Liquidationsnetting –, gegen deutsches Insolvenzrecht verstoßen. Was undramatisch klingt, hatte weitreichende Konsequenzen. Aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen war mit dem Urteil nicht weniger als gleich die Stabilität der Finanzmärkte und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte erschüttert, sodass sie per Dekret das Urteil befristet für unbeachtlich erklärte. Der Grund für diese Panik ist, dass die üblichen Verträge zwischen den Spielern im Finanzkasino für beteiligte Banken recht vorteilhaft sind, falls ein Spieler pleite ist. Geringeres Risiko für Banken heißt auch, geringere Vorsorge für den Ausfall. Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes war diese heile Welt erneut in Gefahr.

Dafür wurde der BGH massiv angegriffen. Fachleute unterstellten dem für Insolvenzrecht zuständigen Senat sogar mangelnde Expertise. Es gehe schließlich um – Zitat – „knallhartes Bankrecht, eine Domäne, die dem 9. Zivilsenat des BGH üblicherweise verschlossen bleibt“. Der BGH habe die Praxis ignoriert und die Entscheidung hätte die Neuberechnung zahlloser Geschäftsvorfälle zur Folge, auch sei der Finanzstandort Deutschland in Gefahr. Diese Angriffe verkennen, dass die Rechtsprechung an geltende Gesetze gebunden ist und nicht an eine gewünschte Praxis. Die Vorschriften des Insolvenzordnung, namentlich §§ 104, 119 Insolvenzordnung, ließen keinen Raum für eine andere Entscheidung.

Richtig an der Kritik ist allerdings, dass die europäische Finanzsicherheitenrichtlinie, die der BGH nicht einmal im Urteil erwähnt, geschweige denn geprüft hat, explizit den Schutz von derartigen Vereinbarungen im Insolvenzrecht fordert. Nur hat es der Gesetzgeber 2004 versäumt, das in der Insolvenzordnung richtig umzusetzen.

Der vorliegende Entwurf will das nachholen. Den Anspruch, die Rechtslage zu vereinfachen, erfüllt der Gesetzentwurf aber nicht. Leersätze, die „den Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung“ zum Maßstab machen, erzeugen genauso Rechtsunsicherheit wie die vielen Regelbeispiele. Systematisch sauberer wären Öffnungsklauseln in § 19 Insolvenzordnung und ein breiterer Ansatz, mit dem die seit Jahren umstrittenen insolvenzbedingten Lösungsklauseln auf eine solide Grundlage gestellt werden können.

Auch wenn das Unionsrecht eine solche Regelung fordert, möchte ich abschließend festhalten: Wir halten diese Regelung für eine ungerechtfertigte Privilegierung des Finanzsektors zulasten anderer Gläubiger und für ein abzuschaffendes Relikt aus Hoch-Zeiten der Finanzmarktderegulation. Wir sind erst recht dagegen, derartige Ausnahmen für weitere Branchen zu schaffen.