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Rede von Norbert Müller am 23.06.2017

Rede von Norbert Müller,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich möchte die Gelegenheit heute nutzen, kurz in Bezug auf die Kinder‑, Jugend- und Familienpolitik dieser Großen Koalition Bilanz zu ziehen. Sie sind mit wenigen Erwartungen, die Sie geweckt haben, gestartet, und Sie haben es geschafft, diese noch zu unterbieten.

Aus einem Entgeltgleichheitsgesetz, das die Sozialdemokraten gefordert haben, wurde erst ein Entgelttransparenzgesetz, und davon blieb am Ende nur die Überschrift. Aus dem Schutz von jugendlichen Flüchtlingen wurden die Aussetzung des Familiennachzugs – Sie wissen, mit welchen tödlichen Folgen – und eine Jugendhilfe zweiter Klasse für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge; jedenfalls will das der Koalitionsausschuss.

Aus der großen Lösung im Kinder- und Jugendhilferecht, die Sie im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, wurde ein kleingeistiger Gesetzentwurf mit einem Großangriff auf die Rechte von Kindern, von Familien und auf den sozialpädagogischen Ansatz des noch sehr jungen Sozialgesetzbuches VIII, also des Kinder- und Jugendhilferechts.

Aus den Verhandlungen zu einem Bundes-Kita-Qualitätsgesetz wurde ein Qualitätsentwicklungsprozess, der sinnentleert ist und am Ende keinem Kind und keiner Familie etwas bringt.

Zur Bekämpfung der Kinderarmut haben Sie sich gleich gar nichts vorgenommen. Das war wenigstens ehrlich. Aber den 3 Millionen armen Kindern ist damit nicht geholfen.

Jetzt mag man sagen: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Nur: Was ist, wenn der Spatz vielleicht ganz hübsch aussieht, weil er aus Plüsch ist, aber leider wenig lebendig ist?

Diese Wahlperiode bleibt damit eine der vielen verpassten Gelegenheiten, auch wenn zum Beispiel die Aufstockung der Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, das sich an viele junge Menschen richtet, etwas Gutes ist; das haben wir auch positiv begleitet.

Die Bundesregierung hat – in guter Tradition ihrer Vorgängerregierungen – zwar viele spannende Berichte entwickelt, die aus diesem Ressort kommen – Kinder- und Jugendbericht, Altenbericht, Engagementbericht, Gleichstellungsbericht –, aber Sie leiten sie dem Parlament erst zu, wenn die Wahlperiode eigentlich an ihrem Ende angekommen ist.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja!)

Deswegen müssen Sie aus diesen Berichten auch gar keine Konsequenzen mehr ziehen. Es ist natürlich schön bequem, Berichte zu entwickeln, aus denen man dann keine Konsequenzen mehr ziehen muss, aber das ist schlecht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen kurz fünf Vorschläge für eine gute Kinder- und Jugendpolitik unterbreiten.

Erstens. Bekämpfen wir endlich die Kinder- und Jugendarmut. Jedes Kind soll dieser Gesellschaft gleich viel wert sein. Das heißt, Sie müssen Familien unterstützen. Ich will jetzt als Lösung nicht wieder hören: Man muss nur die Eltern in Arbeit bringen, das löst das Problem. Jedes zweite Kind, das arm ist, lebt in einer Familie, in der Elternteile zum Teil Vollzeit arbeiten, und sie sind trotzdem arm. Das heißt, wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, wir brauchen wieder normale Arbeitsverhältnisse, und wir brauchen Unterstützung für die Familien, die trotzdem arm sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es geht auch darum, für Leistungen zu sorgen, die allen Kindern zur Verfügung stehen: kostenfreies Schul- und Kitaessen, Frühstück und Mittagessen. Das wäre eine sinnvolle Maßnahme, die Gleichheit unter Kindern und Jugendlichen herstellt. Mit vollem Bauch spielt und lernt es sich eben deutlich besser. Ein beitragsfreier ÖPNV ist eine gute Voraussetzung für Kinder und Jugendliche, an dieser Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben zu können.

Zweitens. Eine Konsequenz aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht muss es sein, die Jugendverbände zu stärken. Ja, aber auch junge Volljährige müssen besser unterstützt werden. Das sogenannte Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – das kein Stärkungs‑, sondern ein Schwächungsgesetz ist; insbesondere für die jungen Volljährigen, insbesondere für die unbegleiteten Minderjährigen –, das Sie vorgelegt haben, geht genau in die gegenteilige Richtung. Es kann mir niemand begreiflich machen, warum Sie einen Bericht vorlegen, in dem Sie feststellen, dass sich die Jugendphase verlängert, und gleichzeitig an dieser Jugendphase herumfummeln und versuchen, die Rechte abzubauen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir brauchen mehr Beteiligung, mehr Ombudsstellen, aber auch eine Absenkung des Wahlalters. Wir stehen kurz vor der Bundestagswahl. Kein Mensch kann verstehen, warum in mehreren Flächenländern inzwischen 16-Jährige – übrigens mit einer guten Wahlbeteiligung – an landesweiten Wahlen teilnehmen dürfen, im Bund dafür aber keine Mehrheit zu schaffen sein soll. Wir wollen, dass das Wahlalter auf 16 gesenkt wird, und ja, wir wollen, dass die Kinderrechte endlich ins Grundgesetz kommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Wir wollen die Erziehung zum Frieden statt einer weiteren Verklärung des Militärischen gegenüber jungen Menschen. Stoppen Sie die Bundeswehrwerbung in Schule, in Kita und in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stoppen Sie die Rekrutierung von Minderjährigen für die Streitkräfte. Tun Sie etwas gegen Kindersoldaten. Drücken Sie nicht nur einmal im Jahr rote Hände auf ein Blatt Papier, sondern setzen Sie sich effektiv gegen Kleinwaffenexporte ein.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Fünftens und letztens. Stärken wir das Öffentliche. Wir brauchen mehr Personal in Schule, Kita, Hort und Jugendhilfe. Damit das geht und der Bund sich angemessen an der Finanzierung beteiligen kann, ohne Länder und Kommunen aus der Pflicht zu entlassen: Beseitigen Sie endlich, spätestens zu Beginn der nächsten Wahlperiode dieses depperte Kooperationsverbot. Das braucht kein Mensch. Es ist nur ein Hindernis in der Kinder- und Jugendpolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)