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Rede von Martina Renner zu Protokoll gegeben am 18.05.2017

Rede von Martina Renner,

Die Möglichkeiten des Besitzes und Umgangs mit privaten Waffen stehen im Spannungsfeld der Abwägung zwischen persönlichen Interessen von Schützen, Jägern und Sammlern und dem Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger. Der Gesetzgeber agiert in der Frage Restriktion und Kontrolle des privaten Waffenbesitzes weder unter Generalverdacht noch in Unkenntnis der Tatsache, dass der weitaus größere Teil bei Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Waffen verübt wird. Zuschriften mit Bedenken gegen die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie nehmen wir zur Kenntnis.

Allerdings sei noch einmal klar gesagt: Wir kennen die Statistiken und wissen um die Tatsache, dass die überwiegende Zahl von Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Pistolen und Gewehren stattfindet. Aber wer uns schreibt, alle Inhaber von Waffenbesitzkarten und ‑scheinen in diesem Land seien gesetzestreue Bürger und es drohe eine Enteignung von Waffenbesitzern und Ähnliches, der sucht nicht wirklich eine sachliche Debatte und verschließt die Augen vor den Gefahren, die mit jeder Form des Waffenbesitzes verbunden sind und minimiert werden müssen.

Zu den Fakten: Nur 25 Prozent der bei Straftaten außerhalb des Waffenrechts verwendeten und dann sichergestellten Schusswaffen waren im Jahr 2015 illegale Waffen. In den übrigen Fällen, also bei 75 Prozent, wurden überwiegend erlaubnisfreie und auch legale Waffen eingesetzt und sichergestellt. Diese Zahlen belegen eben, dass auch der legale Waffen- und Munitionsbesitz eine reale Gefahrenquelle ist mit hohem Potenzial, Menschen zu verletzen oder auch zu töten.

Die Schützen- und Jägerlobby sollte sich intensiver mit den Zahlen und Vorgängen befassen, auch um jeden Verdacht zu vermeiden, man bagatellisiere oder ignoriere entsprechende Fälle. Dazu nur zwei Beispiele: Ein Schießsportverein in München wird von der Polizei durchsucht, da der Verdacht besteht, er agiere als bewaffneter Arm der rassistischen rechten Pegida-Bewegung in München. Ein Verbot des Vereins wird derzeit durch die Behörden geprüft. In einem anderen Falle sind unter anderem Verantwortliche eines Schützenvereins in Niedersachsen angeklagt, weil 53 waffenrechtliche Genehmigungen unter Mithilfe von Vorstandsmitgliedern erschwindelt worden sein sollen. Kurz gesagt wurde so unrechtmäßiger und illegaler Waffenbesitz und ‑erwerb ermöglicht.

Das Zusammenspiel von Hetze gegen Minderheiten und Straftaten auch unter Waffeneinsatz verdeutlicht sich in der Gewalt gegen Geflohene und deren Unterbringung. Die Zahl dieser Angriffe hat sich im Jahr 2016 gegenüber dem Jahr 2015 mehr als verdoppelt. Stieg die Zahl rechter Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen von 143 Fällen im Jahr 2010 auf 536 im Jahr 2014, wurden im Jahr 2015 schon 1 253 rechte Straftaten mit Waffenbezug festgestellt. Gemeint sind natürlich nicht nur Waffen im Sinne des Waffengesetzes. Das macht die Gefahr oder das Problem jedoch nicht kleiner. Man muss bei einer Gefährdungsanalyse in diesem Deliktfeld auch in Rechnung stellen, dass allein 750 Neonazis und „rund“ 700 sogenannte Reichsbürger über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen.

Die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie ist angesichts dieser Zahlen keine bloße Förmelei.

Weitere Fakten: Das Bundeskriminalamt hat schon 2015 festgestellt, dass der illegale Umbau und Handel sogenannter Dekorations- und Salutwaffen massiv zunimmt und einen nicht unerheblichen Teil der Waffenkriminalität ausmacht. Eine solche reaktivierte Salutwaffe hatte der rassistische Hitlerverehrer in München benutzt, um insgesamt neun Menschen überwiegend mit Migrationshintergrund zu töten. Inzwischen wurde auch der Verkäufer dieser Waffe zur Verantwortung gezogen. Er hatte an Menschen zwischen 17 und 60 Jahren ähnliche Waffen verkauft. Noch immer sind solche Dekowaffen – die teils mit nur wenigen Handgriffen, auch unter Anleitung aus dem Internet, wieder schussfähig und damit zur tödlichen Gefahr werden – frei verfügbar. Selbst die verschiedenen Verbände von Schützen und Jägern fordern, dass hier höchste Standards europaweit gelten müssen, damit solche Waffen dauerhaft unbrauchbar sind. Es fehlen aber – und das vermutlich noch viel zu lange – europäische Standards zu Genehmigung, Handel, Kennzeichnung und Deaktivierung von Schusswaffen.

Die Tatwaffen der Massaker von Winnenden, Erfurt und Utoya/Schweden – halbautomatische Pistolen – sind bis heute für deutsche Schützen legal verfügbar. Gerade Sportschützen, aber auch Jäger nutzen solche Waffen gerne. Solche Waffen können dazu verwendet werden, in kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Menschen zu verletzen oder zu töten. Dies gilt nicht nur dann, wenn es sich um ehemalige automatische Waffen handelt, die wieder in solche zurückgebaut werden können. Auch solche Selbstlader, die mit einem größeren Magazin bestückt werden können, stellen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dar und wurden in der Vergangenheit schon für schreckliche Taten missbraucht. Hier ist die Bundesregierung gefordert, Besitz und Nutzung solcher halbautomatischer Waffen endlich zu verbieten, mindestens aber drastisch einzuschränken.

Die Behauptung, dass Waffenbesitzer durch die Umsetzung der EU-Richtlinie enteignet würden, ist unhaltbar und falsch. Es sind großzügige und langfristige Übergangsfristen und Vererbungsmöglichkeiten aufgenommen worden. Tatsächlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass solche Systeme, wie sie für die Aufbewahrung für Schusswaffen und Munition verwendet werden, auf dem neuesten technischen Stand sein müssen. Nur auf diese Weise ist gesichert, dass von Besitz und Aufbewahrung potenziell tödlicher Waffen eine möglichst geringe Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger ausgeht. Tragfähige Argumente haben die Kritiker hiergegen nicht liefern können.

Entgegen dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen darf ich für unsere Fraktion festhalten, dass der Verfassungsschutz kein Partner in der Zuverlässigkeitsprüfung für waffenrechtliche Erlaubnisse sein kann. Bekanntermaßen wurde V-Leuten der Neonaziszene zugeraten, sich solche Erlaubnisse erst zu beschaffen oder – wie im Falle des Thüringers Tino Brandt – schießen üben zu gehen. So wurden Gefahren von Amtswegen erst geschaffen und verstärkt. Schon deshalb dürfen die Informationen des Verfassungsschutzes hier nicht maßgeblich sein. Auch im Interesse der Rechtswegegarantie müssen Bürgerinnen und Bürger schließlich die Möglichkeit haben, eine vollständige gerichtliche Überprüfung einer Verweigerung oder des Entzugs der waffenrechtlichen Erlaubnis einleiten zu können. Bei Involvierung der Geheimdienste in die Beurteilung ist dies aber von vornherein verunmöglicht.

Es bleibt dabei und ist auch nicht zu leugnen: Von Waffen geht grundsätzlich eine potenziell tödliche Gefahr aus. Noch größer ist die Gefahr, wenn Menschen meinen, dass sie sich selbst bewaffnen müssten, oder andere dazu anstacheln – ob Rechtsextremist, Reichsbürger oder als Bürgerwehr. Und diese Gefahr hat gar nichts damit zu tun, ob es legale oder illegale Waffen sind.

Wenn wir der Gefahr wirklich Einhalt gebieten wollen, dann kommen wir um wirksame Beschränkungen im Waffenrecht und eine effektive Kontrolle nicht herum.