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Rede von Jörn Wunderlich zu Protokoll gegeben am 09.03.2017

Rede von Jörn Wunderlich,

Wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung zutreffend festgestellt wird, gibt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2016 Anlass zur Änderung des Betreuungsrechts. Die Koppelung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine freiheitsentziehende Unterbringung führt zu der Situation, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen außerhalb einer geschlossenen Unterbringung keine Möglichkeit besteht, einen Menschen gegen seinen Willen ärztlich zu behandeln, selbst wenn schwerste Gesundheitsschäden drohen.

Infolgedessen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, unter Berücksichtigung der Schutzpflicht des Staates, die sich aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – eine Regelung zu treffen, um diese Schutzlücke zu schließen. Dazu ist es, wie der Gesetzentwurf anführt, in der Tat erforderlich, die Einwilligung in die ärztliche Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unterbringung abzukoppeln, wobei immer zu beachten ist, dass staatliche Eingriffe in Grundrechte nur als Ultima Ratio und so gering wie möglich erfolgen dürfen. Ob dies hier der Fall ist, müssen die Beratungen zeigen.

Nach den vorgeschlagenen Regelungen sind vor einer Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Behandlung gegen den Willen des Betreuten insgesamt sieben Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen, bevor der Betreuer zu der Einwilligung die zusätzlich erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts einholen kann.

Einerseits erspart die vorgeschlagene Regelung dem Betroffenen die zusätzlich belastende geschlossene Unterbringung, andererseits besteht die Gefahr, dass die vorgeschlagene Neuregelung quasi die Tür zur Akzeptanz von ambulanten Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen werden kann. Solche Behandlungen waren und sind aber nicht gewollt. Von daher ist dies äußerst kritisch zu betrachten.

Sehr schön ist, dass in dem nun vorgeschlagenen § 1906 a BGB auch als Voraussetzung gefordert wird, dass „zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen“, während in der geltenden Regelung des 1906 BGB nur von dem Versuch der Überzeugung gesprochen wird. Auf dieses dringende Erfordernis hat die Linke bereits vor mehr als vier Jahren hingewiesen.

Es soll  – so ergibt es sich aus dem Gesetzestext bzw. aus der Begründung  – kein Erfüllungsaufwand entstehen, weder für den Staat noch für die Bürger noch für die Wirtschaft. Oder anders gesagt: Es bleibt bei den geltenden Kostenregelungen im Gesundheitswesen, wobei wir aus früheren Beratungen spätestens seit 2012 wissen, dass es Einrichtungen gibt, die offenbar auf Zwangsbehandlungen in Gänze verzichten können, eben weil sie mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck die Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Hilfe überzeugen. Dies kostet Zeit; es kostet Nerven, und es kostet Geld. Kosten, die, wie wir alle wissen, aufgrund der Kostenregelungen des Gesundheitssystems nicht von der Kasse in dem erforderlichen Umfang erstattet werden.

Hier muss in diesem Kontext auch nachgebessert werden. Insbesondere ist die Linke der Auffassung, dass es sich bei der notfalls einzuwilligenden Zwangsbehandlung nicht um die Behandlung der Anlasserkrankung handeln darf. Denn Psychopharmaka heilen nicht; sie stellen ruhig. Die Nebenwirkungen von Psychopharmaka sind  – das ist unbestritten  – ganz erheblich. Aber insofern dürfte eine solche Behandlung schon an den genannten Voraussetzungen scheitern. Besser wäre es allerdings dies ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen.

Keinesfalls darf suggeriert werden, dass diese Regelung, so sie denn verabschiedet werden sollte, Spielräume für ambulante Zwangsbehandlungen eröffnet. Allerdings ist, wenn die Voraussetzung der Behandlung nach dem neuen § 1906a Absatz 1 Nummer 4 BGB ernst genommen wird, eine Zwangsbehandlung so gut wie nicht mehr erforderlich. Man muss sich aber auch die Zeit für den Patienten nehmen.