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Rede von Herbert Behrens am 20.10.2016

Rede von Herbert Behrens,

Natürlich geht das Gesetz, wie man so schön sagt, in die richtige Richtung. Natürlich können wir von der Bundestagsfraktion Die Linke es – wohl gemeinsam mit allen anderen Fraktionen in diesem Parlament – nur begrüßen, wenn die Mittel für den Schienenpersonennahverkehr, SPNV, endlich erhöht werden. Schließlich – bzw. ein letztes Mal: natürlich – ist es richtig, wenn es diese 200 Millionen Euro als Schippe obendrauf gibt und damit diejenigen Bundesländer, die es bitter nötig haben, so im Westen das Saarland, Berlin und alle östlichen Bundesländer, einen gewissen zusätzlichen Betrag für den SPNV erhalten. Insofern sagen wir Ja zu den neu bestimmten 8,2 Milliarden Euro, die 2016 als Regionalisierungsmittel aus dem Bundeshaushalt den Bundesländern zufließen werden.

Jedoch gibt es aus unserer Sicht dreimal ein Aber, und dies mit wachsendem Nachdruck.

Das erste Aber betrifft die Dynamisierung um jährlich 1,8 Prozent, und dies von 2017 bis zum Jahr 2031. Nun hatten wir in den vergangenen Monaten ja fast keine Inflation mehr. An dieser kurzen Zeitspanne mögen die 1,8 Prozent jährliche Dynamisierung sich ganz gut anfühlen. Andererseits hatten wir mehr als 35 Jahre lang erheblich hohe und weiter über den 1,8 Prozent liegende Raten der allgemeinen Preissteigerung. Selbst in den vergangenen Wochen gab es europaweit Anzeichen für ein neues Anziehen der Inflation. Eine wesentliche Ursache für die niedrige Inflation ist der absurd niedrige Rohölpreis, der zeitweilig bei weniger als 40 US-Dollar je Fass lag. Aktuell liegt er wieder bei über 50 Dollar. Er lag vor fünf bis sechs Jahren noch deutlich über 100 US-Dollar.

Da mutet es schlicht grotesk an, wenn sich man für die nächsten 15 Jahre auf eine fixe Dynamisierungsmarge festlegt. Wesentlich einleuchtender wäre es doch, wenn man sagen würde: Die Regionalisierungsmittel werden entsprechend in dem Maß jährlich erhöht, wie sich erstens die offizielle, vom Bundesamt für Statistik ermittelte jährlichen Preissteigerung erhöht, wobei zweitens der Anstieg der Entgelte für die Nutzung der Trassen, der Bahnhöfe und der Energie zu berücksichtigen ist und im korrekten prozentualen Umfang in die Höhe der Regionalisierungsmittel einfließen muss.

Womit ich beim zweiten Aber bin, bei der Entwicklung der Entgelte für die Nutzung von Bahnhöfen, Trassen und Energie. Im Gesetzestext dazu heißt es diesbezüglich: „Die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr …, ist nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen.

Diese Formulierung enthält zwei gefährliche Ungenauigkeiten. Was, bitte schön, heißt das „nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts“? Das wird nirgendwo, auch nicht in der Begründung, ausgeführt. Es liegt nahe, dass damit die Formulierung, die „Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte“ sei zu begrenzen, bereits relativiert wird. Sodann: Es heißt ja nur, dass dieser Anstieg „zu begrenzen“ sei. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, wie genau und wie stark begrenzt werden soll. Das ist doch die Öffnung eines Scheunentors: für massive Erhöhungen dieser Entgelte.

Ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die Infrastrukturnutzungsentgelte in den letzten eineinhalb Jahrzehnten mehr als doppelt so stark erhöht haben wie die Inflationsrate. Es waren doch diese massiv angestiegenen Trassen- und Bahnhofsnutzungsmautgebühren, die in vielen Ländern die Möglichkeiten zur Bestellung von Schienenpersonennahverkehr einengten und gleichzeitig den Druck auf die weichen Faktoren im SPNV, nicht zuletzt auf die Arbeitseinkommen der Beschäftigten und auf die Sozialstandards im SPNF-Bereich krass erhöhten. Obgleich all dies bekannt ist und obgleich wir in der Praxis erlebt haben, wie negativ sich diese massiv ansteigenden Infrastrukturnutzungsentgelte auf den SPNV auswirkten, wird auch in diesem neuen Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes dem kein Riegel vorgeschoben. Ja, man sagt sehenden Auges, dass das bis 2031 so weiterlaufen könne. Wenn man als Gesetzgeber so etwas zulässt, dann wird die Deutsche Bahn AG als die Muttergesellschaft von DB Netz, von DB Station und Service und von der DB Energie GmbH dieses großzügige Angebot weidlich nutzen und erneut die Spirale deutlich gesteigerter Mauten in diesen Bereichen betreiben.

Mein drittes Aber bezieht sich auf die pauschale „Seligsprechung“, die man im Begründungsteil des Gesetzentwurfs lesen kann. Dort heißt es: „Das Gesetzesvorhaben trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei und ist umfassend mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vereinbar.“ Es bewirke, „dass die Schiene insgesamt gestärkt … wird“. Dazu sage ich klipp und klar: Herr Dobrindt, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD: Genau dies wird nicht eintreten. Es gibt, wie dargelegt, die Möglichkeit einer deutlich höher als 1,8 Prozent im Jahr liegenden Inflationsrate. Es gibt sodann, wie ebenfalls dargelegt, dieses von den Antragstellern bewusst in den Gesetzestext hineingebaute Scheunentor, wonach sich insbesondere die Entgelte für die Nutzung der Infrastruktur so schnell und derart stark erhöhen können, dass sie das Wachstum der Regionalisierungsmittel mehr als wegfressen.

Schließlich heißt es im Gesetzentwurf ausdrücklich, dass der Anstieg der genannten Entgelte „insbesondere … im Schienenpersonennahverkehr“ begrenzt werden müsse. Das heißt, dass diese Entgelte im besonderen Maß in den Bereichen Schienenpersonenfernverkehr und möglicherweise auch im Segment des Schienengüterverkehrs stärker als im Schienenpersonennahverkehr steigen können und wohl steigen werden.

Bedenken wir hier, wie kritisch die Situation gerade in diesen beiden Bereichen ist. Gerade hat die Deutsche Bahn AG gegen die heftigen Proteste von sehr vielen beschlossen, den Nachtreisezugverkehr am 11. Dezember 2016 komplett einzustellen. Dabei spielte bereits eine große Rolle, dass die viel zu hohen Entgelte für die Trassennutzung dieses Schienenverkehrssegment enorm belastete. Der klassische Schienenpersonenfernverkehr befindet sich aufgrund der Erfolge der Fernbusverkehre generell in einer extrem kritischen Lage. Worauf beruht dieser Erfolg der Linienbusverkehre? Doch eben zu einem erheblichen Teil auf der Tatsache, dass diese keinerlei Maut für die Nutzung der Straßen zu entrichten haben. Im Schienengüterverkehr ist die Lage ebenfalls extrem kritisch; die Deutsche Bahn AG hat beschlossen, einen größeren Teil der Güterbahnhöfe nicht mehr anzufahren, was zu einer weiteren Einschränkung des Schienengüterverkehrs führen wird.

All das zusammen heißt ganz eindeutig: Die Schiene wird in Gänze durch dieses Gesetz nicht gestärkt. Die Bundesregierung verstreicht mit dem Gesetz etwas weiße Salbe. Insgesamt kann ich nicht erkennen, dass damit eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben und damit endlich eine Verkehrswende eingeleitet werden.