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Abschaffung der Kostenheranziehung: Guter Plan – handwerklich verbesserungswürdig

Rede von Heidi Reichinnek,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs, die Abschaffung der Kostenheranziehung, ist absolut richtig und wird von uns als Linksfraktion natürlich unterstützt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Junge Menschen werden durch die Kostenheranziehung in der stationären Jugendhilfe ungerechtfertigt belastet. Es ist demotivierend, wenn sie zum Beispiel von ihrer meist sowieso viel zu geringen Ausbildungsvergütung auch noch Geld dafür zahlen müssen, dass sie einen Jugendhilfebedarf haben. Der kommt ja, wie wir alle wissen, nicht von ungefähr, sondern hat Gründe, die die jungen Menschen nicht beeinflussen können. Aber genau das wird suggeriert, und dieses Problem bekommt viel zu wenig Beachtung. Die Kostenheranziehung gibt den Jugendlichen das Gefühl, sie seien selbst schuld an ihrer Situation und müssten deswegen eben auch zahlen. Das kann wirklich nicht in unserem Sinn sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Hinzu kommt – wir haben es jetzt mehrfach gehört –, dass junge Menschen so kein Geld ansparen können, zum Beispiel für einen Führerschein. Das verhindert in diesem konkreten Beispiel nicht nur Mobilität und Teilhabe, sondern möglicherweise auch Chancen auf Ausbildung und Arbeit. Ich kenne das Gegenargument. Einige sagen nämlich: Na ja, die jungen Menschen können das Geld ja dann woanders beantragen. – Aber seien wir mal ehrlich: Ist es unser Ziel, junge Menschen von Amt zu Amt zu schicken, sie Antrag um Antrag ausfüllen zu lassen, oder wollen wir sie dabei unterstützen, eigenverantwortlich ihr Leben und dementsprechend auch ihre Finanzen zu regeln?

(Beifall bei der LINKEN – Martin Gassner-Herz [FDP]: Das klingt ja schon fast vernünftig!)

Es ist doch für uns Fachkräfte – ich komme ja wie einige wenige hier aus dem Bereich – eine unglaubliche Belastung, zu sehen, wie sehr diese Abgabe, die dem Staat wirklich gar nichts bringt – das hat der Kollege von der FDP gerade gut dargestellt –, junge Menschen frustriert. Es spricht also alles dafür, diese Praxis endlich zu beenden.

Auch der damit verbundene Arbeitsaufwand im Jugendamt ist absolut unnötig. Diese Ressourcen werden an anderer Stelle viel dringender gebraucht. Die im Entwurf dargestellten 29 Minuten pro Fall sind in meinen Augen noch relativ gering gerechnet. Hinzu kommt, dass Bescheide oft angefochten werden, weil die Berechnung unklar ist oder unterschiedlich gehandhabt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf könnte hier eine deutliche Verbesserung herbeiführen. Aber, liebe Koalition: Er könnte; denn die Formulierungen sind leider sehr missverständlich. Das produziert neue Fehler und mehr Widersprüche. Das sagen nicht nur wir; das sehen Sie auch in zahlreichen Stellungnahmen. Hier muss also dringend nachgebessert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Genauso brauchen wir Lösungen, um Benachteiligungen von jungen Menschen in geförderten Ausbildungen – also denen mit Inklusionsbedarf – auszuschließen. Auch hier sind noch Fragen offen. Das haben wir zum Glück koalitions- und oppositionsübergreifend schon festgestellt.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die Kosten von geschätzten 18,6 Millionen Euro, die den Kommunen aufgebürdet werden. Natürlich klingt das im ersten Moment nicht viel, vor allem weil wir ja viele Jugendämter haben. Aber seien wir einmal ehrlich: Die Kommunen sind chronisch unterfinanziert, und wir wissen, dass die Kommunen in der Praxis Druck auf die Jugendämter ausüben, möglichst wenige oder nur geringe Hilfen zu bewilligen. Ich mache weder den Kommunen noch den Jugendämtern einen Vorwurf, sondern nur den Politikern, die die Jugendhilfe nicht vernünftig ausfinanzieren. Also: Auch hier muss noch einiges geleistet werden.

Trotz alledem bin ich optimistisch, dass wir diese Fragen gemeinsam klären und im Sinne der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien lösen können. Deswegen sage ich wirklich zum ersten Mal an dieser Stelle: Ich freue mich auf die Beratungen mit Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)