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Rede von Frank Tempel am 11.11.2016

Rede von Frank Tempel,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit gut anderthalb Jahren sitze ich im zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU. Im Abschlussbericht des ersten Untersuchungsausschusses wurden Empfehlungen ausgesprochen, verfestigte Einstellungen und Kurzsichtigkeit gegenüber rechtsextremen und rassistischen Gewalttätern bei Polizei und Gerichten zurückzudrängen.

Rechtlich wurde auch einiges gemacht. Es wurden „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe und Ziele von Gewalttaten ausdrücklich in den Katalog der Strafzumessungsumstände aufgenommen. Diese sollen von Staatsanwaltschaft und Gericht strafverschärfend berücksichtigt werden.

(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD])

Doch was, Herr Schuster, sind solche Empfehlungen wert, wenn es keinen Mentalitätswechsel bei den staatlichen Strukturen gibt? Empfehlungen alleine reichen eben nicht;

(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])

Petra Pau hat das in ihrer Rede bereits angesprochen.

Als Kriminalbeamter aus Thüringen schaue ich natürlich ganz besonders auf die Polizei. Ich erinnere mich mit Unbehagen an ein konkretes Beispiel aus dem jetzigen Untersuchungsausschuss. Ich wohne nun einmal in der Nähe von Zwickau, also der Stadt, in der das Mordtrio so viele Jahre, völlig unbehelligt von den staatlichen Strukturen, untertauchen konnte, und ich weiß als Beobachter von einer ausgeprägten rechtsextremen Szene, von Nazikonzerten, von einem rechten Hooliganmilieu. Wir durften eigentlich erwarten, dass bei verantwortungsvoller Problemanalyse ganz besonders der zuständige Dienststellenleiter der Kriminalpolizei diesen Schwerpunkt kennt und beachtet. Mein Erstaunen war vor wenigen Monaten im Untersuchungsausschuss jedoch sehr groß, als ich feststellen musste, wie gering das Wissen des Zwickauer Kripochefs zur rechten Szene ist. Ich erinnere an seine Antwort: Wir haben keine Schwerpunktlage rechts.

Dieses Desinteresse findet sich nicht nur in der Polizei von Zwickau, und es ist schon gar nicht ein rein polizeiliches Problem; wir finden es auch beim Verfassungsschutz und bei der Justiz immer wieder.

Ich muss es leider sagen: Viele Polizeibeamte, nicht alle, aber viele Polizeibeamte in den verschiedensten Bereichen, mit denen ich gerade in den letzten Wochen persönlich gesprochen habe, sehen nach wie vor in Flüchtlingen in erster Linie erst einmal potenzielle Straftäter, nicht Opfer.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Na, na, na! Das glauben Sie doch selber nicht! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Belegen Sie das mal!)

– Das ist tatsächlich so. In ganz vielen persönlichen Gesprächen war das immer wieder die Antwort.

Von Rechtsextremisten werden augenscheinlich in erster Linie Linke, die Zivilgesellschaft und Menschen mit Migrationshintergrund bedroht. Viele Bürger, auch Polizeibeamte, fühlen sich davon selbst nicht betroffen. Sie haben keinen Blick dafür. Ich unterstelle da nicht einmal bösen Willen. Verzerrte Wahrnehmung kennen wir aus der Psychologie; wir wenden das hier nur nicht an.

(Zuruf des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])

Wenn wirklich Vorurteile und verzerrte Wahrnehmungen bei der Polizei abgebaut werden sollen, dann reichen Empfehlungen nicht, dann liegt sehr viel Arbeit vor uns.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein parlamentarischer Polizeibeauftragter könnte, nebenbei bemerkt, als Frühwarnsystem gegen solche Entwicklungen durchaus wirksam sein. Einseitige Wahrnehmung entsteht nun einmal durch subjektive Wahrnehmungen im Dienstalltag. Dem muss entgegengewirkt werden, um wiederkehrende Schieflagen bei der Einschätzung rechtsextremer Straftaten zu beseitigen.

Es ist falsch, wenn Innenminister de Maizière auf die Aufforderung der Gewerkschaft der Polizei nach mehr politischer Bildung in der Bundespolizei antwortet, politische Bildung sei Privatpflicht der Beamten und nicht von der Polizei zu leisten. Hier ist der Dienstherr gefragt, meine Damen und Herren, und damit auch wir.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)