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Rede von Eva Bulling-Schröter zu Protokoll gegeben am 30.03.2017

Rede von Eva Bulling-Schröter,

Da es unmöglich ist, die acht Dossiers zum Winterpaket der EU-Kommission zusammen zu beraten, ist es gut, dass wir von dem 4 300-seitigen Werk heute zunächst nur zwei Dokumente anberaten.

Zunächst ein paar Schlaglichter zum Winterpaket insgesamt aus unserer Sicht. Das größte Manko: Das Winterpaket basiert auf den veralteten EU-Klimaschutzzielen. Die Kommission hat bei ihren Vorschlägen offensichtlich verdrängt, dass uns der Klimavertrag von Paris Aufgaben gestellt hat, um die 1,5- bis 2‑Grad-Grenze nicht zu überschreiten. So orientiert es sich an dem, was der Europäische Rat im Oktober 2014 beschlossen hat, also lediglich 40 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030, 27 Prozent-Erneuerbaren-Anteil und plus 27 Prozent Energieeffizienz. Damit liegt Europa aber bei weitem nicht auf einem Zielpfad, der zu rund 95 Prozent weniger Treibhausgasen bis 2050 führt.

In den einzelnen Vorschlägen ist nicht zu erkennen, dass die Dekarbonisierung des Energiesektors oder der rasante Ausbau der Erneuerbaren wirkliches Ziel der Kommission ist. Schwerpunkte sind vielmehr Marktregeln für einen stärkeren Energieverbund und zudem seltsame Governance-Regeln, die eigentlich nur kaschieren sollen, dass es in der Energieunion an Verbindlichkeit der Ziele für die einzelnen Mitgliedsländer mangelt.

Es gibt, isoliert betrachtet, ein paar positive Aspekte, aber die sind schnell aufgezählt. So soll das Effizienzziel für die EU insgesamt nun verbindlich sein, ähnlich wie das EE-Ausbauziel. Allerdings mangelt es beiden daran, dass die Verbindlichkeit nicht verteilt wird auf die Mitgliedstaaten. Es gibt also nur eine kollektive Pflicht der EU-Länder zur Zielerreichung. Die Regeln zur Governance, die allerdings erst ab 2024 wirken sollen, sollen dann einzelne Mitgliedstaaten irgendwie finanziell zur Verantwortung ziehen. Bis dahin kann eigentlich jeder machen, was er will. Das wird Europa in ärgste Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Klimaschutzziele bringen.

Nun zur Neufassung der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung. Das Paket erteilt beim Marktdesign zwar Kapazitätsmärkten weitgehend eine Absage, der Energy-only-Markt soll hier Vorrang haben. Kapazitätsmechanismen, in denen alte Technologien überwintern können, sind unter bestimmten Bedingungen dann aber doch wieder zugelassen. Und in diesen Mechanismen dürfen zwar infolge des eingezogenen Emissionsstandards – 550 g CO 2 pro Kilowattstunde – Kohlekraftwerke nicht mehr vergütet werden, der Einsatz von Atomkraftwerken für diese Zwecke wäre jedoch nicht ausgeschlossen.

Eine der umstrittensten Fragen dieses Entwurfs ist, inwieweit künftig der Einspeisevorrang für EE-Anlagen gelten und wirken wird. Auch uns ist dies etwas unklar. Zunächst schafft die Kommission den EE-Einspeisevorrang als „expliziten Grundsatz“ ab. Er soll aber zumindest weitgehend ersetzt werden durch einen „relativen/impliziten“ Einspeisevorrang im Rahmen des Einspeisemanagements sowie durch Bestandsschutzklauseln. Möglicherweise gibt es darüber hinaus einen Transparenzgewinn durch erweiterte Berichts- und Rechtfertigungspflichten der ÜNB/VNB im Falle von Abregelungen.

Was den Einspeisevorrang beim Dispatch betrifft, so sind die Schwellenwerte für einen garantierten Marktzugang bei Neuanlagen für Wind, PV und Biomasse wohl kein Problem; denn in Deutschland liegen sie schließlich mit der EEG-Festvergütung, also der garantierten Abnahme durch den Übertragungsnetzbetreiber, bis zur Leistung von maximal 100 Kilowatt bereits heute unter jenen 250 Kilowatt, die die Kommission nun vorschreiben will. Über diesen Wert hinaus muss jeweils verpflichtend direkt an der Börse vermarktet werden. Weil die Marktprämie die EE-Differenzkosten deckt, der Betreiber also seinen EE-Strom sicher los wird, kann man hier von einem impliziten Einspeisevorrang sprechen, der auch in Zukunft gewährt wird. Das gilt zwar in Deutschland nicht für Situationen mit negativen Preisen länger als sechs Stunden, aber das ist ein anderes Thema.

Die vorgeschlagene Grenze der EU-Kommission wäre übrigens einmal Anlass, den Schwellenwert für die Direktvermarktung in Deutschland von 100 auf 250 Kilowatt zu erhöhen. Dann hätten Bürgerenergien wieder mehr Chancen, an der garantierten Einspeisevergütung zu partizipieren.

Der Einspeisevorrang ist nicht nur für den Dispatch wichtig, sondern auch im Falle des Managements von Netzengpässen. Im Rahmen dessen dürfen in Deutschland erst dann, wenn Kohle und Atom auf die technische Mindesterzeugung abgeregelt worden sind, wenn nötig, auch Erneuerbare zwangsweise vom Netz, gegen 95‑prozentige Entschädigung. Wir wissen zwar, dass gegen die Abregelungshierarchie in der Praxis häufig verstoßen wird, weil sie kaum kontrolliert wird. Aber es gibt sie.

Nunmehr soll es hierbei nach dem Willen der Kommission künftig ein Primat eines „marktlichen Redispatchs“ geben, in den dann auch Erneuerbare einbezogen sein würden. In Deutschland unterliegen dagegen momentan sowohl das Einspeisemanagement der EE-Anlagen als auch das Redispatch der konventionellen Erzeugung überwiegend den Netzbetreibern.

Wir fragen uns, was von einem Vorrang für einen „marktlichen Redispatch“ zu erwarten wäre. Nach meinem Verständnis haben die Erneuerbaren eine hohe Flexibilität und werden in einigen Fällen billiger abzuschalten sein als Kohlekraftwerke. Entsprechende Ausschreibungen, die etwa adäquat zum Regelenergiemarkt stattfinden könnten, könnten sie gewinnen. Dabei verlören die EE-Betreiber zwar kein Geld, es ginge aber auf Kosten des Klimaschutzes.

Sollte es stimmen, dass mit dem Entwurf der Bundesregierung weitgehende Entscheidungskompetenzen zur Gestaltung der Netzentgeltsystematik entzogen werden, so wäre dies zunächst kritisch zu sehen. Allerdings hat die Bundesregierung diese Kompetenz bislang kaum im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher eingesetzt; denn es werden weder bundesweit einheitliche Netzentgelte eingeführt noch unberechtigte Industrieprivilegien abgebaut, die andere über die hohen Netzentgelte bezahlen.

Zum Schluss ein Wort zur Regulierungsbehörde ACER. Koalition und Bundesregierung haben Bedenken, dass sich die EU-Behörde zu viel Kompetenzen auf den Tisch zieht und vielleicht sogar Deutschland in zwei Gebotszonen spalten könnte. Mein Vorschlag: Leiten Sie zügig den Einstieg in den Kohleausstieg ein. Dann entspannt sich auch die Netzsituation, und die Aufteilung in zwei Strompreiszonen wäre gebannt.