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Rede von Eva Bulling-Schröter zu Protokoll gegeben am 01.12.2016

Rede von Eva Bulling-Schröter,

Bundesweit wollen immer mehr Städte und Gemeinden ihre Energienetze wieder selbst betreiben. Der Trend zur Rekommunalisierung hält in diesem Bereich unverändert an. Die Kommunen stoßen dabei immer wieder auf den Widerstand der Energiekonzerne, die sich die derzeit widersprüchliche und umstrittene Gesetzeslage zunutze machen. Rekommunalisierungsvorhaben werden auf diese Weise hintertrieben und verhindert. Insbesondere wurde durch eine 2011 durch einen Handstreich von der damaligen Koalition erfolgte Änderung des Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) die Inhousevergabe an kommunale Betriebe auf rechtlich schwankenden Boden gestellt, gleichwohl sie europarechtlich zulässig ist.

Sie wissen, die Linke hat in mehreren Anträgen zum Thema gefordert, das zurückzunehmen. Kommunen müssen im Rahmen ihrer grundgesetzlich garantierten Selbstverwaltung eigenständig entscheiden können, ob sie die Versorgungsnetze selbst übernehmen wollen oder ob sie sie die Konzessionen dafür ausschreiben. Daher sollte das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) so klargestellt werden, dass die Kommunen die Netzkonzession im Rahmen einer europarechtlich zulässigen Inhousevergabe an ein kommunales Unternehmen auch ohne Ausschreibung vergeben können. Genau dies aber ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht passiert. Die Bundesregierung schreibt ja selbst im Gesetzentwurf, ich zitiere:

Nicht aufgegriffen wird die von kommunaler Seite und zuletzt von der Fraktion DIE LINKE (Bundestagsdrucksache 18/3745) vorgebrachte Forderung, von einem vergabeähnlichen Verfahren gänzlich absehen zu können und eine direkte In-House-Vergabe von der Gemeinde an ein kommunales Unternehmen zuzulassen. Der in § 46 EnWG angelegte „Wettbewerb um das Netz“ ist zwingend aufrecht zu erhalten. Dieser ist kein Selbstzweck, er dient dazu, die in § 1 Absatz 1 EnWG normierten Ziele, die im Interesse des Allgemeinwohls liegen, zu erreichen.

In der Anhörung zum Gesetzentwurf Energie und zu unseren Anträgen im Ausschuss für Wirtschaft hat Herr Professor Kupfer, der die Gemeinde Titisee-Neustadt in dieser Sache vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hat, eindrücklich argumentiert. Die geltende und nun wohl auch kommende Regelung des Energiewirtschaftsgesetzes stelle einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die verfassungsmäßig geschützte kommunale Selbstverwaltung dar.

Nun wird die Koalition jetzt sicherlich argumentieren: Tja, die Gemeinde Titisee hat ja mit dem Professor Kupfer im Sommer vor dem Bundesverfassungsgericht verloren! – Dazu möchte ich sagen, dass sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 22. August mit keinem Satz inhaltlich zu der Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Titisee-Neustadt geäußert hat. Es hat lediglich dargelegt, dass die beklagten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom Dezember 2013 die Praxis der Konzessionsvergabe nicht in einem Ausmaß prägen würden, dass jene mit einer Kommunalverfassungsbeschwerde angreifbar seien.

Die Bundesverfassungsrichter haben sogar ausdrücklich darauf verwiesen, im Fall der Novellierung des EnWG dieses dann vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Und das wird passieren. Denn im Kern stellt das neu geregelte EnWG mit § 46 Absatz 4 Satz 2 weiterhin das Prinzip „Kosteneffizienz“ höher als jenes Prinzip, nach dem Kommunen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft selbst regeln können. Das wird ja noch einmal mit der Protokollnotiz von CDU/CSU und SPD in der letzten Ausschusssitzung untermauert. Die eingefügten Spielräume, Kriterien für kommunale Angelegenheiten in die Ausschreibungen mit aufzunehmen, sind nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Ich zitiere: „Insbesondere dürfen die aufgestellten Kriterien kommunale Bewerber gegenüber sonstigen Bewerbern nicht bevorzugen. Dies gilt auch für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne der neu geschaffenen Vorschrift.“

Ich wundere mich über Herrn Saathoff, der hier von einem „vernünftigen Kompromiss“ spricht. Gibt es wenigstens noch jemanden in der SPD, der die Interessen der Kommunen im Blick hat oder die einer zukunftsfähigen Energiewende? Denn der Ansatz dieser Novelle ist ja nicht nur ein Angriff gegen die kommunale Selbstverwaltung. Er verkennt auch die besondere Rolle, die Stadtwerke in der Energiewende einnehmen können. Denn die Rekommunalisierung von Energienetzen hat viele Vorteile: Sie erleichtert die Umsetzung örtlicher integrierter Klimaschutzkonzepte und steigert die örtlichen und regionalen Wertschöpfungspotenziale. Von Versorgungsnetzen in kommunaler Hand würden auch insbesondere der dringend notwendige Ausbau von Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung und ihr systemdienlicher Einsatz profitieren. Denn die Verbindung von Strom- und Wärmemarkt wird gerade auf kommunaler Ebene ein zentrales Element des künftigen Stromsystems. Mit ihr kann flexibel ein Ausgleich zur schwankenden Einspeisung von Ökostrom geschaffen werden. Zudem wird das Verteilnetz zunehmend Träger moderner Kommunikation zur Steuerung von Erzeugungsanlagen und Nachfrage (Smart Grids). Ferner ist damit zu rechnen, dass im nächsten Jahrzehnt auch Power-to-Gas-Anlagen Bestandteil des Energiesystems sind, die überschüssigen Ökostrom zu brennbaren Gasen verwandeln. Alles Infrastruktur und Geschäfte, die gut innerhalb eines Gemeindegebiets gemanagt werden können. Dort, wo die Netze in einer Hand liegen, werden folglich erhebliche Synergien eintreten. Diese werden sich für die Energiewende wie für die Wirtschaftlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen gleichermaßen auszahlen.

Die Linke sieht in der Rückeroberung der Netze deshalb einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer innovativen Form von Stadtwerk. Wir denken an ein Stadtwerk, das sich neben dem Betrieb des Netzes für den Ausbau der Erneuerbaren engagiert, das die Kraft-Wärme-Kopplung voran treibt, das Sozialtarife möglich macht und ins Energieeinspargeschäft einsteigt. Dieser Weg könnte aber durch das Verbot der Inhousevergabe künftig weitgehend verbaut sein – zum Nutzen von Energiekonzernen, die sich gerade neue Geschäftsfelder suchen.

Die vielfältigen Möglichkeiten für Verteilnetze in kommunaler Hand und Stadtwerke – das alles will die Koalition offensichtlich verhindern. Dies ist ein Trauerspiel und steht auch in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur sonstigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das hat nämlich mehrfach – grundlegend in der sogenannten Rastede-Entscheidung – ausgeführt, dass das Kostenargument zugunsten einer Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie allenfalls in Fällen eines unverhältnismäßigen Kostenanstiegs in Betracht kommen kann, nicht aber ganz pauschal und ganz allgemein, wie es jetzt weiterhin sein soll.

Ich bin gespannt, wie das Bundesverfassungsgericht eine neue Klage, nunmehr gegen das novellierte EnWG – etwa über den Weg einer erneuten Kommunalverfassungsbeschwerde oder aber auch im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle – entscheiden wird.

Klar ist aber jetzt schon eins: Mit dieser Novelle öffnen Sie den Weg für eine unendliche Serie neuer Gerichtsverfahren. Das Ziel, für die Kommunen mehr Rechtssicherheit zu schaffen, haben sie grandios verfehlt. Das ist nicht nur politisch bedenklich, es ist auch stümperhaftes Handwerk.