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Foto: Rico Prauss

Der Ampel Haushalt ist wenig Zukunft und kaum Zusammenhalt, aber ein Segen für die Rüstungsindustrie

Rede von Dietmar Bartsch,

Dietmar Bartsch am Rednerpult des Bundestag, dahinter Olar Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner auf der Regierungsbank © picture alliance/Flashpic|Jens Krick

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist still geworden,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: … um die 4-Prozent-Partei!)

aber nicht in der Ukraine – dort tobt seit 28 Tagen der verbrecherische Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Zivilbevölkerung, gegen Frauen und Kinder; dieser Angriff hat einen Präsidenten zu einem Kriegsverbrecher gemacht –; still geworden ist es, meine Damen und Herren, um die Ampel. Sie haben geschwiegen nach der Ansprache des ukrainischen Präsidenten hier im Parlament. Das war der Regierung und des Deutschen Bundestages unwürdig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Still ist es auch geworden, als Wirtschaftsminister Habeck in Katar über Menschenrechte geredet hat. Ganz demütig hat er dort eine langfristige Energiepartnerschaft erbeten. Katar ist das Land, dem die Außenministerin – damals war sie allerdings noch nicht Außenministerin – die Fußball-WM wegnehmen wollte, weil die Taliban im Emirat Katar eine Heimat gefunden hatten und weil die Arbeiter auf den WM-Baustellen mit Füßen getreten wurden wie der Ball auf dem Rasen. Mit denen macht man keine Geschäfte. Was für eine Doppelmoral, Katharina Dröge! Das ist Ihre wertegeleitete Außenpolitik?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Der eine Autokrat muss runter vom Platz, und der andere kommt rauf?

Machen wir uns endlich unabhängig von dieser unerträglichen Energieabhängigkeit!

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das hat sie doch gesagt!)

Das ist der Weg: massive Investitionen in Wasserstoff, energetische Gebäudesanierung, in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber da lässt Ihr Haushalt eben zu wünschen übrig; das ist alles viel zu wenig.

Meine Damen und Herren, sehr groß waren die Ankündigungen der Ampel im letzten Jahr. Der „Möglichkeitsraum“ habe sich erweitert, hat Christian Lindner gesagt. Großes könne geleistet werden, hat Robert Habeck gesagt. Sie klangen ziemlich großspurig, wie eine Fußballmannschaft in der Saisonvorbereitung. Aber seit dem Anpfiff, beim ersten Pflichtspiel, geht unter dem Druck der Realität nicht mehr viel. Sie spielen Fehlpässe, Sie streiten intern, kriegen kaum einen erfolgreichen Abschluss hin.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Ich weiß auch: Es ist eine besondere Situation. Wir haben diesen furchtbaren Krieg, wir haben die Pandemie, wir haben die Herausforderungen des Klimawandels, wir haben die schreiende soziale Ungerechtigkeit. Aber auf die tiefgreifenden Probleme unseres Landes, die sozialen Verwerfungen und gesellschaftlichen Entfremdungen, da haben Sie keine Antworten. Die Krisen dieser Wochen überfordern Sie, meine Damen und Herren. In der Ukraine bringen Sie den Präsidenten gegen sich auf, bei der Pandemie bringen Sie die Bundesländer gegen sich auf, und bei den steigenden Preisen – insbesondere bei Lebensmitteln und Energie – bringen Sie die Bürgerinnen und Bürger gegen sich auf, weil Sie streiten, anstatt zu handeln. Diese 100 Tage Ampel geben bisher Anlass zu Ernüchterung.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie hatten doch alle drei im Wahlkampf versprochen, die kleinen und mittleren Unternehmen zu entlasten. Jetzt feiern Sie hier ihre Entlastung. Aber Sie sind keine Entlastungskoalition, Sie sind eine Belastungskoalition.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Selten haben die Bürger unter einer neuen Regierung in so kurzer Zeit so viel Kaufkraft verloren. Das ist doch die Wahrheit: Die Kaufkraft zählt und nicht einzelne Entlastungsmaßnahmen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Die Preise für Lebensmittel, für Energie, für Sprit gehen durch die Decke, meine Damen und Herren. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sehen sich zu der Entscheidung gezwungen: Heizen oder einkaufen? Ist das der Respekt, von dem Sie immer gesprochen haben? Nein, meine Damen und Herren, das ist respektlos.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Preisexplosion produziert Millionen Verlierer – Familien, Kinder, Rentner – und einen Gewinner: Das ist Finanzminister Christian Lindner. Allein dieses Jahr darf er wegen der höheren Preise mit Mehreinnahmen über die Mehrwertsteuer von 20 Milliarden Euro rechnen. Aber das ist das Geld der Bürgerinnen und Bürger. Folgen Sie doch endlich unseren europäischen Nachbarn, und entlasten Sie die Bürgerinnen und Bürger bei Lebensmitteln und bei Energie! Zehn Länder haben da etwas auf den Weg gebracht, unterschiedliche Initiativen. Und Sie kündigen an, kündigen an und machen Minimaßnahmen. Das reicht nicht. Die Ampel diskutiert, widerspricht sich. Aber die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger brauchen jetzt Entlastung und nicht erst mit der Steuererklärung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mineralölkonzerne und die Raffinerien, die sich richtig satt verdienen, haben natürlich kein Problem damit, wenn ihnen die Bundesregierung die Gewinne sichert. Aber an die trauen Sie sich nicht ran.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Die Profite der Konzerne steigen, und der Staat zahlt? Das ist doch absurd, meine Damen und Herren! Besteuern Sie die Konzerne, und senken Sie die Preise durch steuerliche Zurückhaltung! Reden hilft nicht, Handeln ist angesagt, und da machen Sie deutlich zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wollen Sie wirklich so lange warten, bis die Spritpreise wieder sinken? Verschaukeln können sich die Bürgerinnen und Bürger wirklich allein, meine Damen und Herren.

Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner verliert in diesen Wochen in Rekordzeit an Wohlstand. Das ist und bleibt inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Falls Sie sagen, das wäre nicht finanzierbar: Die Bürgerinnen und Bürger schützen Sie nicht vor der Preisexplosion, aber über Nacht erklären Sie, dass 100 Milliarden Euro, in Form eines Sondervermögens, für Aufrüstung der Bundeswehr vorhanden sind. Warum eigentlich 100 Milliarden Euro und nicht vielleicht 87 oder 112 Milliarden?

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: O Mann!)

Geht es Ihnen um den Bedarf, oder geht es Ihnen um eine schlagzeilenträchtige Zahl? Ich habe das Gefühl, das Zweite.

Meine Damen und Herren, was Sie da vorhaben, ist der Wahnsinn. Und im Gegensatz zu den anderen Fraktionen dieses Hauses kann ich eines sagen: Wir streiten nicht darum, wer bei Aufrüstung der Beste ist. Wir finden diesen Weg falsch, wir wollen einen anderen Weg gehen. Bei Aufrüstung werden Sie von der Linken immer Widerstand bekommen, auch bei der Grundgesetzänderung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will eines ergänzend sagen und aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren. Sie schreiben darin: „Die Ausgaben für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe … und Entwicklungszusammenarbeit sollen … im Maßstab eins-zu-eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen auf Grundlage des Haushaltes 2021.“ Aber den Etat für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kürzen Sie sogar. Ihr Haushalt verstößt gegen den eigenen Koalitionsvertrag. Oder gibt es ein „Sondervermögen Humanitäre Hilfe“? Nichts davon habe ich gehört, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch wir als Linke sagen: Natürlich muss die Bundeswehr ordentlich ausgestattet werden. Aber wer die Strukturen bei der Bundeswehr nicht grundlegend reformiert und das Managementproblem abstellt, wird weiter Milliarden verbrennen. Zu spät, teurer als geplant, nicht einsatzfähig: So läuft die Beschaffung bei der Bundeswehr doch seit Jahren. Und ich weiß auch noch, wer die Verteidigungsministerinnen und die Verteidigungsminister gestellt hat. Die Bundeswehr hat nicht zuerst ein Geld-, sondern ein Strukturproblem. Wenn Sie das nicht lösen, werden weiterhin Milliarden einfach versenkt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben in unserer Gesellschaft auch das Gegenstück: Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Da fehlt Geld für Bücher, für eine Jacke im Frühling, für einen Ausflug in den Zoo. Mehr als 20 Prozent Armut unter Kindern! 20 Euro mehr gibt es für 2,9 Millionen Kinder in Armut. Der reale Mehrbedarf laut Sozialverbänden liegt aber bei 78 Euro. Dieses Geld ist komischerweise nicht da. Es ist deshalb eine Politik der sozialen Kälte, dass Sie die Kindergrundsicherung, die Sie im Koalitionsvertrag angekündigt haben – was wir gelobt haben –, bisher null im Haushalt berücksichtigen; nichts ist im Haushalt eingestellt. Die Kinder bleiben arm. Das ist ein Armutszeugnis für Ihre Politik. Sie gründen eine Arbeitsgruppe. Na Donnerwetter! Haben Sie die Kindergrundsicherung vielleicht schon abgeschrieben?

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Haushalt, meine Damen und Herren, ist ein sozialpolitisches Streichorchester. Die Kindergrundsicherung kommt nicht vor. Zusätzliche Monate Elterngeld, wie Sie es angekündigt haben – wo sind die? Wo ist das Bürgergeld statt Hartz IV? Und was ist eigentlich mit der Rente, lieber Hubertus Heil? Ja, auch ich begrüße die Steigerung; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir wissen beide, dass diese durch die Inflation mehr oder weniger aufgefressen wird. Im Vergleich zu 2003, meine Damen und Herren, hat sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die von Grundsicherung, also von Hartz IV, leben müssen, mehr als verdoppelt. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sind Frauen. Jede dritte Rentnerin und jeder dritte Rentner mit 40 Versicherungsjahren müssen von einer Rente unter 1 200 Euro leben, bei mir in Mecklenburg-Vorpommern im Übrigen jeder zweite.

(Katja Mast [SPD]: Deshalb haben wir ja die Grundrente gemacht!)

Ein komplettes Arbeitsleben und dann Armutsrisiko? Das ist und bleibt inakzeptabel. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Lieber Herr Heil, deswegen fordern wir zwei Dinge. Erstens. Sie haben vor drei Jahren einen guten ersten Vorschlag zur Grundrente vorgelegt; der war wirklich gut, dem hätten wir glatt zugestimmt. Herausgekommen ist aber ein Reförmchen. Sie haben das damit begründet, dass die Union in der Regierung war. Okay. Aber jetzt ist die Union nicht mehr in der Regierung. Handeln Sie jetzt! Stellen Sie diese Grundrente jetzt noch mal hier im Bundestag vor, damit wirklich etwas passiert! Zweitens. Heben Sie das Rentenniveau auf 53 Prozent an! Beim Rentenniveau sind wir europäischer Abstiegskeller. Das ist die Wahrheit. Die Renten sind nicht stabil, wenn die Preise explodieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Unstrittig ist, meine Damen und Herren: In diesen Zeiten müssen doch stärkere Schultern mehr tragen. Aber die Einzigen, vor die Sie sich verlässlich schmeißen, sind die Multimillionäre und Milliardäre. In der Pandemie sind die Superreichen in einen einzigen Goldrausch verfallen. Die zehn reichsten Deutschen haben ihr Vermögen um 100 Milliarden Euro vergrößert.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Kein Geld da? Was für eine Farce! Da rächt sich, dass Sie einer großen Steuerreform zu Beginn Ihrer Regierungszeit eine Absage erteilt haben. Was ist denn mit den Steuerversprechen wie der Vermögensteuer oder Vermögensabgabe? Der Einzige, der sein Versprechen einlöst, ist Finanzminister Lindner. Er ist der Vermögensverwalter der Superreichen, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer bezahlt denn die 100 Milliarden Euro für Aufrüstung? Sozialdemokraten und Grüne wollten im Wahlkampf noch bei den starken Schultern, bei den dicken Portemonnaies zugreifen. Und was ist jetzt? Pustekuchen! Lindner entscheidet, nicht der Kanzler. Wer bezahlt denn den Schuldenhaushalt 2022? Die kleinen Leute bezahlen Ihre Rechnung, wenn Sie die Steuern für die Reichen nicht anheben, meine Damen und Herren. Die Schulden für die Bundeswehr sind die Streichungen bei sozialer Sicherheit, wenn Sie nicht den Mut haben, endlich etwas bei den Vermögenden abzugreifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen voraus: Ihre Aufrüstung werden Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Hartz-IV-Empfänger mit dem berühmt-berüchtigten Gürtel bezahlen, den sie noch enger schnallen sollen.

Meine Damen und Herren, Ihr Haushalt ist wenig Zukunft und kaum Zusammenhalt. Ihr Haushalt ist ein Segen für die Rüstungsindustrie und eine fette Rechnung für die, die tagtäglich hart für ihr Geld arbeiten müssen. Aber Sie geben das Geld planlos und teilweise gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag aus.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)