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Quälend lange Gerichtsverfahren

Rede von Jens Petermann,

84. Sitzung des Deutschen Bundestages, 20. Januar 2011
TOP 13: Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
Drucksache 17/3802
Fraktion DIE LINKE

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), meine sehr geehrten Damen und Herren,

was lange währt sollte besonders gut werden.
Die Hinweise des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte blieben 10 Jahre ungehört. Mehrfach wurde die Bundesrepublik Deutschland auf eine Lücke im deutschen Recht aufmerksam gemacht.
Wer vor einem Gericht klagt, erwartet ein Urteil in angemessener Zeit. Das verlangt auch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention.
Nach zehnjähriger Untätigkeit versucht die Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf diese Lücke zu schließen. Wie jeder sehen kann, benötigt sie dazu einen unangemessenen Zeitraum, eine Untätigkeitsrüge gegenüber der Regierung ist damit mehr als angebracht!
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll für die Menschen, deren Gerichtsprozesse zu lange dauern, ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch eingeführt werden. Grundsätzlich ist es die Aufgabe des Staates, ausreichende personelle und sachliche Ressourcen zu Verfügung zu stellen, damit es gar nicht erst so weit kommt. Durch das nun vorgeschlagene Entschädigungsverfahren werden aber unnötig weitere Kapazitäten bei den Instanzgerichten durch Erhebung der Verzögerungsrüge sowie bei den Oberlandesgerichten durch die Entscheidung über den Entschädigungsantrag gebunden. Dafür bleiben andere Verfahren, insbesondere Hauptsacheverfahren liegen. Die von der Koalition angedachte Beschleunigungswirkung wird ins Gegenteil verkehrt. Die Einführung der Entschädigungsregelung ändert nichts an dem Missstand überlanger Verfahren. Vielmehr wird die ohnehin schon überlastete Justiz zusätzlich belastet. Scheinbar gehen sie davon aus, dass die Richterinnen und Richter im Moment noch über ausreichend freie Arbeitszeit verfügen, um sich mit den Gründen der Verzögerung zu beschäftigen. Dem ist aber nicht so. Und das sage ich Ihnen aus 20-jähriger Erfahrung als Arbeits- und Sozialrichter. Die einzige Gefahr, die ich mit der Einführung sehe ist, dass die betroffenen Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte das jeweilige Verfahren nach Eingang einer Verzögerungsrüge auf Kosten anderer – ebenfalls wichtiger und dringlicher Verfahren – vorziehen. Ich habe einen anderen Lösungsvorschlag: Sorgen sie für eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften, geben sie der Justiz mehr Autonomie, dann bekommen wir die Probleme mit überlangen Gerichtsverfahren in den Griff. Die Krankeitssymptome zu kaschieren ist der falsche Weg. Die eigentlichen Ursachen dieses Phänomens werden damit jedenfalls nicht beseitigt.
So wurde zum Beispiel durch Ihre verfassungswidrige Hartz IV Gesetzgebung eine Prozessflut an den Sozialgerichten provoziert. 41 Gesetzesnovellen in 6 Jahren haben zum Teil zu chaotischen Zuständen in der Sozialgerichtsbarkeit und damit unzumutbaren Belastungen für die rechtsschutzsuchenden BürgerInnen geführt. In ihrer Not haben die Landesjustizminister Ressourcen aus den anderen Gerichtsbarkeiten verlagert. Auch innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit selbst wurden Stellen zum SGB II-bearbeitenden Bereich zu Lasten der übrigen Bereiche wie Rentenversicherung, Krankenversicherung oder Unfallversicherung umgeschichtet. Da muss sich niemand mehr wundern, wenn ein rentenrechtliches Verfahren mit einem Antrag im Jahre 2000 beginnt, über die Instanzen acht Jahre bis zu einer Entscheidung benötigt und im Jahre 2010 mit einer Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer abgeschlossen wird. Derartige Beispiele lassen sich zu Haufe finden und ihre Zahl wird sich auch trotz des nun vorgesehenen Entschädigungsanspruchs nicht signifikant ändern. Wenn wir gerade beim SGB II sind: Was bleibt eigentlich einem Hartz IV Empfänger, wenn er eine Entschädigung für ein mehrere Jahre dauerndes Verfahren zugesprochen bekommt? Wahrscheinlich nichts, denn diese wird wohl auf seine Regelleistungen angerechnet!
Die gesetzliche Festlegung eines bestimmten Geldbetrages, der Nicht-Vermögensschäden ausgleichen soll, lehnen wir ab. Stattdessen sollte der Betrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung als Untergrenze und nicht als fester Entschädigungsbetrag festgelegt werden. In anderen derartigen Fällen hat der Gesetzgeber es den Gerichten überlassen, den angemessenen Betrag unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzusetzen. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen psychischen Belastungen der am Gerichtsprozess Beteiligten sinnvoll. Das Entschädigungsmodell soll für alle Gerichtsbarkeiten gelten und das jeweilige Oberlandesgericht soll eine Allzuständigkeit für Entschädigungsverfahren aller übrigen Gerichtsbarkeiten erhalten. Mir ist schleierhaft, wie Richterinnen und Richter am Oberlandesgericht schwierige steuerrechtliche, verwaltungsrechtliche oder arbeitsrechtliche Sachverhalte hinsichtlich einer damaligen Möglichkeit zur Beschleunigung bewerten sollen.
Irgendwie drängt sich der Verdacht auf, dass nach dem Prinzip linke Tasche-rechte Tasche verfahren wird.
Greifen Sie unsere Vorschläge auf, dann können wir dem Gesetzentwurf zustimmen.