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Privatisierungen in der Justiz sind Stuss

Rede von Raju Sharma,

14. Sitzung am Dienstag, 19. Januar 2010: Rede zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung im Bereich Justiz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

In der Generaldebatte heute Vormittag hat der Kollege Poß erzählt, wie er 1982 zusammen mit Wolfgang Schäuble im Untersuchungsausschuss des Bundestages diesen oder jenen Strauß ausgefochten hat. Ich fand das beeindruckend, weil mir einfiel, dass das nicht die erste Wahlperiode von Wolfgang Schäuble war. Das war 1982. Ich habe mir vorgestellt: Nach über 30 Jahren im Bundestag weiß man, wie es geht, hier im Raumschiff Berlin. Aber man weiß natürlich nicht mehr, wie es draußen bei den Bürgern aussieht; denn die hat man über 30 Jahre nicht mehr wirklich gesehen. Das finde ich schon bezeichnend.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was ist das für eine Vorstellung von Parlamentarismus, die Sie haben?)
– Ich habe in der Tat eine Vorstellung von Parlamentarismus, die aber nicht so aussieht, dass man als junger Mensch in den Bundestag eintritt und mit der Pensionierung irgendwann mit 75 Jahren ausscheidet.
(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Ein Abgeordneter wird nicht pensioniert! Das ist eine komische Vorstellung!)
– Wenn Sie sich nun genug aufgeregt haben, würde ich meine Ausführungen gerne fortsetzen.
(Otto Fricke [FDP]: Nein!)
– Sie können sich gerne noch weiter aufregen. Es wird nicht sinnvoller, was Sie sagen. Es war auch nicht sinnvoll, was Sie vorhin gesagt haben.
(Otto Fricke [FDP]: Da habe ich zwar noch nichts gesagt, aber egal! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie haben sich von den Bürgern entfernt! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: War es das jetzt?)
Wenn Ihre Vertreter die Bürger so lange nicht mehr gesehen haben, darf man sich nicht darüber wundern, dass sie eine Politik machen, die eigentlich aus der Mitte des letzten Jahrhunderts kommt.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie lange ist Lafontaine dabei?)
Ich habe die Freude und das Vergnügen, ein berufliches Leben vor der Politik gehabt zu haben. Ich war beim Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein beschäftigt.
(Otto Fricke [FDP]: Ach, daher die Pensionierung! Jetzt ist es klar! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die freuen sich jetzt!)
Dort durfte ich mich auch mit dem Justizhaushalt befassen. Wollen wir jetzt einmal über den Justizhaushalt sprechen? Dann kann ich Ihnen einmal erklären, wie so etwas vor sich geht. Wenn man sich beim Rechnungshof einen Haushaltsplan anschaut, überlegt man zunächst, wo die relevanten Themen sind, die nichts mit Erbsenzählerei zu tun haben, welche Themen wichtig und haushaltspolitisch bzw. von der Wirtschaftlichkeit her relevant sind. Dann klammert man die Themen aus, die politisch relevant sind, bei denen die politischen Schwerpunkte gesetzt werden. Das ist nämlich nicht die Sache der Rechnungshöfe.
Da ich jetzt Abgeordneter einer Oppositionsfraktion bin, habe ich mir gedacht: Schaue ich mir den Haushalt doch einmal genau andersherum an und achte auf politische Schwerpunkte. Ich lese und lese und lese und stelle nach 81 Seiten fest: Da sind keine politischen Schwerpunkte. Diese Koalition setzt keine politischen Schwerpunkte in der Rechtspolitik.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist aber nicht nur schlimm; denn abgesehen von dem Stuss, den ich von Abgeordneten aus Ihren Reihen heute hören musste, steht in dem Haushaltsentwurf wenigstens auch nichts über das, was man seit einigen Jahren von Vertretern der schwarz-gelben Koalitionen in Niedersachsen und Baden-Württemberg immer wieder hört, wenn es um Rechtspolitik geht. Dort wird in einer Art und Weise privatisiert, dass Sie sich nicht darüber wundern dürfen, dass wir beklagen – das tun wir auch, um Ihnen eine Freude zu machen –, dass der Neoliberalismus nun auch in der Rechtspolitik Einzug hält. Da ist von Privatisierung im Bereich der Gerichtsvollzieher und im Bereich der Bewährungs- und Gerichtshilfe die Rede. Die Sozialen Dienste und Teile von Haftanstalten sollen privatisiert werden.
Da ich mich beim Rechnungshof viele Jahre lang intensiv mit diesem Thema beschäftigen durfte – das gilt auch für viele andere bei den Rechnungshöfen –, weiß ich, dass es Hunderte Vorschläge gibt, wie man die Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich effizienter gestalten kann, wie man Aufgaben anders organisieren kann. Aber so ein Stuss war nie dabei. Wenn es bei Ihren Kollegen Landesministern in den schwarz-gelben Koalitionen in Niedersachsen und Baden-Württemberg einmal so etwas wie geistiges Eigentum gab, dann hat der Schutz da wirklich versagt. Das ist rechtspolitisch dummes Zeug.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Jahren dankenswerterweise von solchen Privatisierungsüberlegungen Abstand genommen. Ich fände es wirklich gut, wenn Sie die Gelegenheit nutzen würden, mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zu reden und sie darauf hinzuweisen, dass das weder haushaltspolitisch noch rechtspolitisch Sinn macht und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist, die man in einem Rechtsstaat schützen sollte. Das fände ich sehr gut.
Wenn Sie dann ohnehin mit Ihren Kollegen auf Länderebene im Gespräch sind, können Sie vielleicht die positiven Ansätze aufgreifen, über die auf Landesebene ebenfalls diskutiert wird, allerdings von Ministern anderer Koalitionen. Die Landesjustizminister von den Grünen und der Linken diskutieren oft darüber, wie man die Unabhängigkeit der Justiz stärken kann. Zum Beispiel wird angeführt, dass das möglich ist, indem Haushaltsverhandlungen – deswegen sind wir heute hier – nicht von der Exekutive mit der Legislative geführt werden, sondern indem man der Judikative das Recht einräumt, ihr Budget selbst zu definieren und mit der Legislative, dem Haushaltsgesetzgeber, auszuhandeln. So müsste das sein; denn auch die Ressourcen der Justiz gehören dazu, wenn es darum geht, die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und das zu verwirklichen, was wir uns unter Gewaltenteilung vorstellen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie mit Ihren Länderkollegen darüber reden, was gemacht werden kann, um in der Rechtspolitik etwas zum Positiven zu verändern, dann sollten Sie auch darüber reden, wie man den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger durch direktdemokratische Instrumente stärken kann. In den Ländern wurden bereits Erfahrungen mit Volksbegehren und Volksinitiativen gemacht. Es gibt Modelle, die man gut auf die Bundesebene übertragen kann. Auf jeden Fall werden wir entsprechende Initiativen in den Bundestag einbringen. Ich würde mich freuen, wenn die Koalition diesen Initiativen gegenüber aufgeschlossen wäre, sie prüfen, begleiten und gegebenenfalls unterstützen würde.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Der Landesrechnungshof muss froh sein!)