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Prävention statt Rechtsunsicherheit!

Rede von Halina Wawzyniak,

Halina Wawzyniak (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Debatten zum Sexualstrafrecht zählen zu den schwierigsten. Sie eignen sich nicht für Polemik und nicht für Polterei. Deswegen sage ich sehr deutlich: Jede Straftat in diesem Bereich ist eine Straftat zu viel. Es gibt keine Rechtfertigung.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser zentraler Ansatzpunkt bei der Bewertung des Gesetzentwurfs ist Prävention. Ich bin sehr froh, dass das Ministerium das Projekt „Kein Täter werden“ unterstützt. Wir glauben, es ist notwendig, dass es einen Rechtsanspruch auf Therapie in den Strafvollzugsgesetzen gibt. Wir glauben, dass es zur Verhinderung von Rückfalltaten nötig ist, nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe umfassende Hilfe und Unterstützung bei der Resozialisierung anzubieten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Strafrecht ist immer Ultima Ratio. Deswegen braucht ein rechtsstaatliches Strafrecht Straftatbestände, die dem Bestimmtheitsgebot entsprechen. Wir haben uns bei der Bewertung des Gesetzentwurfes mit den einzelnen Maßnahmen befasst und geschaut, ob sie unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erforderlich oder hilfreich sind, um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu verhindern.

Der Gesetzentwurf will - darauf ist hingewiesen worden - die Verlängerung der Ruhensvorschriften der Verjährung. Wir haben Verständnis für das Anliegen der Opfer, auch noch zu einem recht späten Zeitpunkt eine Strafbarkeit der Täter zu ermöglichen. Trotzdem muss ich Ihnen sagen: Mich persönlich überzeugt der Vorschlag nicht. Die Mehrheit in diesem Haus hat im Jahr 2013 mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs die strafrechtlichen Verjährungsfristen verlängert. Eine Evaluation, was diese Verlängerung gebracht hat, liegt uns nicht vor. Ich glaube, wir brauchen zuerst eine Evaluierung, bevor wir wieder Verjährungsfristen verlängern.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist eine Binsenweisheit, dass es, je länger eine Straftat zurückliegt, desto schwieriger ist, mit rechtsstaatlichen Mitteln eine solche Straftat nachzuweisen. Möglicherweise - ich bitte einfach nur, darüber nachzudenken - führt eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen dazu, dass wir die berechtigten Hoffnungen von Opfern sexualisierter Gewalt enttäuschen, weil aufgrund der langen Zeit Straftaten rechtsstaatlich nicht mehr nachgewiesen werden können. Wenn wir die Hoffnungen der Opfer enttäuschen, dann schadet das am Ende auch dem Rechtsstaat.

(Beifall bei der LINKEN)

In § 184 b StGB soll der Begriff der Kinderpornografie erweitert werden. Es soll strafbar sein „die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Sie selber weisen in der Gesetzesbegründung auch darauf hin, dass der BGH sagt, dass das bereits jetzt strafbar ist. Nach der Begründung sollen auch „unwillkürlich eingenommene geschlechtsbetonte Körperhaltungen, etwa durch ein schlafendes Kind“, Kinderpornografie sein. Es soll „lediglich auf die Körperhaltung selbst“ ankommen.

Ich verstehe auch hier das Anliegen hinter diesem Vorschlag. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich hier erhebliche Schwierigkeiten mit dem Bestimmtheitsgebot sehe. Wir brauchen in diesem Bereich Rechtssicherheit und keine Rechtsunsicherheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach dem, was in der Begründung steht, weiß niemand, der ein schlafendes Kind fotografiert, ob er unter diesen Straftatbestand fällt oder nicht. Ich weiß, dass es um das Kindeswohl geht; und das Kindeswohl liegt uns am Herzen. Aber ich glaube, dass dies der falsche Weg ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Nach der vorgesehenen Änderung des § 184 d soll auch der bestraft werden, „wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzurufen.“ Soweit es um den Download geht, sind wir uns alle einig, dass das strafbar ist und dass das strafbar bleiben muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich aber den Gesetzentwurf richtig gelesen und auch verstanden habe - das ist ja nicht immer dasselbe -,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

wird mit dieser Formulierung allein der Aufruf und damit auch der unbeabsichtigte Aufruf unter Strafe gestellt. In der Gesetzesbegründung heißt es, „wobei der Abruf nicht die Speicherung des Werkes bei dem Abrufenden voraussetzt.“ Unsere europäischen Nachbarn verlangen für ähnliche Straftatbestände eine bewusste Handlung, die sich zum Beispiel durch Speichern oder Bezahlen manifestiert. Die entscheidende Frage an dieser Stelle lautet, wie denn ein Aufruf, nur ein Aufruf überhaupt kontrolliert werden soll. Kann es möglicherweise sein, dass sich hier Befürworter der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ein Hintertürchen für die kommenden Debatten offengelassen haben?

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch des Abg. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU))

Das allergrößte Problem in Ihrem Gesetzentwurf haben wir aber mit der Änderung des § 201 a StGB. Das hat nichts mehr mit dem Sexualstrafrecht zu tun. Nach diesem Vorschlag soll sich künftig strafbar machen, „wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, oder unbefugt eine Bildaufnahme einer unbekleideten anderen Person herstellt oder überträgt.“ Nun ist in § 22 Kunsturhebergesetz geregelt, dass Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen. In § 23 sind Ausnahmen geregelt, zum Beispiel für Personen des öffentlichen Lebens. In § 23 Absatz 2 gibt es wiederum Ausnahmen von der Ausnahme. Die Verbreitung ist ohne Einwilligung dann nicht erlaubt, wenn das berechtigte Interesse verletzt wird. Ein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz ist nach § 33 strafbar.

Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht die Regelungslücke, die Sie hier schließen wollen. Darüber hinaus ist eine Definition von „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“, die dem Bestimmtheitsgebot in irgendeiner Weise entspricht, nicht erkennbar. In der Gesetzesbegründung stellen Sie - das ist die Ursprungsformulierung aus dem Referentenentwurf - auf bloßstellende Bildaufnahmen ab. Darunter werden solche verstanden, „die die abgebildete Person in peinlichen oder entwürdigenden Situationen oder in einem solchen Zustand zeigen, und bei denen angenommen werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran besteht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Dritten zugänglich gemacht werden.“ Ich sage Ihnen: Anwältinnen und Anwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Richterinnen und Richter freuen sich schon jetzt auf die Bearbeitung all der Einzelfälle, in denen zu entscheiden ist, ob die Aufnahme nun eine ist, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblichen Schaden zuzufügen. Das ist einfach nicht fassbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um dem noch einen draufzusetzen ‑ ich muss sagen: das ist aus meiner Sicht die Krone der Unvernunft ‑, wollen Sie die Herstellung solcher Bilder unter Strafe stellen. Wenn also jemand findet, dass jemand ein Foto gemacht hat, welches geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, erstattet er oder sie Anzeige. Dann wird ermittelt, ob der Tatbestand erfüllt ist, also ob das Foto wirklich geeignet ist, dem Ansehen erheblichen Schaden zuzufügen. Blöd nur, wenn das Foto schon wieder gelöscht wurde, ohne dass es irgendwo abgespeichert oder gar irgendwohin übertragen wurde. Was Sie erreichen ‑ das sage ich Ihnen voraus ‑, ist eine Erhöhung der in der Kriminalstatistik erfassten Straftaten. Was Sie erreichen, sind Ermittlungen gegen Personen, die ein solches Foto machen. Ich sage Ihnen: Das ist eine Vergeudung von Ressourcen. Diese Mittel wären viel besser im Bereich der Prävention eingesetzt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Kritik der Rechtswissenschaft an dieser Stelle ist verheerend, und zwar zu Recht.

Ich komme zum Schluss. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sollten mit der zweiten Alternative Bildaufnahmen unbekleideter Kinder erfasst werden. Im Gesetzentwurf steht aber „Personen“. Das ist ungenau. Wir können Sie nur dringend bitten: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück und überdenken Sie ihn! Er ist für uns in dieser Art und Weise nicht zustimmungsfähig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)