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Patientenrechtegesetz lässt Patienten im Regen stehen

Rede von Kathrin Vogler,

Ein Patientenrechtegesetz ohne Entschädigungsfonds, ohne weiterreichende Beweislasterleichterung und ohne eine Reform des Gutachterwesens hilft den Opfern von Behandlungsfehlern nicht. Es ist noch nicht mal ein Placebo. In ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag erläutert Kathrin Vogler ihre Kritik an dem Gesetz der schwarz-gelben Bundesregierung und stellt die Vorschläge der LINKEN vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Zöller, das, was Sie gerade erzählt haben, glauben Sie doch selber nicht. Sie wissen alle, was ein Placebo ist. Genau das ist leider dieses Patien-tenrechtegesetz, das uns die schwarz-gelbe Bundesregierung hier vorgelegt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, ein Medikament ohne Wirkstoff. Leider fehlt Ihrem Patientenrechtegesetz so mancher wichtige Inhaltsstoff im Sinne der Patientinnen und Patienten, der nützlich gewesen wäre. Ja, den Krankenkassen erlegen Sie die eine oder andere neue Pflicht auf. Manches bleibt aber vage. Zum Beispiel ist die Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern nur eine Soll-Regelung und keine Muss-Regelung. Selbst da bleiben Sie im Vagen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen! Das sollte man machen, wenn man darüber diskutiert!)

– Ja, ich habe es schon gelesen.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Scheinbar nicht!)


Die Frankfurter Rundschau schreibt heute völlig zu Recht, das sei kein Patientenrechtegesetz, sondern ein „Ärzteschutzprogramm“,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine Zeitung, die kurz vor der Insolvenz steht! Kein Wunder, dass sie so einen Unsinn erzählt!)

und die Aussage, die Beweislasterleichterung führe zu einer Defensivmedizin, wie der Gesundheitsminister so gerne sagt, sei barer „Unsinn“. Das kann ich nur unterschreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Zöller, wenn Sie jetzt sagen, der Gesetzentwurf sei mit den Beteiligten im Konsens ausgehandelt worden, dann schließt Ihr Konsens wohl sehr viele Patientenorganisationen aus; sie sind – das ist bei der Anhörung sehr deutlich gesagt worden – mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung überhaupt nicht zufrieden.
Frau Dyckmans hat hier schon wieder einen Mythos verbreitet, und zwar den, dass Sie die Patientenrechte in einem Gesetz bündelten. Auch da Fehlanzeige: Statt dass Sie ein Patientenrechtegesetzbuch aus einem Guss vorlegen, wird jetzt am Bürgerlichen Gesetzbuch, am SGB V, an der Patientenbeteiligungsverordnung und am Krankenhausfinanzierungsgesetz herumgedoktert. Das muss einmal gesagt werden; das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie schreiben nur fest, was Richterinnen und Richter bereits im Sinne der Patientinnen und Patienten entschieden haben,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind schon taub!)
Sie gehen kaum darüber hinaus.

(Marco Buschmann [FDP]: Was?)

Im Gegenteil, Sie riskieren, dass eine Weiterentwicklung durch Richterrecht nicht mehr möglich ist. Worüber reden wir hier eigentlich,

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Worüber Sie reden, frage ich mich auch!)

was sind denn die wichtigsten Dinge, die fehlen? Angenommen, ein Patient bekommt einige Monate nach seiner Hüftoperation Probleme, weil sich das künstliche Hüftgelenk lockert, der Patient hat Schmerzen, kann sich nicht mehr bewegen, kann nicht mehr laufen, kann nicht arbeiten, muss neue Untersuchungen, neue Behandlungen über sich ergehen lassen, muss wieder ins Krankenhaus und vielleicht noch mehrfach operiert werden. In dieser Situation ist doch der Betroffene, der Patient, ohnehin schon belastet. Und dann muss er noch selber die Beweiskette führen. Sie besteht aus drei Elementen: erstens dass er den Schaden hat, zweitens dass es einen Behandlungsfehler gegeben hat und drittens dass dieser Behandlungsfehler ursächlich für das lockere Hüftgelenk ist. Als medizinischer Laie ist er gegenüber der Ärztin, dem Arzt oder dem Klinikkonzern mit seiner juristischen Abteilung hundertprozentig im Nachteil.
Deswegen sagen wir als Linke: Ein Patientenrechtegesetz, das diesen Namen verdient, muss für die Patientinnen und Patienten bei der Beweislast deutliche Erleichterungen bringen. Das hat die Bundesregierung leider versäumt. Deswegen ist ihr Gesetzentwurf für uns nicht zustimmungsfähig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben einen Entschädigungsfonds gefordert. Fast alle Fraktionen des Hauses haben in irgendeiner Form über einen solchen Entschädigungs- oder Härtefallfonds nachgedacht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen darüber, wie er ausgestaltet werden könnte, sind uns aber einig im Ziel: dass Patientinnen und Patienten in so einer schwierigen Situation schnell und unbürokratisch geholfen werden muss.
Das hat die FDP leider im Sinne der Ärztelobby verhindert. Sie haben gemauert und damit einen weiteren Fortschritt im Sinne der Patientinnen und Patienten verhindert. Auch deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch den SPD-Antrag zum Härtefallfonds halten wir für politisch unverdaulich.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Mechthild Rawert [SPD]: Du sollst ihn auch nicht essen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie hat sich verschluckt!)

Wir unterstützen zwar Ihr Anliegen, die Diskussion über den Härtefallfonds wiederzubeleben, halten aber Ihre Finanzierungspläne für nicht ausgegoren und nicht geeignet. Sie wollen, dass dieser Härtefallfonds unter anderem über die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten zum Krankenhausaufenthalt bezahlt wird.

(Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Mit bezahlt!)

Wir sind der Auffassung: Diese Zuzahlungen sind noch unsozialer als die Praxisgebühr, die wir vor kurzem alle gemeinsam abgeschafft haben. Deswegen können wir auch Ihrem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir allerdings gut finden und wofür ich der SPD ausdrücklich danken möchte, ist der Antrag, die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen besser zu regulieren und einzudämmen. Wir unterstützen das. Bei den IGeL-Leistungen wird in den Arztpraxen allerlei Schindluder und Beutelschneiderei betrieben. Davor müssen wir – wir alle gemeinsam – die Patientinnen und Patienten schützen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Auch bei der Sicherheit der Medizinprodukte wollen wir etwas unternehmen. Auch dazu findet sich im Gesetzentwurf der Bundesregierung nichts wieder. Wir alle erinnern uns an den Betrug mit defekten Brustimplantaten. Vor kurzem hat eine britische Medizinzeitschrift aufgedeckt, dass die 80 Zertifizierungsstellen in Europa, die Medizinprodukte zertifizieren, doch nicht so gut arbeiten, wie man es von ihnen erwarten müsste. Diese Zeitschrift hat in mehreren Fällen herausgefunden, dass diese Zertifizierungsstellen bereit waren, Hüftprothesen, die offensichtlich unsicher waren und die Patientensicherheit gefährdeten, zu zertifizieren. Das ist bei privatwirtschaftlichen Einrichtungen, die im Auftrag der Industrie tätig werden und Aufträge akquirieren müssen, auch kein Wunder.
Deshalb fordern wir mit unserem Entschließungsantrag eine EU-weite zentrale Behörde zur Zertifizierung von Medizinprodukten. Denn es kann doch nicht angehen, dass Medizinprodukte, die in den Körper eingesetzt werden, unsicher sind. Dagegen müssen wir gemeinsam etwas unternehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verspielen hier leider eine große Chance. Wieder einmal hat Ihnen der Mut gefehlt, sich mit mächtigen Lobbygruppen anzulegen. Stattdessen enttäuschen Sie die Patientinnen und Patienten und ihre Selbsthilfeorganisationen. Das machen wir nicht mit. Deswegen werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN)