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Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland wird es keine stabile Entwicklung geben

Rede von Wolfgang Gehrcke,

Rede zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

 

Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland

127. Sitzung des 16. Deutscher Bundestages am 16. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Schönen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Verdienst der Fraktion der Grünen, dass sie die Große Anfrage gestellt und damit auch eine Debatte hier im Plenum des Bundestages herbeigeführt hat. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass eine solche Debatte bei vollerem Haus und zu einer günstigeren Zeit stattgefunden hätte, weil die Beziehungen zu Russland wirklich eines der Grundthemen der deutschen und der europäischen Außenpolitik sind. Das ist überhaupt keine Frage.

Ich finde, das Ergebnis, das sich in Ihrem Entschließungsantrag niederschlägt, wird diesem Anspruch überhaupt nicht gerecht. Ich gebe zu - das ist auch mein Eindruck -, dass das, was von der Regierung hinsichtlich der strategischen Partnerschaft immer verbreitet wird, so etwas wie eine Blackbox ist. Es wird nie inhaltlich beschrieben.

Das, was die Grünen in ihrem Entschließungsantrag anbieten, ist aber überhaupt keine Strategie. Insofern nimmt das eine dem anderen nichts. Aus meiner Sicht muss man auf einer vernünftigen Grundlage noch einmal darüber nachdenken, wie eine außenpolitische Philosophie gegenüber Russland gestaltet werden kann. Ein Ergebnis des neuen Denkens, das ja auch ein wenig mit einem russischen Politiker zusammenhängt, ist, dass man die Interessen des Partners, des Kontrahenten oder des Gegners immer in die eigenen Überlegungen mit einbezieht, sie also nicht nur konträr betrachtet. Eine der großen Erfahrungen in der Außenpolitik - und nicht nur dort - ist, dass man Demütigungen immer vermeiden muss, egal, ob man sie bewusst herbeiführt oder ob sie herbeigeführt worden sind. Das wäre eine außenpolitische Philosophie, über die es sich nachzudenken lohnte.

Ich sage Ihnen ganz nüchtern: Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland gibt es keine Europapolitik. Eine Europapolitik ohne Russland ist nicht denkbar. Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland werden Sie kein außenpolitisches Problem lösen können. Darauf mussten Sie erst aufmerksam gemacht werden. Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland wird es keine stabile Entwicklung geben, auch keine ökonomische.

Der Ansatzpunkt meiner Überlegungen ist, ob nicht auf der Basis der OSZE eine Zweitauflage der großen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auf der man sich durchaus mit den drei Körben der KSZE befassen könnte, notwendig ist. Ich will Ihnen ein paar Dinge vorhalten. Entschuldigung, Frau Beck, wenn ich das so zuspitze, aber der rote Faden, der sich durch Ihre Vorlagen zieht, ist der erhobene Zeigefinger. Das finde ich am schlimmsten. Wenn ich über die deutsche Politik gegenüber Russland, Israel und Polen nachdenke, dann werde ich nie die deutsche Vergangenheit ausblenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein erhobener Zeigefinger bringt überhaupt nichts. Aber genau das tun Sie. Lesen Sie doch einmal Ihren Text! Ich bitte Sie, unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses der russischen Politik darüber nachzudenken, ob das Gefühl der Einkreisung durch die Ausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands im Westen und nun zunehmend auch im Süden - das liegt auf der Hand; die Avancen der USA an Georgien, Aserbaidschan und Armenien, Mitglied der NATO zu werden, sind doch bekannt - tatsächlich aus der Luft gegriffen ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob das System der Raketenabwehr in Polen und Tschechien Europa nicht erneut spaltet.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie, darüber nachzudenken - das brauchen wir jetzt nicht auszudiskutieren; Frau Schuster ist darauf bereits ausführlich eingegangen -, ob das Scheitern des KSE-Vertrages - weil die NATO ihn nicht ratifiziert hat - nicht ein solches Gefühl verstärken muss. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob das von Russland artikulierte ökonomische Interesse daran, dass die neuen Pipelines nicht an seinen Grenzen vorbeigehen - das nehmen Sie in der Energiepolitik bei anderen Staaten immer hin -, nicht berechtigt ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob nicht gerade das Vorgehen in der Kosovo-Politik die Spaltung in Europa vertieft und ob Russland in dieser Frage nicht eine vernünftige, weitsichtige Position bezieht. Wenn Sie das alles ausblenden, werden Sie nicht zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland kommen.

Ich will abschließend sagen: Ich bin ein Gegner der Innenpolitik und der strategischen Orientierung der Politik unter Putin. Das hat mit meinen politischen Vorstellungen überhaupt nichts zu tun. Ich kritisiere die russische Innenpolitik, aber von einem anderen Standpunkt aus. Ich kritisiere sie, weil sie zu wenig sozial und demokratisch ist. Aber ich nehme immer eine Position der Gemeinsamkeit mit Russland und nicht eine Position des erhobenen Zeigefingers ein.
Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)