Zum Hauptinhalt springen

Norbert Müller: Nicht nur Messen, sondern Handeln!

Rede von Norbert Müller,

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 96 Milliarden Stunden Arbeit im Jahr wird in Familien im Haushalt und in der Sorgearbeit unbezahlt geleistet. Aber diese 96 Milliarden Stunden im Jahr, die unbezahlt in Familien als sogenannte Care-Arbeit geleistet werden, sind sehr ungleich verteilt. Wir wissen, dass Frauen 52 Prozent mehr Zeit für Sorgearbeit, für Erziehungsarbeit, für die Pflege von Angehörigen und für den Haushalt aufbringen als Männer. Wir vermuten – dafür gibt es erste Indizien –, dass im letzten Jahr gerade durch die Coronapandemie dieser Gender Care Gap sogar noch größer geworden ist, das heißt, dass Frauen für den Haushalt noch mehr Zeit aufbringen im Vergleich zu Männern. Frauen leisten im Schnitt täglich 1,5 Stunden mehr Arbeit im Haushalt und bei der Kindererziehung als ihre Partner – das sagen uns die bisherigen Erhebungen –, und im Gegenzug können sie weniger arbeiten gehen. Sie haben entsprechend geringere Einkommen, sie stecken eher in der Teilzeitfalle, und sie verdienen am Ende weniger.

Woher haben wir all diese Daten? All diese Daten haben wir aus Zeitverwendungserhebungen, die das Statistische Bundesamt alle zehn Jahre durchführt. Ich finde es gut, dass wir diese Daten erheben, weil sie uns bei der politischen Auseinandersetzung helfen und weil sie Aufgaben klar beschreiben, nämlich diese Ungerechtigkeit abzubauen. Dagegen kann auch niemand mehr was sagen. Wir wissen: Das ist so. Und wir müssen es ändern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und deswegen ist es gut, dass der Deutsche Bundestag heute das Zeitverwendungserhebungsgesetz beschließen wird. Es kommt sehr technisch daher – der Kollege Schwartze hat darauf hingewiesen –, aber wir schaffen damit die rechtliche Grundlage, dass diese Daten in Zukunft weiterhin erhoben werden können. Die Anhörung hat klar ergeben: Es wäre sinnvoller, sie in deutlich kürzeren Taktungen als alle zehn Jahre zu erheben. Wir bräuchten sie viel öfter, damit wir zum Beispiel auf die Erfahrungen aus der Coronapandemie reagieren können.

Die entscheidende Frage ist doch: Was machen wir eigentlich mit diesen Daten? Was machen wir mit diesen ziemlich brutalen Erkenntnissen? Ich möchte Ihnen in der noch verbleibenden Redezeit einige Punkte nennen, die, wie wir Linke finden, jetzt daraus resultieren müssen.

Erstens. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen haben wir – darüber können Sie in den nächsten Wochen hier im Deutschen Bundestag abstimmen – einen Antrag gestellt, mit dem wir zehn Tage Elternschutz für angehörige Partnerinnen oder Partner von gerade gebärenden jungen Müttern fordern. Das bietet die Chance, dass beide Elternteile nach der Geburt eines Kindes zehn Tage bezahlt zu Hause bleiben können. Das ist doch eine super Sache und würde sofort helfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf familiengerechte Arbeitszeit für alle, die Verantwortung für Pflege und Erziehung im Haushalt tragen.

Drittens. Wir brauchen eine bessere Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten bei der Rente. Es müsste doch längst eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese Zeiten bei der Rente viel besser berücksichtigt werden und die Leute im Alter auch noch etwas davon merken.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Viertens. Diesen Punkt haben wir schon häufiger hier vorgeschlagen: Wir brauchen eine umfassende Elterngeldreform. Wir fordern zu diesen Bundestagswahlen einen Elterngeldanspruch von zwölf Monaten für jeden Partner, der zu Hause ist, damit sich beide Elternteile geschlechtergerecht um die Sorge ihrer Kinder kümmern können. Es darf nicht weiter so sein, dass die Väter in aller Regel arbeiten gehen und die Frauen die meiste Zeit zu Hause bleiben, weil sie das geringere Einkommen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wir wollen mehr Zeit für Familien. Wir wollen dafür aber auch eine geringere Arbeitszeit. Wir sagen: Der erste Schritt ist die 35-Stunden-Woche. Perspektivisch brauchen wir ein neues Normalarbeitsverhältnis, wo niemand mehr als 30 Stunden die Woche arbeiten soll.

Dann bleibt mehr Zeit für Familie, und das müssen wir dann noch gerechter aufteilen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])