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Niema Movassat: Den Überwachungsstaat zurückdrängen

Rede von Niema Movassat,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren erleben wir einen rasanten Abbau von Grundrechten. Unter dem Vorwand, den Terror zu bekämpfen, wurde ein sogenanntes Sicherheitsgesetz nach dem anderen verabschiedet. Alle Bundesregierungen der letzten Jahre waren daran beteiligt. Ich habe mir das einmal angeschaut und muss sagen: Es ist ein wahrer Exzess. 2001 ging es mit dem Sicherheitspaket los. Dann kamen Rasterfahndung, Kontodatenabrufe, Terrorabwehrzentren, Luftsicherheitsgesetz, Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, Visawarndatei und Onlinedurchsuchung. Es gibt offenbar kein Halten. Alle sind dafür, Terror und Kriminalität zu bekämpfen. Aber wo, bitte, bleibt die Verhältnismäßigkeit?

(Beifall bei der LINKEN)

Niemand kann wollen, dass wir in einem Überwachungsstaat leben. Das wäre das Ende der Demokratie. Bei vielen Gesetzen wurden die rechtsstaatlichen Grenzen maßlos überschritten. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche der genannten Gesetze ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklärt, darunter auch das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Leider hat sich die Große Koalition davon nicht beirren lassen und die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt. Heute liegt ein Gesetzentwurf der FDP vor, der sowohl die Vorratsdatenspeicherung als auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abschaffen will. Für alle, die immer noch denken: „Ich habe ja nichts zu verbergen“, will ich vier Gründe nennen, warum die Vorratsdatenspeicherung in die Tonne gehört:

Erstens. Bei der Vorratsdatenspeicherung müssen Telekommunikationsunternehmen personenbezogene Daten, ohne dass irgendein rechtlicher Vorwurf besteht, speichern. Wer mit wem wann telefoniert hat, wird festgehalten. Der gläserne Bürger, der Traum aller Überwachungsfans, rückt einen großen Schritt näher. Die Vorratsdatenspeicherung ist einer der schwersten Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung. Als Demokrat muss man dazu Nein sagen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens. Selbst die Daten von Journalisten und Anwälten werden gespeichert. Gerade Angehörige dieser Berufe arbeiten mit hochsensiblen Informationen. Wie soll denn ein Journalist noch Quellenschutz betreiben können? Wie soll er mit Whistleblowern telefonieren, wenn der Staat seine Telefondaten prüfen kann?

Drittens. Die Vorratsdatenspeicherung bringt für die Ermittlungen nichts. Das sagt das Max-Planck-Institut in einem Gutachten. Dort hat man 2011 geprüft, ob ohne Vorratsdatenspeicherung Sicherheitslücken entstehen. Die klare Antwort: Nein. Es liegen – ich zitiere – „keinerlei Hinweise dafür vor, dass auf Vorrat gespeicherte Verkehrsdaten in den letzten Jahren zur Verhinderung eines Terroranschlags geführt hätten“. Die Vorratsdatenspeicherung ist also ermittlungstechnisch sinnlos.

Viertens ist die Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig. Das sagt das Oberverwaltungsgericht NRW. Es folgt damit dem Europäischen Gerichtshof. Dieser sieht in ihr einen schwerwiegenden Eingriff in den Datenschutz und das Kommunikationsrecht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gibt keinen Raum dafür, Daten zu speichern, ohne dass irgendein Verdacht gegen die betroffene Person besteht. Mit diesem Urteil ist die Vorratsdatenspeicherung tot, und das ist gut so.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Bundestag sollten diesen grundrechtswidrigen Zustand schnellstmöglich beheben und die Vorratsdatenspeicherung abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die FDP will auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abschaffen. Darüber haben wir in der vorigen Debatte ausführlich diskutiert. Wir haben einen eigenen Antrag, der klüger ist, weil er ebenfalls die problematischen Lösch­pflichten von Facebook und Co streicht, aber die sinnvollen Berichtspflichten etc. stehen lässt.

Für die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung könnte es hier im Haus eine Mehrheit geben. Insbesondere an die Abgeordneten der SPD appelliere ich – bei Ihnen gab es damals ja viel Unmut beim Thema Vorratsdatenspeicherung; viele haben nur mit größten Bauchschmerzen zugestimmt –:

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Gewissensentscheidung!)

Gehen Sie in sich! Wir könnten hier eine Mehrheit dafür haben, die Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen und dieses grundrechtswidrige Gesetz in die Tonne zu kloppen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)