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Neuer freiwilliger Zivildienst: zusätzliche Stellen schaffen und fair bezahlen

Rede von Steffen Bockhahn,

Rede in der abschließenden Debatte zum Haushalt 2011 zum Etat des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Steffen Bockhahn (DIE LINKE):


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ab dem kommenden Jahr ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Die Abschaffung wäre selbstverständlich das Richtige gewesen, aber die Wehrpflicht ist nur ausgesetzt. Insofern ist es folgerichtig, dass man auch die Parallelstruktur nicht vollständig abschafft; denn genauso, wie Sie die Wehrpflicht jetzt Hals über Kopf ausgesetzt haben, traue ich Ihnen zu, dass Sie sie auch wieder einsetzen.

(Florian Toncar (FDP): Na ja!)

Insofern ist es notwendig, eine Parallelstruktur aufrechtzuerhalten,

(Sönke Rix (SPD): Quatsch! Die brauchen wir nicht!)

und insofern kann man auch gut erklären, dass es einen freiwilligen Zivildienst gibt. Das ist natürlich die Folge der Aussetzung der Wehrpflicht. Dass Sie diese Struktur aufrechterhalten, ändert sich nichts daran, dass es in diesem ganzen Bereich einen gravierenden Strukturwandel geben wird; das ist ganz klar. Das wird allein dadurch deutlich, dass Sie die Zahl der Dienststellen von 90 000 auf 35 000 reduzieren.
Sie haben jetzt natürlich die Chance, ihre eigenen Ansprüche an den Zivildienst zu erfüllen. Sie können jetzt zeigen, dass es sich tatsächlich um zusätzliche Stellen und nicht um Billiglohnjobs handelt. Sie haben die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Berufsorientierung und Bildungselemente in diesem freiwilligen Zivildienst endlich eine größere Rolle spielen, als das vorher im unfreiwilligen Zivildienst der Fall gewesen ist. Bei allem, was ich positiv an diesem Element zu sehen bereit bin, frage ich mich: Was unterscheidet eigentlich einen westdeutschen Zivildienstleistenden von einem ostdeutschen?

(Markus Grübel (CDU/CSU): Er hat eine andere Beitragsbemessungsgrenze!)

Warum bekommt der westdeutsche bis zu 324 Euro und der ostdeutsche nur bis zu 273 Euro?

(Markus Grübel (CDU/CSU): Das ist ganz einfach: weil die Beitragsbemessungsgrenze unterschiedlich ist!)

Das sind 16 Prozent Unterschied. 20 Jahre nach der deutschen Einheit degradieren Sie Ostdeutsche ein weiteres Mal und geben ihnen 16 Prozent weniger Geld. Dafür sollten Sie sich schämen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem mache ich mir jetzt schon Sorgen, was Ihnen zum freiwilligen Zivildienst noch alles einfällt. Nachdem wir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder erfahren durften, wie kreativ Sie bei den Arbeitslosenstatistiken sind, warte ich nur darauf, dass der freiwillige Zivildienst ein freiwilliger Dienst für Arbeitslose wird, damit sie aus der Statistik fallen. Ich hoffe, dass Sie das bisher noch nicht in Betracht gezogen haben und dass Sie das auch künftig nicht werden.
Wir reden hier über ein hohes Maß an Engagement im Freiwilligenbereich. Das gibt es in dieser Gesellschaft auch woanders, nämlich beim Einsatz für Demokratie und Toleranz, vor allen Dingen beim Kampf gegen Rechtsextremismus. Es ist gut, dass bei den Mitteln für den Kampf gegen Rechtsextremismus in diesem Jahr nicht gespart wird. Viele ambitionierte Projekte, die überall im Land große Beachtung finden, sind ein Beleg dafür, dass immer wieder gute Arbeit geleistet wird.
Selbstverständlich gibt es immer wieder CDU-Landräte und Bürgermeister, die sich erfreut bei entsprechenden Anlässen im Zusammenhang mit solchen Initiativen und Kampagnen zeigen, wo es sich gut macht. Aber langsam scheinen Ihnen die Interessenten für Ihre neuen Programme auszugehen. Der Grund dafür ist relativ einfach: Die Träger wollen nicht mehr; denn ab sofort verlangen Sie die Unterschrift unter eine Erklärung, die äußerst problematisch ist. Um es klar zu sagen: Es ist nicht zu viel verlangt, dass sich die Träger von Projekten, die sich aus Steuermitteln finanzieren, zum Grundgesetz bekennen. Ich kann aber nicht sehen, dass das bisher nicht der Fall war. Künftig soll Folgendes unterschrieben werden:
Hiermit bestätigen wir, dass wir
uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und
eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.
Das ist kein Problem. Aber dann geht es weiter:
Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten … und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

So weit, so gut. Unabhängig davon, dass jeder Laie erkennt, dass das nicht justiziabel ist, verlagern Sie die Verantwortung auf die Träger. Das ist unglaublich; das kann niemand leisten. Das wissen die Träger, und deswegen laufen sie Sturm.
Im Übrigen gehen Sie dabei von einem hochinteressanten Linksextremismus-Begriff aus; denn Linksextremismus beschreibt Ihrer Meinung nach „Bestrebungen von Personenzusammenhängen …, die anstelle der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft … etablieren wollen“. Das sind zwar durchaus Dinge, die Sie nicht mögen. Sie sind aber im Zweifel unter bestimmten Bedingungen sogar vom Grundgesetz gedeckt. Viel dramatischer ist aber, dass Sie damit Trägern untersagen, nicht nur nicht mit uns, sondern auch nicht mit der SPD zusammenzuarbeiten. Sie will auch den demokratischen Sozialismus. Aber linksextrem ist sie nicht; das kann ich Ihnen versichern.
Der entscheidende Punkt ist, dass Sie an der Stelle eine haushalterische Gleichsetzung vornehmen. Sie sagen immer: Haushaltspolitik ist in Zahlen gegossene Politik. Sie setzen Dinge gleich, die nicht gleichzusetzen sind. Auch wenn es Ihnen nicht gefallen mag, das immer wieder zu hören: Es hat seit 1990 143 Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt gegeben. Es gab aber seit 1990 nicht ein einziges Opfer linksextremer Gewalt, Herr Toncar. Hören Sie genau hin!

(Florian Toncar (FDP): Schlicht und einfach falsch!)

Das mag Ihnen nicht gefallen. Trotzdem sind es die Fakten. Sie setzen Dinge gleich, die nicht gleichzusetzen sind. Das ist kreuzgefährlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))