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Nachhaltigkeitsstrategie - Fortschrittsbericht 2008

Rede von Lutz Heilmann,

Lutz Heilmann (DIE LINKE):
Als Abgeordneter der Linksfraktion im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung freue ich mich über die Aufmerksamkeit, die dem Fortschrittsbericht 2008 mit dieser Debatte zuteil wird, damit die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie im politischen Alltagsgeschäft verankert wird. Als Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung haben wir mit unseren bisherigen Stellungnahmen dazu beigetragen, die Nachhaltigkeitsstrategie positiv weiterzuentwickeln, auch wenn diese noch erhebliche Schwächen aufweist! Jetzt kommt es vonseiten der Bundesregierung darauf an, ihre Verbindlichkeit zu stärken. Die Einführung der verbindlichen Nachhaltigkeitsprüfung im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung, bei der nachhaltigkeitsrelevante Gesetzentwürfe auf ihre Auswirkungen auf die Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie hin geprüft werden müssen, kann einen Beitrag hierzu leisten. Mit der Einführung der Nachhaltigkeitsprüfung greift die Bundesregierung eine zentrale Forderung des Beirats auf. Trotz der oftmals mühsamen konsensualen Arbeitsweise entschädigt uns dieser Erfolg für viele unserer Mühen. Dabei sollte man keine falschen Erwartungen an die Nachhaltigkeitsprüfung stellen, da diese eine nicht nachhaltige Politik nicht verhindern wird. Aber zumindest kann sie dazu beitragen, die politische Kultur der Ministerialverwaltung transparenter zu gestalten. Dieses Ziel wird auch durch die Nachhaltigkeitsberichte der Ministerien unterstützt, die in ihrer jetzigen Form zwar noch verbesserungsfähig sind, nichtsdestotrotz jedoch ein notwendiger Bestandteil einer transparenten Ministerialverwaltung sind. Ohne den entsprechenden kontinuierlichen politischen Willen, der sich auch in diesen Nachhaltigkeitsberichten der Ministerien ausdrückt, wird sich allerdings nichts an der heutigen kritikscheuen und intransparenten politischen Kultur ändern. Indem der Parlamentarische Beirat diesen politischen Willen einfordert, kann auch er zu dem möglichen Erfolg der Nachhaltigkeitsprüfung beitragen. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass schon die jetzigen Aufgaben des Beirats bei den wenigen zur Verfügung stehenden Ressourcen viel Arbeitskraft verzehren. Selbst wenn der Beirat die parlamentarische Kontrolle der Nachhaltigkeitsprüfung als Aufgabe übernimmt, kann er dies aufgrund seiner Kapazitäten realistisch nur in einigen ausgewählten Fällen tun und nicht strukturell bei allen nachhaltigkeitsrelevanten Gesetzentwürfen. Mit dem vorliegenden Fortschrittsbericht 2008 hat die Bundesregierung die Konzeption der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie insgesamt positiv weiterentwickelt, vor allem im Bereich des Nachhaltigkeitsmanagements. Dies führt zu verbesserten Steuerungsmöglichkeiten des Nachhaltigkeitsprozesses, die jedoch ohne ein diesen Möglichkeiten entsprechendes sozialökologisches Verständnis wirkungslos verpuffen. Deswegen will ich zuerst näher
auf dieses „Nachhaltigkeits“-Verständnis der Bundesregierung eingehen:
Der Fortschrittsbericht 2008 der Bundesregierung betont zwar stärker als bisher, dass die Erhaltung der Lebensgrundlagen Ausgangspunkt und Basis für das Konzept von Nachhaltigkeit, für wirtschaftliches Handeln und die Sicherung des sozialen Wohlstands sein muss, weist jedoch ebenfalls darauf hin, dass „ob Wachstum nachhaltig ist […] angesichts des Klimawandels oft nur im Hinblick auf die Verbesserung der Umweltsituation bewertet“ wird (S. 23). Dabei ist es der Kardinalfehler der heutigen politischen Kultur, Wirtschaftswachstum zum Maß allen politischen Handelns zu machen und ökologische soziale Kosten dieser neoliberalen Entwicklung zu ignorieren, die zur derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise geführt hat. Frei nach Albert Einstein sage ich Ihnen: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind!“ Ein visionärer Nachhaltigkeitsbegriff sollte die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit des Planeten und eine Renaissance der sozialen Gerechtigkeit zur Grundlage allen politischen Handelns machen. Eine zukunftsfähige Entwicklung würde den Menschen in den Mittelpunkt der Kultur unseres Wirtschaftens stellen. Wenn die Bundesregierung zumindest ihr stark reduziertes Nachhaltigkeitsverständnis zur Leitlinie ihrer Regierungspolitik machen würde, wäre das ja schon ein Schritt in die richtige Richtung. Der Fortschrittsbericht entlarvt aber ein weiteres Mal die doppelzüngige Rhetorik zwischen Anspruch und Wirklichkeit ihres Handelns. Das beste Beispiel hierfür ist das Umweltgesetzbuch, dessen Scheitern veranschaulicht, welchen Stellenwert Umweltschutz für die zur Kanzlerin aufgestiegene ehemalige Umweltministerin gegenüber parteipolitischen Interessen hat. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Gleichstellungspolitik der Bundesregierung, seinem Wesen nach ein fundamentales Gerechtigkeitsthema. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichstellung zu fördern wird als staatlicher Auftrag durch Art. 2 Abs. 3 Grundgesetz festgeschrieben. Zentrale Aufgabe dabei ist der Abbau der Lohndiskriminierung von Frauen. Aber von dem im Fortschrittsbericht 2008 bekräftigten Ziel, den Verdienstabstand bis 2010 auf 15 Prozent und bis 2015 auf 10 Prozent zu reduzieren, ist die Bundesregierung meilenweit entfernt. Konkrete Maßnahmen zum Erreichen dieses Ziels werden im Fortschrittsbericht jedoch nicht genannt. Selbst die EU-Kommission regt eine Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen an, „die darauf abzielen, diskriminierende geschlechtsbezogene Elemente im Entgeltsystem zu beseitigen“. Demgemäß muss sich die Bundesergierung ihrer gesetzgeberischen Verantwortung bewusst werden. Maßnahmen, die diesem Ziel dienen, wären die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, da der Anteil der Frauen im Niedriglohnsektor 70 Prozent beträgt, die Verbesserung individueller und kollektiver Klagemöglichkeiten, Stichwort Verbandsklagerecht, und die Verpflichtung der Tarifpartner zur diskriminierungsfreien Entgeltbewertung in Tarifverträgen. Lassen Sie mich zum Schluss noch ein kurzes Fazit der Arbeit des Parlamentarischen Beirats anschließen. Trotz der Erfolge unserer gemeinsamen Arbeit im Beirat bleibt noch vieles zu tun, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen und beispielsweise die Nachhaltigkeitsprüfung mit Leben zu füllen. Der Beirat ist dazu aufgrund seiner experimentellen, meist konsensualen Arbeitsweise besonders geeignet, um neue Wege und Potenziale politischen Handelns über Parteigrenzen hinweg auszuloten. Daher unterstütze ich die Forderung, den Beirat unmittelbar zu Beginn der nächsten Wahlperiode einzusetzen.