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Mutig wäre es, die Unternehmensgewinne zu besteuern

Rede von Herbert Schui,

Die Vertreter der Koalition loben sich gegenseitig wegen ihrer mutigen Reformen. Ist es aber wirklich mutig, den Sozialstaat zu beseitigen? Herbert Schui in der zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes 2006 zum Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Mittwoch haben sich die Redner der Koalition gegenseitig wegen ihres Mutes gelobt. Herr Struck von der SPD nennt die Entscheidung von Herrn Müntefering, ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren zu fordern, mutig. Herr Kollege Scholz, SPD, sagt, dass die gegenwärtigen Kürzungen bei der Sozialpolitik an eine der mutigsten Reformpolitiken der letzten Jahrzehnte anknüpfen. Er stellt fest: Wir sind miteinander mutig. Das ist also eine große Koalition der Mutigen. (Heiterkeit bei der LINKEN) Ist es aber wirklich mutig, den Sozialstaat zu beseitigen? Ist es mutig, es den Machtlosen zu nehmen, die Armen ärmer zu machen? Ich erinnere an das Hartz-IV-Optimierungsgesetz. Die meisten Mitglieder des Kabinetts haben im vergangenen Herbst eine religiöse Eidesformel gewählt. Deswegen ist es, so meine ich, zulässig, ihren mutigen Kampf gegen die Armen unter christlich-moralischen Gesichtspunkten zu beurteilen. (Beifall bei der LINKEN) Wie stehen Sie zu dem Satz: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt...“ - wie das Zitat weitergeht, können Sie bei Ihren Ministern oder der Frau Bundeskanzlerin erfragen. (Heiterkeit bei der LINKEN) Mutig wäre es, den geringsten Brüdern - und sicherlich auch den Schwestern - nichts anzutun, sondern sich mit den Mächtigen anzulegen. Nehmen Sie es doch mit den Unternehmen auf! (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel hat am vergangenen Mittwoch davon geredet, dass bei der Unternehmensteuerreform mutige Schritte gemacht werden. Dieser Mut bedeutet: 8 Milliarden Euro mehr Gewinn durch die Halbierung des Körperschaftsteuersatzes. Wirklich mutig wäre es dagegen, die Steuern auf Gewinne, Dividenden, Zinseinnahmen und hohe Vermögen zu erhöhen. (Beifall bei der LINKEN) Schon etwas mutig ist dagegen, dass Herr Minister Steinbrück einräumt, dass die Regelgrenze in Art. 115 des Grundgesetzes zwar überschritten wird, dass dies aber keineswegs verfassungswidrig ist. Hier hat der Finanzminister Recht. Ich will noch einige Gründe beisteuern, damit noch deutlicher wird, wie sehr er Recht hat. Durch Art. 115 des Grundgesetzes wird bekanntlich eine Kreditaufnahme, die die öffentlichen Investitionen übersteigt, erlaubt, wenn dies zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts notwendig ist. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie halten die falsche Rede! Wir sind beim Wirtschaftshaushalt und noch nicht in der dritten Lesung!) - Wir sind beim Haushalt. - Was die Merkmale eines solchen Gleichgewichts sind, wird in § 1 des Stabilitätsgesetzes definiert, nämlich ein stabiles Preisniveau, ein hoher Beschäftigungsstand, ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein angemessenes Wachstum. Keineswegs im Gleichgewicht sind aber der Arbeitsmarkt und die Außenwirtschaft. Die Arbeitslosenquote beträgt 11,7 Prozent, der Handelsbilanzüberschuss beträgt 161 Milliarden Euro und der Leistungsbilanzüberschuss beträgt 92 Milliarden Euro. Damit ist gesagt: Auch der Überschuss der Außenwirtschaftsbilanz bedeutet ein Ungleichgewicht. Gemäß dem Stabilitätsgesetz werden durch dieses Ungleichgewicht Kreditaufnahmen ermöglicht, die die Investitionen des Staates übersteigen. Nun sagen Sie nicht, man könne nichts dagegen tun, weil die deutschen Produkte ja so wettbewerbsfähig, das heißt, so billig und von so hoher Qualität, sind, dass überall ein Markt für sie gefunden wird. Die Lösung des Problems der Herstellung eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts heißt: nicht weniger deutsche Exporte, aber mehr Importe nach Deutschland. Diese hängen vom deutschen Wirtschaftswachstum ab. Dazu muss die Nachfrage in Deutschland steigen. Das ist dann der Fall, wenn die Löhne und Sozialeinkommen zunehmen; denn von einem Euro zusätzlichem Einkommen werden etwa 28 Cent für Importgüter ausgegeben. Mit Haushaltsdefiziten lässt sich zusätzliches Wachstum anschieben, immer vorausgesetzt, dass durch die Mehrwertsteuererhöhung nicht an anderer Stelle eine Nachfragelücke geschaffen wird. Das Wachstum kann nur durch eine angemessene Einkommensverteilung aufrechterhalten werden. (Beifall bei der LINKEN) Die allgemeine Schlussfolgerung heißt: Der Haushalt ist deswegen im Einklang mit der Verfassung, weil durch Haushaltsdefizite mehr Nachfrage geschaffen wird und weil mehr Nachfrage zu mehr Wachstum führt. Wachstum ist gut für den Arbeitsmarkt, es bringt aber auch die Außenwirtschaftsbilanz ins Gleichgewicht. Das ist so, weil mehr Wachstum höhere Importe bedeutet. Deutschland braucht also eine Politik, die zu mehr Nachfrage und Wachstum führt, damit die Handelspartner nicht genötigt werden, ihr Wachstum beispielsweise durch Zinserhöhungen zu drosseln, wie dies in den USA der Fall ist. Wir provozieren durch unsere Außenhandelsüberschüsse, dass sich die Weltkonjunkturlokomotive Vereinigte Staaten genötigt sieht, das Wachstum zu drosseln, um mit ihren Defiziten klarzukommen. Frau Merkel hat in ihrer Rede beim Bundesverband der Deutschen Industrie am vergangenen Dienstag gesagt: Wir wissen, dass eine Mehrwertsteuererhöhung von faktisch 2 Prozent natürlich Auswirkungen auf die Konjunktur haben kann. Ähnlich äußerte sich Herr Kauder am Mittwoch hier im Bundestag: Für den Weg aus dem Verschuldungsstaat gibt es aus Sicht der Koalition keine überzeugende Alternative neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Ähnlich sah das Finanzminister Steinbrück am 19. Mai 2006: Ohne eine Erhöhung der Mehrwertsteuer laufe man in eine Schuldenfalle hinein. Auch wenn sie in dieser Phase für konjunkturpolitisch schädlich zu halten sei: Dieser Nachteil sei gegenüber anderen Nachteilen abzuwägen. Mit etwas Mut allein schon zum Denken sind die folgenden Nachteile tatsächlich gegeneinander abzuwägen: Eine höhere Mehrwertsteuer senkt das Wachstum aus Nachfragegründen ab. Unzutreffend wird behauptet, dass höhere Steuern auf Gewinne aus Kostengründen das Wachstum verringern. Aber lassen wir dieses Kostenargument einmal gelten. Dann ist doch politisch abzuwägen, ob der Haushalt durch eine Steuererhöhung konsolidiert werden soll, die das Einkommen der großen Mehrheit der Bevölkerung schmälert, oder durch die Erhöhung von Steuern, die einzig aus dem Gewinneinkommen gezahlt werden. Es gibt also bei der Konsolidierung der Haushalte eine Alternative zur Mehrwertsteuererhöhung. (Beifall bei der LINKEN) Hat Ihnen der Mut gefehlt, an diese Alternative auch nur zu denken, oder stehen Sie am Ende auf der falschen Seite? Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)