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Mit dieser Gesundheitsreform wird die Solidarität zu Grabe getragen

Rede von Martina Bunge,

Rede vorm Bundestag zum Gesundheitsfinanzierungsgesetz

Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, mit Ihrem Gesetzentwurf soll die Solidarität endgültig zu Grabe getragen werden.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Einige Belege dafür: Sie geben vor, mit einer einkommensunabhängigen Beitragserhebung und dem sogenannten Sozialausgleich mehr Gerechtigkeit schaffen zu wollen und über Steuern die Belastung auf mehr Schultern zu verteilen. Tatsächlich belasten Sie die Versicherten drei- bis viermal so stark: erstens mit der generellen Beitragssatzerhöhung auf 8,2 Prozent für die Versicherten,


(Ulrike Flach (FDP): Was hätten Sie eigentlich gemacht?)


zweitens mit dem Zusatzbeitrag bis zu 2 Prozent des Bruttoeinkommens und drittens mit den Steuern für den Sozialausgleich;
(Ulrike Flach (FDP): Welche Leistungen hätten Sie denn eingespart?)
denn Mehrwertsteuer und andere Verbrauchssteuern zahlen auch die Bezieher kleiner Einkommen. Das alles ist ungerecht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach (SPD))


Sie behaupten, wir bräuchten eine Entkoppelung der Beiträge von den Arbeitskosten, um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze auch künftig zu sichern.


(Daniel Bahr (Münster) (FDP): Sondern?)


Tatsächlich wälzen Sie mit dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge bei 7,3 Prozent alle künftigen Ausgabensteigerungen im Gesundheitssystem allein auf die Versicherten ab.


(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das ist falsch!)


Das ist unsozial.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie geben vor, damit die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zukunft zu stabilisieren. Tatsächlich wissen Sie heute noch nicht, woher die Steuern für den in wenigen Jahren garantiert rasch wachsenden Sozialausgleich kommen sollen. Dieser Gesetzentwurf ist untauglich für die Zukunft. Sie wollen die Kopfpauschale durch die Hintertür zugunsten der Bestverdienenden und der Arbeitgeber. Das ist des Pudels Kern.
Übrigens, das Grab für die Solidarität haben viele über viele Jahre geschaufelt. Den ersten Spatenstich hat Bundesgesundheitsminister Seehofer, CSU, mit dem Gesundheitsstrukturgesetz gesetzt. 1993, als der Wettbewerb in der Krankenversicherung eingeführt wurde, ging es los mit dem Wettbewerb um gute Risiken, um die gesunden Versicherten. Seither finden immer mehr die Kategorien Gesundheitsmarkt und „Kunde statt Patient“ Einzug in die gesetzliche Krankenversicherung. Die Linke sagt, Gesundheit ist keine Ware, Gesundheit ist Daseinsvorsorge.


(Beifall bei der LINKEN)


Also Vorsicht, wenn sich Ministerpräsident Seehofer heutzutage als Gralshüter sozialer Gerechtigkeit gebärdet.
Aber auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben an diesem Grab für die Solidarität mitgeschaufelt, zuletzt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die die Stellschraube „Zusatzbeiträge“ am Gesundheitsfonds angebracht hat. Die Rösler-Reform ist nun nicht etwa nur eine etwas andere Art der Finanzierung des Gesundheitssystems. Sie ist der dritte große Angriff auf das Sozialsystem. Nach Hartz IV, nach der Zerstörung der Rentenformel ist jetzt die Gesundheit dran. Das ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Gott sei Dank lassen Ihnen das die Bürgerinnen und Bürger nicht so einfach durchgehen. Außerparlamentarische Kräfte, also Gewerkschaften, Sozialverbände, Initiativen, Einzelne, sind in diesem Herbst auf der Straße. Ich gebe zu: Ich bin froh, dass die drei Oppositionsfraktionen bzw. -parteien dabei sind und auch mehr und mehr gemeinsam machen. Ich billige der SPD ja Lernfähigkeit zu. Sigmar Gabriel, SPD, Claudia Roth, Grüne, Gesine Lötzsch, unsere Parteivorsitzende, zeigten vorgestern gemeinsam mit dem DGB-Vorsitzenden Sommer ihre Köpfe gegen die Kopfpauschale.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Übrigens, auch im Bundesrat sind nach dem Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen die Karten neu gemischt. Ich bin sicher, dass das Gesetz auch dort nicht einfach nur so durchgewunken wird, und das zu Recht. Besinnen Sie sich und ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück, meine Damen und Herren. Der Gesetzentwurf löst kein Problem, er schafft nur neue.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun wollen Sie - wie wir gestern und heute erfahren durften - über Änderungsanträge auch noch das Prinzip der Kostenerstattung ganz schnell im Gesetz etablieren. Ich habe mir schon einen Kopf gemacht, wie ich diese Gefahr den Bürgerinnen und Bürgern erläutern soll.


(Ulrike Flach (FDP): Warum? Das gibt es doch schon! Das haben doch Ihre Freunde von den Sozialdemokraten gemacht!)


Doch heute früh hat mich in gewissem Sinne mein Taxifahrer beruhigt. Als im Radio die Meldung kam, dass hier heute diese Debatte geführt wird, sagte er: Nun sollen wir alle auch noch die Rechnungen vorher beim Arzt bezahlen.


(Ulrike Flach (FDP): Das stimmt doch gar nicht!)


Wo lebt dieser Minister denn? Der ist doch total durchgeknallt. -


(Beifall bei der LINKEN - Heinz Lanfermann (FDP): Da hätten Sie ihn einmal aufklären sollen, dass das gar nicht stimmt!)


Das sollte ich Ihnen sagen. Das ist Volkes Stimme.
Hören Sie auf mit ihrer Lobby- und Klientelpolitik. Eine für alle, die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, die die Mehrheit der Bevölkerung will, muss her. Das hat Zukunft. So sieht Solidarität aus.


(Beifall bei der LINKEN - Heinz Lanfermann (FDP): Die Berliner Taxifahrer sind klüger, als Sie das jetzt dargestellt haben! - Ulrike Flach (FDP): Nur wäre es Ihre Pflicht gewesen, ihn aufzuklären!)


- Dann fahren Sie einmal mit ihnen.