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Minijob heißt Niedriglohn und bedeutet Altersarmut - vor allem für Frauen

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe einmal ein paar Zeitungsüberschriften mitgebracht, übrigens nicht aus der taz oder der jungen Welt. Zum Beispiel titelte Die Welt am 3. Oktober: „Studie: Minijobs sind ‚Falle‘ für Frauen“. Die Rheinische Post erklärte am gleichen Tag: „Minijobs verschärfen den Fachkräftemangel“. Die Welt titelte am 18. Oktober: „DGB warnt Bundesregierung vor Ausweitung der Minijobs“. Der Stern schrieb: „Zahl der Zweitjobs verdoppelt Regierung meint: Kein Anlass zur Sorge“. Im Internetportal Telepolis ist gar vom „gescheiterten Arbeitsmodell Minijob“ die Rede. Ich finde, das sind keine guten Schlagzeilen für einen Gesetzentwurf der Regierung, den sie doch als so wichtig erachtet und in den höchsten Tönen lobt.

Worüber reden wir also? Wir sprechen über 7 Millionen Menschen, die in Minijobs beschäftigt sind, davon 4,8 Millionen ausschließlich in einem Minijob. Fast eine halbe Million davon, 477 000, muss ihren Minijoblohn mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Die Mehrheit der Minijobbenden sind Frauen. Sie arbeiten als Reinigungskräfte, in der Gastronomie, in Hotels, im Einzelhandel und zunehmend auch in Gesundheitsberufen.
Die Koalitionsfraktionen wollen nun die Verdienstgrenze bei der geringfügigen Beschäftigung anheben. Aber ich sage: Das ist die falsche Medizin.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn nicht die Löhne der Minijobbenden werden steigen, sondern die Zahl der Minijobs wird zunehmen, mit all den Problemen, die damit einhergehen. Seit der Reform im Jahr 2003 unter Rot-Grün haben sich die Probleme verschärft, und zwar unter allen Regierungskonstellationen. Ich möchte auf drei Schwerpunkte der Fehlentwicklungen eingehen.

Erstens. Minijobs bedeuten organisiertes Lohndumping; denn sie werden fast immer unterhalb der Niedriglohnschwelle entlohnt. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes werden mehr als 80 Prozent der Minijobber unterhalb der Niedriglohnschwelle entlohnt, Herr Vogel.

(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Brutto! Sie müssen auch die zweite Zeile lesen!)

Schon jetzt ist das Verhältnis von Minijobs zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung eins zu fünf. Wenn bereits 20 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse Minijobs sind, sollte dies Anlass zu großer Sorge sein über den Verfall der regulären Strukturen am Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es hat sich ein subventionierter Parallelarbeitsmarkt gebildet, der dringend abgeschafft werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Was macht die Regierung? Frau von der Leyen weitet das Problem durch die vorgesehene Neuregelung aus, statt es zu bekämpfen. Das ist mir vor allem deshalb ein Rätsel, weil sie in Talkshows immer mit sorgenvollem Gesicht sagt, dass man doch etwas dagegen tun müsse und dass gerade Frauen davon betroffen seien. Herr Vogel, ich möchte ihr Beispiel vom Feuerwehrmann aufgreifen, der sich am Wochenende bei einem Cateringservice etwas dazuverdient.

(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Dazuverdienen will!)

Mehr als 2 Millionen in Vollzeit arbeitende Menschen wie der Feuerwehrmann müssen sich nebenbei mit einem Minijob etwas dazuverdienen.

(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Sie wollen!)

Haben die alle feuchte Wände zu Hause? Können die ihre Familienmitglieder nicht mehr ertragen? Haben die zu viel Zeit? Ist das ihr Hobby?

(Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt Menschen, die arbeiten gern!)

Ja, sie arbeiten gerne. Ich bin mir aber sicher, dass der von Ihnen als Beispiel genannte Feuerwehrmann gerne ein Gehalt hätte, von dem er leben und mit dem er seine Familie ernähren kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Jörg van Essen (FDP): Ja, vielleicht hat er Spaß daran! Dann lassen Sie es ihm doch!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Feuerwehrmann als Hobby am Wochenende bei einem Cateringservice arbeitet. Seine Kinder bekommt er dann überhaupt nicht mehr zu Gesicht.

Um Menschen wie dem Feuerwehrmann zu helfen, brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Nur so bekommen die Menschen ein Gehalt, von dem sie leben können. Es darf nicht sein, dass sie trotz Arbeit arm sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Vogel, was Sie hier vortragen, ist so was von lebensfremd. Ich bitte Sie: Sprechen Sie einmal mit Ihrem Feuerwehrmann!

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Zuruf des Abg. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP))

Das können wir gerne machen, Herr Vogel.

Minijobs sind bei den Arbeitgebern nicht nur wegen der niedrigen Löhne beliebt, sondern auch wegen der geringen Standards, die sich eingeschliffen haben. Zum Beispiel gibt es in der Regel keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Der Mutterschutz ist nur bedingt gegeben. Bezahlter Urlaub für Minijobbende ist die Ausnahme und nicht die Regel. Dadurch sparen die Arbeitgeber noch mehr Kosten. Das ist zwar gesetzwidrig, aber die Minijobber machen den Mund nicht auf, weil sie die 400 Euro brauchen. Übrigens bekommen die meisten nicht einmal 400 Euro. Im Durchschnitt bekommen sie 260 Euro, weil die Minijobs eben so schlecht bezahlt sind. Sie machen den Mund nicht auf, weil sie diesen Zusatzverdienst brauchen, weil sie finanziell von ihm abhängig sind. Das darf nicht sein! Wir dürfen keine Beschäftigten erster und zweiter Klasse in einer demokratischen Gesellschaft wie der unseren zulassen, und deshalb müssen Minijobs abgeschafft werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elke Ferner (SPD))

Zweiter Schwerpunkt. Minijobs sind aus gleichstellungspolitischer Sicht eine Katastrophe; denn zwei Drittel der Minijobbenden sind Frauen. Sie bewegen sich damit beruflich in einer Sackgasse mit hohen persönlichen Risiken. Selbst im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung bitte hören Sie auf Ihre Sachverständigen! werden Minijobs als nicht mehr zeitgemäß eingeschätzt. Die Frauen verbleiben in wirtschaftlicher Abhängigkeit, entweder von ihrem Mann oder vom Jobcenter. Beides ist für Frauen nicht gerade attraktiv.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Altersarmut ist für sie vorprogrammiert. Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf. Die Anhebung der Verdienstgrenzen führt zu einer Ausweitung dieser Form prekärer Beschäftigung. Wir müssen aufhören, die Minijobs auszubauen; vielmehr müssen wir sie mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gleichsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dritter Schwerpunkt. Minijobs bedeuten Altersarmut. Auch die Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Minijobs ändert nichts daran, dass Minijobs Minilöhne bedeuten und daher Minirenten die Folge sind. Die Deutsche Rentenversicherung hat festgestellt: Derzeit wird für einen Minijob, der monatlich mit 400 Euro vergütet wird wenn denn überhaupt so viel gezahlt wird, ein Rentenbeitrag von 3,18 Euro im Jahr erworben. Mit der neuen Regelung sind wir bei 4,15 Euro im Jahr!

(Elke Ferner (SPD): Sensationell!)

Ich habe im März die Bundesregierung gefragt, was sie zu diesen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung sagt. Mir wurde schriftlich bestätigt: Nach 45 Jahren in einem Minijob mit 450 Euro Verdienst bekommt man eine Rente von 205,70 Euro.

(Elke Ferner (SPD): Sensationell!)

Da wir wissen, dass vor allem Frauen lange in Minijobs verharren, und da wir wissen, dass die Minijobs kein Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt, zu einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung sind, wissen wir auch, auf welche Katastrophe Altersarmut von Frauen wir mit diesen Minijobs zusteuern. Das kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Daran müssen wir etwas ändern, und wir dürfen das Problem nicht auch noch verschärfen.

Die Koalitionsfraktionen gehen übrigens davon aus das zeigt ihr Gesetzentwurf, dass 90 Prozent der Minijobbenden das sogenannte Opt-out-Verfahren wählen werden, das heißt, dass sie darauf verzichten, in die Rentenversicherung einzuzahlen, weil sie von dem wenigen, was sie haben, nicht auch noch etwas in die Rentenversicherung einzahlen können.

Das zeigt, dass mit diesem Vorschlag nur Sand in die Augen gestreut wird. Das ist keine Verbesserung für die Rente. Das ist kein Ausweg aus der Altersarmut. Mit Minijobs kann man keine eigenständige Altersvorsorge aufbauen. Auch das ist ein Grund, sie abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert (SPD))

Wir müssen diese Fehlanreize beseitigen. Wir müssen Minijobs endlich mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gleichsetzen. Das entspricht auch dem Wunsch der Beschäftigten, gerade dem von Frauen. Zwei Drittel der minijobenden Frauen, Herr Vogel er ist leider nicht mehr da ,

(Jörg van Essen (FDP): Doch! Er ist noch da! Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Doch!)

wünschen sich eine längere Arbeitszeit. Das ist das Ergebnis von Umfragen, die nicht von der Linken gemacht worden sind, sondern diese Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt.

Wir fordern mehr Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn. Wir fordern, dass das Lohndumping endlich beendet wird. Es darf keine unterschiedliche Behandlung von Beschäftigungsformen geben.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert (SPD))

Aus der Wissenschaft gibt es dazu verschiedene Vorschläge. Wenn wir uns in dem Ziel einig sind, dass wir keine zweite und dritte Klasse von Beschäftigten in diesem Land haben wollen, dann lassen Sie uns über den Weg streiten. Lassen Sie uns diese Verschärfung bei den prekären Beschäftigungsverhältnissen endlich beenden. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir werden den Gesetzentwurf natürlich ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)