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Mindeststandards für gute Arbeit in der Wissenschaft

Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne!

Zu Beginn meiner Rede möchte ich mich gerne bei den Gewerkschaften und den Beschäftigten in der Wissenschaft bedanken. Die Aktiven an den Hochschulen und an den Wissenschaftseinrichtungen sowie bei GEW und Verdi haben lange dafür Druck gemacht, dass das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft überhaupt sichtbar gemacht wird und dass wir heute endlich einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes diskutieren. Vielen Dank dafür!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Fast 800 000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Wissenschaft, und es ist schon krass, dass so schlechte Arbeitsbedingungen in so einer großen Branche so lange möglich sind. Noch einmal kurz die Zahlen: 90 Prozent der Beschäftigten an Hochschulen sind befristet beschäftigt. 50 Prozent der Verträge laufen bestenfalls ein Jahr, viele deutlich kürzer. Junge Menschen, die auf einer drittmittelfinanzierten Stelle arbeiten, laufen Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ein Kind bekommen. Da fragt man sich: Hat das die Große Koalition nicht mitbekommen, oder warum hat es so lange gedauert, bis Sie zu diesem Thema einmal aktiv geworden sind?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

2011 – noch einmal zum Mitschreiben: 2011 – ist der Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz erschienen, mit eindeutigen Ergebnissen, wie viel Handlungsbedarf besteht, und dann haben Sie vier Jahre gewartet, bis Sie auf die Ergebnisse Ihrer eigenen Studie reagiert haben. Das ist wirklich unglaublich!

(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Wir nicht! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Jahre CDU/CSU-Regierung!)

Jetzt haben Sie einen so unverbindlich formulierten Vorschlag vorgelegt, dass der wohl kaum dazu führen wird, wirkliche Mindeststandards für „gute Arbeit“ zu setzen. Unverbindliche Formulierungen – das ist ja wohl auch klar – kommen natürlich vor allem den Arbeitgebern zugute.
Die Arbeitgeber haben ordentlich Druck gemacht, damit sich an den Zuständen im Wissenschaftsbereich möglichst wenig ändert. Regelrechte Horrorszenarien wurden an die Wand gemalt, als sich die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abzeichnete. Wissenschaftliches Spitzenpersonal könne gar nicht mehr angeworben werden, hieß es da, und der ganze Wissenschaftsstandort Deutschland sei in Gefahr. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Gute Arbeitsbedingungen, ein sicherer Arbeitsplatz und verlässliche Karrierewege sind Voraussetzungen für gutes wissenschaftliches Arbeiten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Wenn Spitzenforschung nur möglich sein soll, wenn die Mehrheit der Beschäftigten zu schlechten Bedingungen arbeitet, dann pfeife ich auf die Spitze, weil das ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsichere Lebensverhältnisse und regelrecht ausbeuterische Arbeitsverhältnisse müssen beendet werden, und da darf die Wissenschaft sicherlich keine Ausnahme bilden.
Ziel muss doch sein, dass die sozialversicherungspflichtige Dauerstelle wieder zum Normalfall wird in der Wissenschaft,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar für alle und rechtssicher. Gemessen an diesem Ziel hat die Bundesregierung wirklich noch einiges nachzuarbeiten.

Gut ist, dass jetzt endlich der überfällige Schritt gegangen wurde und das nichtwissenschaftliche Personal aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen wurde. Der Missbrauch, der damit über Jahre hinweg betrieben wurde, war wirklich unfassbar.

Der Personalrat an der Technischen Uni in München hat eine Erhebung über die Einstellungspraxis beim wissenschaftsunterstützenden Personal gemacht, also bei den Menschen, die in Verwaltung, Technik und Bibliothek arbeiten. Sie hat ergeben, dass sage und schreibe 92 Prozent der Neueinstellungen nur einen befristeten Vertrag bekommen haben. 92 Prozent! Das ist eine unfassbare Zahl und zeigt vor allem eines: dass die letzte Große Koalition mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 ein Instrument zur Sonderbefristung geschaffen hat, um einfach alle, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauso wie die Hausmeisterei oder die IT-Abteilung, nur noch prekär zu beschäftigen.

(Lachen des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU] – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Da kommen einem die Tränen!)

Das ist die Verantwortung von Union und SPD. Sie könnten einfach einmal eingestehen, dass das wirklich ein großer Fehler war.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen ist es fahrlässig, wie viele Dinge die Große Koalition jetzt weiterhin ungelöst lässt bzw. zum Nachteil der Beschäftigten belässt. Sie sagen zwar, dass Sie die sachgrundlose Befristung zukünftig an die wissenschaftliche Qualifizierung, also zum Beispiel an eine Doktorarbeit, binden wollen. Aber es liegt doch auf der Hand, dass es dafür vor allem einen Anspruch der Beschäftigten auf Qualifizierung während der Arbeitszeit geben muss. Warum regeln Sie das nicht eindeutig?

(Beifall bei der LINKEN)

Nach wie vor sollen Eltern, die auf einer Drittmittelstelle arbeiten, keinen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung nach der Elternzeit haben. Aber bei der Gewährung von Familienzeiten muss doch Gleichbehandlung gelten; das muss doch jeder und jedem gleichermaßen möglich sein. Wie können Sie so eine Ungleichbehandlung und eine Regelung stehen lassen, die am Ende wirklich jede Lebensplanung von jungen Menschen zunichtemacht?

Weiterhin halten Sie an der Tarifsperre fest, daran, dass es in der Wissenschaft den Gewerkschaften untersagt ist, eigene tarifvertragliche Regelungen mit den Arbeitgebern auszuhandeln.
Kolleginnen und Kollegen, zwei Dinge sind doch eigentlich klar:
Erstens. Der vorliegende Gesetzentwurf muss dringend überarbeitet werden. Das fordert die Linke, das fordern die Gewerkschaften, und das fordert auch der Bundesrat.
Zweitens. Es bleibt zu fragen, warum es für den Wissenschaftsbereich überhaupt ein Sonderarbeitsrecht braucht.

(Beifall bei der LINKEN)

Spezifika im Wissenschaftsbetrieb wie die Qualifizierung oder die projektbezogene Arbeit dürfen doch bitte sehr nicht zur Umgehung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke ist gegen jede sachgrundlose Befristung und gegen Kettenbefristung – in der Wissenschaft ganz genauso wie in jeder anderen Branche, und ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es Mindeststandards für gute Arbeit definiert. Das muss dieses Gesetz leisten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)