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Michael Leutert: Ministerin Giffey präsentiert einen Wahlkampfetat

Rede von Michael Leutert,

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Programm „Demokratie leben!“ ist hier von allen angesprochen worden. Auch von uns wird natürlich zu hundert Prozent begrüßt, dass der Titel, in dem die Programme gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus enthalten sind, auf 150 Millionen Euro aufgestockt wird und dass auch geplant ist, den Titel in den nächsten Jahren auf ungefähr 200 Millionen Euro anwachsen zu lassen.

Nur ein kleiner Tipp am Rande: Wir haben das in den letzten Haushaltsberatungen, im letzten Herbst, genauso beantragt. Hätte man dem damals schon zugestimmt, hätten wir nicht ein wertvolles Jahr vergeudet und die Initiativen jetzt schon unterstützt.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss auch dazusagen – so viel Wasser muss man in den Wein gießen –: Es gibt zwei Beschränkungen. Erstens. Sie haben sich das teuer erkauft; denn die globale Minderausgabe ist ungefähr doppelt so hoch, 64 Millionen Euro. Das heißt, Sie müssen im Haushaltsvollzug des Jahres an anderer Stelle 64 Millionen Euro einsparen für die Mittel, die Sie jetzt bekommen haben. Ich bin sehr gespannt darauf, die Vorschläge zu hören, wo Sie einsparen wollen.

Die zweite Sache – auch das gehört zur Wahrheit –: Die mittelfristige Finanzplanung sieht vor, dass der Etat Ihres Hauses in den nächsten Jahren um 1 Milliarde Euro abgeschmolzen wird. Das heißt, die 200 Millionen Euro, die Sie jetzt hier für die nächsten Jahre verkünden, sind überhaupt nicht gedeckt. Damit handeln Sie sich den Vorwurf ein, dass es ein reiner Wahlkampfetat ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als zweiten Punkt möchte ich ein etwas kompliziertes Problem ansprechen, was sich nicht für Parteipolitik eignet. Es geht um einen Referentenentwurf, der derzeit die Runde macht, „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz“. Darin ist auch das Ziel formuliert: Abwehr von Kindeswohlgefährdung. Kindeswohlgefährdungen gab es im letzten Jahr laut Statistischem Bundesamt über 55 000 in Deutschland. Da geht es um Vernachlässigung, es geht um seelische/körperliche Misshandlungen, es geht um sexuelle Gewalt. – So weit ist das alles verständlich.

Seit circa einem Jahr häufen sich in meinem Büro aber Fälle, die doch etwas anders gelagert sind. Die Konstruktion ist da meistens ähnlich: Es geht darum, dass getrenntlebende Eltern sich bezüglich ihres Kindes oder ihrer Kinder nicht einigen können, zum Beispiel, wenn es um den Umgang geht, wenn die Frau einen neuen Partner hat und woanders hinziehen möchte oder bei der Frage, welche Kita oder Schule besucht werden soll. Es gibt Streit, und dann wird irgendwann gegenüber der Frau der Vorwurf der sogenannten Bindungsintoleranz konstruiert. Das ist eine ziemlich perfide Angelegenheit, weil die Beweislast umgekehrt wird; die Frau muss nämlich beweisen, dass sie nicht bindungsintolerant ist. Daraus entsteht dann irgendwann der Vorwurf der Kindeswohlgefährdung.

Die Kindeswohlgefährdung besteht in dem Fall darin, dass das Kind den Vater nicht ausreichend oder überhaupt nicht sehen darf oder schlecht über ihn gesprochen wird usw. usf. Das wiederum ist dann die Grundlage dafür, dass das Gericht – Kindeswohlgefährdung ist ja eine wirklich sehr schlimme, schreckliche Sache – intervenieren kann, und im Ergebnis steht dann der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Mutter.

Diese Entscheidungen werden zum Teil mit Polizeigewalt durchgesetzt. Ich bin mir nicht sicher, ob das dem Kindeswohl zuträglich ist. Mir ist auch unklar, ob das im Sinne des Gesetzgebers, also in unserem Sinne, ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei mir haben sich Ärztinnen, Unternehmerinnen, Kindergärtnerinnen, Polizistinnen gemeldet. Sie alle waren ziemlich verzweifelt: Sie gelten gerade in Coronazeiten als Heldinnen des Alltags, und dann sagt ein Gericht zu ihnen, dass sie nicht in der Lage seien, ihre Kinder zu erziehen, und das empfinden sie als sehr demütigend. Deshalb glaube ich, dass wir das ernst nehmen sollten und dass es für diese Betroffenen einer Anlaufstelle bedarf, und zwar einer Anlaufstelle, wo sie nicht nur darüber reden können, sondern wo ihnen auch geholfen werden kann. Dafür sollten wir im Haushalt Vorsorge treffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube außerdem, dass wir derzeit viel zu wenig Informationen über diese Fälle haben. Wir wissen nicht: Wie viele Fälle gibt es wirklich? Wie viele Fälle gibt es vielleicht auch mit dieser Konstruktion gegenüber Vätern? Das kann ja auch sein. Wie viele Verfahren gibt es, in welchen Instanzen? Deshalb, glaube ich, sollten wir im Haushalt auch Vorsorge dafür treffen, dass wir das dokumentieren können, dass wir das untersuchen können, um in Zukunft hier Entscheidungen treffen zu können, die solche Fälle verhindern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)