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Menschenrechte-Religionsfreiheit

Rede von Hüseyin Aydin,

Rede von Hüseyin Aydin im Plenum des Deutschen Bundestages am 30. November 2006

 

zur Menschenrechtsdebatte.Bezug nehmend auf den Antrag „Solidarität mit verfolgten Christen und anderen verfolgten religiösen Minderheiten“ (SPD-CDU/CSU), DS 16/3608

Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Die Regierungsparteien fordern in einem
der vorliegenden Anträge die Solidarität mit verfolgten Christen und anderen verfolgten religiösen Minderheiten.
Wer in diesem Haus sollte etwas dagegen haben? Aber es ist schon erstaunlich, mit welcher Unverblümtheit
die Koalition bei ihrem Bekenntnis zur Religionsfreiheit zweierlei Maß anlegt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
In ihrem Antrag wird die Verfolgung aller anderen Religionsgemeinschaften systematisch unter „ferner liefen“behandelt.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Quatsch!)
Nehmen wir Indien, wo der Wechsel zum Christentum in einigen Provinzen von Repressalien begleitet wird. Dieses Phänomen ist Begleitumstand hindu-nationalistischer Aktivitäten, die sich in der Masse auch und gerade gegen Moslems richten. Warum verschweigen Sie, dass in den 90er-Jahren ein Großteil der moslemischen Bevölkerung Bombays aus Angst vor mörderischen Übergriffen fliehen musste?
Für China gilt dasselbe: Zu Recht wird ausführlich die Verfolgung der Kirche kritisiert. Doch die brutale Verfolgung der Gemeinschaft der Falun Gong, die die Hauptlast der Repression zu ertragen hat, ist Ihnen nicht mehr als einen Satz wert.
Man kann die Verfolgung von Christen nur dann glaubwürdig anprangern, wenn man im eigenen Land die anderen Religionen auch respektiert.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber da hapert es bei der Union bekanntermaßen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Bitte, was?)
So brüstete sich im Berliner Wahlkampf die Neuköllner Baustadträtin der CDU offen, mit dem Baurecht die Errichtung einer Moschee im Stadtteil blockiert zu haben.
(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)
Spitzenkandidat Friedbert Pflüger unterstützte die Kampagne gegen den Bau einer Moschee im Bezirk Pankow,

(Zuruf von der LINKEN: Das ist die Scheinheiligkeit!)
eine Kampagne, die bequem von den Nazis gekapert werden konnte. Am 1. April mussten wir dann mit ansehen, wie der örtliche CDU-Schatzmeister Lasinski Seit
an Seit mit der NPD marschierte.
Die Kehrseite der Medaille ist die mangelnde Bereitschaft, Verfolgten in Deutschland Asyl zu gewähren. Die Koalitionsparteien prangern wohl die Verfolgung von
Christen in Pakistan an. Doch in Nordrhein-Westfalen verweigert das Land dem pakistanischen Christen Aziz Mirza politisches Asyl. Bekanntermaßen regiert dort die CDU. Die Innenbehörden erkennen ihn schlichtweg nicht als verfolgten Christen an.
In ihrem Antrag ziehen die Regierungsparteien den so genannten Weltverfolgungsindex heran, um die Verfolgung von Christen in Nordkorea zu geißeln. Doch auf eine Kleine Anfrage der Linken antwortete die Bundesregierung, dass genau dieser Weltverfolgungsindex - ich zitiere -
im Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge … keine praktische Relevanz hat.
Ich weiß nicht, wie Sie das nennen. Ich nenne es Heuchelei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist schon erstaunlich, dass Sie mit dem vorliegenden Antrag hinter die Initiative des eigenen Innenministers zurückfallen. Herr Schäuble hat endlich den Dialog mit den Vertretern des Islam in Deutschland im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz begonnen. Anstatt diese Initiative zu fördern und zu begrüßen, fällt den Antragstellern
dazu nichts weiter ein, als - ich zitiere -
Hüseyin-Kenan Aydin
den interkulturellen Dialog mit dem Islam … zu nutzen, um auch auf die Situation von Christen in Staaten mit muslimischer Mehrheit hinzuweisen.
Mehr ist zu dem Thema nicht zu lesen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich frage Sie: Reduziert sich ein Dialog auf das Erheben des eigenen Zeigefingers? Haben Sie den Moslems in Deutschland nicht mehr zu sagen?
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein weiteres Thema ansprechen, das den Antragstellern offenbar nicht der Rede wert war. Im Juli 1993 haben islamistische
Fanatiker im türkischen Sivas ein gegen Aleviten gerichtetes Pogrom organisiert. 37 Menschen kamen dabei grausam ums Leben. Nach Kenntnis der Bundesregierung
halten sich von den 76 in der Türkei verurteilten Attentätern elf in Deutschland auf, zum Teil als anerkannte Flüchtlinge. Bemühungen zu deren Ergreifung sind nicht zu erkennen, obgleich Auslieferungsbegehren vorliegen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Glaubensfreiheit heißt, sich weltweit für die verfolgten religiösen Minderheiten einzusetzen. Sie beginnt vor der eigenen Haustür.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit des Andersgläubigen, auch in der Türkei, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)