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Menschenrechte älterer Menschen stärken

Rede von Heidrun Dittrich,

Die würde des Menschen ist unantastbar - bis zuletzt

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Heute geht es um den Antrag der SPD „Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Konvention fördern“.

Ja, Schutz vor Gewalt ist nötig, und eine stärkere Kontrolle der Pflegeheime ist angebracht. Ihr Antrag zeigt in die richtige Richtung, ändert aber nichts am Pflegealltag.

Wenn es zu wenig examinierte Altenpflegerinnen gibt, dann können Kontrollen und Berichte nur nützlich sein, wenn Sie Vorgaben für mehr Personal machen. Aber genau das fehlt in Ihrem Antrag.
Auch an der Armut von älteren Menschen, vor allem von Frauen – zu geringe Löhne und Teilzeitjobs führen zu Minirenten –, ändert Ihr Antrag nichts.

Erst im letzten Satz Ihres Antrags fordern Sie, meine Damen und Herren von der SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn, aber ohne die Höhe anzugeben. Ich muss schon sagen: Das ist das Allerletzte!

(Beifall bei der LINKEN)

10 Euro Mindestlohn, wie ihn die Linke fordert, bedeutet zwar, dass die Menschen über die Grundsicherung kommen; aber das bedeutet nicht, dass man im Alter wirklich abgesichert ist. Es ist ein erster Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Alle Parteien haben in der Regierung den Sozialabbau und die Rentenkürzungen sowie die Privatisierung der Pflege vorangetrieben.

Sie haben einen großen Markt geschaffen, bei dem die Pflegebedürftigen die Verlierer sind. Jetzt hat das Alter seinen Schrecken wieder. Der soziale Fortschritt, den Älteren die Furcht vor der Abhängigkeit zu nehmen, ist nämlich dahin.

Die Pflegebedürftigen fürchten sich vor dem Heim und vor der Abhängigkeit. Sie wünschen sich Unterstützung in einem selbstbestimmten Leben. „Die Würde des Menschen ist unantastbar – bis zuletzt“

(Beifall bei der LINKEN)

das hat die Hospiz-Bewegung 2001 geschrieben.

Der Pflegenotstand ist bekannt. Ich erspare mir die Details. Sie wissen, dass Vernachlässigung zum Tode führen kann.

Es ist in Wohngruppen und Heimen einfach nicht die Zeit vorhanden, 1 Liter Flüssigkeit am Tag anzureichen. Meist trinken die Älteren aus eigenem Antrieb nur ein Glas. Hier muss motiviert werden: abwechslungsreiche Getränke mit Geselligkeit und Unterhaltung, damit sie Flüssigkeit zu sich nehmen. Mit Gewalt geht das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil die Grundversorgung nicht gesichert ist, kommt es zu Krankenhauseinweisungen. Doch dort geht es den Seniorinnen und Senioren nicht besser. Auch dort herrscht Pflegenotstand: Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in der Notaufnahme, Stress, Überforderung.

(Zuruf von der FDP: Einen Mindestlohn in der Pflege haben wir eingeführt! 8,50 Euro!)

Es werden Sonden gelegt. Fremde Umgebung, fremde Menschen – das macht den Aufenthalt unangenehm.

Die Pflegekräfte selbst wollen gute Pflege leisten; leider fehlt ihnen durch den Personalmangel die Zeit dazu. Die Altenpflegerinnen spüren, dass sie mehr tun müssten. Deshalb bleiben sie länger, versuchen nach Feierabend für die Gruppe einzukaufen und den nächsten Tag vorzubereiten;

aber das bekommen sie nicht bezahlt. Angestellte in der Pflege sind in der Regel bereits nach 8,5 Jahren krank, Krankenschwestern nach 14 Jahren. Mit 8,50 Euro die Stunde, die im

Branchentarifvertrag für Pflegekräfte vereinbart wurden, sind sie angesichts der zu leistenden Schwerstarbeit noch immer unterbezahlt
.
(Beifall bei der LINKEN)

Ist denn der Gesellschaft ein würdevolles Leben im Alter nichts wert?

Müssen die Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, so belastet werden?

Der größte private Pflegebereich ist die Familie. Wie werden die Frauen, die keinen Beruf ausüben, weil sie Angehörige pflegen, vor Altersarmut geschützt?

Die Leistungen nach dem Pflegezeitgesetz der Ministerin Schröder werden von den pflegenden Angehörigen nicht nachgefragt, weil es eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber ist.

Warum fordern Sie nicht gemeinsam mit der Linken im Interesse der Angehörigen, der Pflegebedürftigen und der Altenpflegerinnen mehr Personal?

Das führt zu kleineren Gruppen, das sichert die Einhaltung von Menschenrechten. Wir werden demnächst einen Antrag zu den Themen „Bemessung der Pflege“ und „Personalausstattung“ vorlegen.

Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dass examinierte Altenpflegerinnen nicht zu bezahlen seien. Wir haben heute den Militäreinsatz in Mali beschlossen. Wenn es ums Töten geht, spielen die Kosten keine Rolle. Es geht nur darum, die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen zu sichern.

(Widerspruch der Abg. Marina Schuster [FDP])

Wie schnell die Zerstörung eines Sozialstaates ablaufen kann, können Sie am Beispiel Griechenland sehen. Entbindungen werden nicht mehr bezahlt. Damit steigt die Kindersterblichkeit. Das bedeutet: Zurück ins 19. Jahrhundert!

Ein positives Beispiel für eine alte Person – wenn ich das noch anmerken darf – ist Stéphane Hessel, der vor zwei Tagen im Alter von 95 Jahren gestorben ist.

Er überlebte die Deportation durch die Gestapo und blieb aktiv. Er schrieb Empört euch!, setzte sich für Menschenrechte und die Überwindung der Armut ein. Er schlug vor, das Gemeinwohl vor die Interessen des Großkapitals zu setzen. Das sollten wir auch tun.

(Beifall bei der LINKEN)