Zum Hauptinhalt springen

Meldewesen grundsätzlich auf seine Kernfunktionen beschränken!

Rede von Frank Tempel,

Rede zu Protokoll | 26.04.2012 | TOP 22 |Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) [Drucksache 17/7746]

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

manchmal lohnt es sich doch, die Geschichte von Gesetzesentwürfen genauer anzusehen. Nicht immer, vielleicht sogar nie, ist das, was im Laufe der Verfahren herausgenommen wird auch wirklich weg.

Für diesen Entwurf heißt das:
Wer ursprünglich – und das immer wieder – ein zentrales Melderegister gefordert und dazu sogar mit Überlegungen zu einheitlichen Identifikationsnummern geliebäugelt hat, der ist davon nicht grundsätzlich abgerückt, nur weil es im Wortlaut des jeweils aktuellen Entwurfs nicht mehr auftaucht. DIE LINKE bleibt dabei: Auch miteinander verknüpfte dezentrale Melderegister dürfen nicht zu einer solchen Identifikationsnummer führen, mit deren Hilfe sich dann eine praktisch unbegrenzte Zahl von Dateien außerhalb des Meldewesens verknüpfen ließe.

Mit dem jetzt vorliegenden Gesetz soll das Melderecht in Deutschland vereinheitlicht werden. Ein zentrales Melderegister wird damit nicht eingeführt, wohl aber der automatisierte Zugriff auf die 5200 Melderegister ermöglicht. Angesichts der technischen Entwicklung ist das fast so gut wie ein Zentralregister – umso schärfer wären deshalb Umfang der erfassten Daten, Zweckbindung bei Abruf bzw. Weitergabe und Zugriffsberechtigten zu prüfen.

Im Gegensatz zu den Forderungen des Bundes- und der Landesdatenschützer werden aber die Datensätze bzw. die erfassten Daten keineswegs auf ihre Kernaufgaben reduziert. Mit diesen sollte ursprünglich die Identität und den Wohnsitz der Einwohner festzustellen und zu registrieren sein. Mehr nicht. Und mehr ist heute immer noch nicht nötig. Bemerkenswert ist an dieser Stelle Folgendes: Während sie in ihrem Gesetzentwurf bei den Datensätzen zu wenig reduzieren wollen, können sie das andererseits bei den Auskunftsrechten der Betroffenen ziemlich gut. Hier wird plötzlich und bezeichnenderweise über die Datenverwendung und bei den Einspruchsmöglichkeiten nicht in erforderlichem Umfang auf deren Erweiterung gesetzt.
Gar nicht zu akzeptieren ist es, dass nach ihren Plänen für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften die Meldebehörden als regelrechte Serviceeinrichtungen fungieren sollen, die auch die Daten der Angehörigen, die nicht Mitglied der entsprechenden Religionsgemeinschaft sind, übermitteln dürfen. Gruppenauskünfte sollen erteilt werden können mit mehr als 14 Grunddaten; das dabei zu berücksichtigende Interesse wird bei Wissenschaft und Forschung sowie der Gesundheitsvorsorge offensichtlich grundsätzlich vorausgesetzt.

Wenn man sich ihren Gesetzentwurf genauer anschaut muss man feststellen, dass offensichtlich auch längst nicht alle Forderungen der Datenschützer umgesetzt wurden. Forderungen aus den Reihen der wirtschaftlichen Nutzer der Meldedaten lassen zudem befürchten, dass hier im Laufe der parlamentarischen Beratung noch nachgelegt werden soll. Das lässt zumindest eine Stellungnahme des Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten e.V. (vatm) ahnen, die sich gegen die restriktive Zweckbindung bei der Melderegisterauskunft ausspricht. Ihr Ziel: Eine automatisierte Bonitätsprüfung bei Vertragsabschlüssen, zum Beispiel beim Abschluss von DSL-Verträgen oder ähnlichem, soll jederzeit möglich sein. Im Verlauf der parlamentarischen Debatte wird deshalb sehr genau zu untersuchen sein, wie weit die vom Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar noch in Bezug auf einen Vorläuferentwurf eingeforderten Ziele annähernd konkret erfasst sind.

Ich erinnere sie an dieser Stelle gerne noch einmal daran, was der Bundesdatenschutzbeauftragte als Kriterien bei der Fortentwicklung des Meldewesens formuliert hat:
- Beschränkung der Aufgaben der Meldebehörden auf den Identitätsnachweis,
- schlanker gesetzlich festgelegter Merkmalskatalog,
- strenge Zweckbindung der über die Grunddaten hinausgehenden Angaben,
- gesetzlich festgelegte Betroffenenrechte (gebührenfreie Auskunft, Berichtigung, Löschung, Unterrichtung über die Erteilung sog. erweiterter Auskünfte, Übermittlungs- und Auskunftssperren).

Der Bundestag hat auch zu prüfen, ob die in der von allen Fraktionen gemeinsam verabschiedeten Beschlussempfehlung zum 22. BfDI-Bericht ernsthaft beachtet worden ist, in der es unter Punkt 14 heißt: „In jedem Fall muss das Melderecht grundsätzlich auf seine Kernfunktionen beschränkt werden. Die bisherige Praxis der listenmäßigen Übermittlung von Einwohnerdaten an Dritte sollte überprüft werden.“

Angesichts der von der Bundesregierung und ihrer Vorgängerin kostenträchtig in den Sand gesetzten Großprojekte wie ELENA und eGesundheitskarte muss auch die Frage nach den in diesem Gesetzentwurf gemachten Einsparungsversprechen genauer untersucht werden.

Auf den ersten Blick macht ja schon stutzig, dass die versprochenen Einsparungen vom Vorläufer des heutigen Gesetzes, einem Referententwurf aus dem Jahre 2008, in etwa denen entsprechen, die heute erreicht werden sollen:
In diesem damaligen Referentenentwurf war zu lesen, dass "die Saldierung erwarteter Mehrkosten und erwarteter Kostenreduzierungen zu einer Bürokratiekostenentlastung von rund 119,4 Millionen Euro" führen werde. Heute heißt es: „Die Saldierung erwarteter Mehrkosten und erwarteter Kostenreduzierungen führt vor diesem Hintergrund für die Wirtschaft zu einer Entlastung von Bürokratiekosten von rund 117,1 Mio. Euro jährlich.“ Interessante Frage, wo die zwei Millionen geblieben sind.

Damals wurde mit dieser Rechnung ausdrücklich für ein Bundeszentralregister geworben – also das, was mit dem heutigen Entwurf gerade nicht angestrebt wird – und doch bewegen sich die Einsparungen in derselben Höhe. Erinnert sei an die Auseinandersetzungen um die Einsparungen bzw. den tatsächlichen Mehrkosten bei ELENA. Die Berechnungen der Bundesregierung und die Berechnung des Städte- und Gemeindetages differierten um zig Millionen Euro. Am Ende hatte sich einmal mehr die Bundesregierung verrechnet. Und wie bei ELENA muss auch bei diesem IT-Großprojekt noch genauestens geprüft werden, ob nicht die Kosten der Öffentlichen Hand und die Einsparungen der Wirtschaft bloße Propaganda sind.

Die Hoffnung der Bundesregierung, dass wir „Mit einem einheitlichen Melderecht (…) das Meldewesen als "informationelles Rückgrat" für die Verwaltung, Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger stärken (werden)“ muss also unserer Meinung nach als ernste Drohung aufgefasst werden.

Vielen Dank.