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Foto: Rico Prauss

Mehr Reiche und mehr Armut - zwei Seiten derselben Medaille schwarz-gelber Politik

Rede von Dietmar Bartsch,

Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Schwarz-Gelb hat wie kaum eine Koalition zuvor das Land gespalten und die Schere zwischen arm und reich ausgeweitet. Ein Europa ohne Wirtschafts- und Sozialunion – dieser konservative Kurs ist falsch und gescheitert. Es ist höchste Zeit für einen Politikwechsel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wenn ich zu vergessen drohe, was Erfolgspropaganda ist, höre ich Herrn Barthle, und dann weiß ich wieder, wie das geht:

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es gibt keine Fehler; alles ist gut. Das kenne ich aus einer anderen Zeit. Wenn Sie hier von wachstumsgerechter Konsolidierung sprechen, dann glaube ich, Sie sprechen über einen anderen Haushalt. Dieser Haushalt ist unsolide, er setzt die Spaltung der Gesellschaft fort, und er ist letztlich eine Gefährdung Europas.

Herr Schäuble fährt heute zu einem Finanzministertreffen. Wir haben in Europa wieder einmal eine dramatische Situation. Die Aussagen, die Sie hier im Parlament gemacht haben, und auch die Aussagen der Kanzlerin haben eine erschreckend kurze Halbwertszeit. Es wurde einmal gesagt, dass es keine Hilfen mehr gibt. Jetzt haben wir wieder eine andere Situation. In der CDU herrscht offensichtlich das völlige Chaos.

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Aber so schlimm wie bei den Linken ist es noch nicht!)

Herr Oettinger fordert einen Schuldenschnitt. Jeder erzählt etwas anderes. Niemand weiß, wie die Situation wirklich ist. Sie beschönigen, Sie beruhigen, Sie beteuern Absichten. Aber in der Regel sind es Fehleinschätzungen; es sind Fehlinformationen. Das alles soll nur der Beruhigung dienen. Der Preis aber, den die Euro-Länder und die Krisenstaaten zahlen, ist riesig. Ihr Europa-Kurs, Ihr Euro-Kurs ist gescheitert. Er ist genauso falsch wie das gesamte Szenario der bisherigen Krisenbewältigung.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allen Dingen: Sie haben in diesen Haushalt nichts, aber auch gar nichts dazu eingestellt. Das ist angesichts der aktuellen Situation unverantwortlich. Schauen Sie sich die Lage in den betroffenen Ländern an! In der letzten Woche gab es in mehreren Ländern Generalstreiks. In den letzten fünf Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt in Griechenland um 20 Prozent gesunken; das gibt es sonst eigentlich nur im Krieg. Es kommt in den Ländern zu sozialen Verwerfungen. In Spanien und in Griechenland liegt die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen bei über 50 Prozent. Das alles ist auch Ergebnis Ihrer Politik. Die Grundursache ist im Übrigen, dass Sie eine Währungsunion geschaffen haben, ohne eine Sozialunion zu schaffen. Das ist der Grundmangel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will Sie eines fragen: Was haben Sie von der Großen Koalition damals in Deutschland gemacht, als das Wirtschaftswachstum um 5 Prozent eingebrochen ist? Sie haben gesagt: Wir müssen investieren, wir müssen die Abwrackprämie einführen, wir müssen die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes verlängern. Das geschah übrigens auch mit Zustimmung der Linken. Das waren die richtigen Maßnahmen.

Was machen Sie in Griechenland? Was machen Sie in Spanien? Das pure Gegenteil: Sie fordern Kürzungsarien, eine nach der anderen. Sie wollen, dass bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei den Rentnerinnen und Rentnern und bei den Studentinnen und Studenten gespart wird. Das ist Ihre Politik in diesen Ländern. Diese Politik ist falsch. Sie muss zu einer solchen Situation führen. Warum werden nicht auch einmal den Reichen in diesen Gesellschaften Auflagen gemacht, den Millionären in Griechenland, Spanien und Portugal?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Warum werden diese nicht einmal zur Kasse gebeten? Sie haben im Hinblick auf diese europapolitischen Risiken nichts nichts! in den Haushalt eingestellt.

Es sind noch zehn Minuten zehn Monate bis zu den Bundestagswahlen.

(Zurufe)

- Es sind leider nicht zehn Minuten; es sind noch zehn Monate; das ist eine ganze Menge Zeit.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): So lange müssen wir die nioch ertragen!)

Diese Koalition ist eine Koalition des gebrochenen Koalitionsvertrages. Ich will daran erinnern, was vor Tische gesagt wurde: einfach, niedrig und gerecht. Wo haben Sie eigentlich eine Vereinfachung durchgesetzt? Wo haben Sie für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft gesorgt? Nirgendwo!

Ein ganz konkretes Beispiel. Im Koalitionsvertrag steht: Die Ostrenten werden in dieser Legislatur angehoben. Was machen Sie? Sie brechen Ihren Koalitionsvertrag. Sie haben die Leute in den neuen Ländern letztlich wieder einmal - auf gut Deutsch muss man sagen - verarscht. Das ist Ihre Politik: Sie brechen Ihren eigenen Koalitionsvertrag.

Mit Blick auf 2013 gibt es wieder einen Wettlauf der Parteien darin, zu versprechen, dass die Angleichung in der nächsten Legislatur durchgeführt wird. Sie hatten den Leuten das versprochen; doch Sie haben es nicht realisiert.

Diese Koalition ist die Koalition mit der zweithöchsten Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie haben in dieser Koalition die Umverteilung von unten nach oben fortgesetzt. Letztlich gefährden Sie die Zukunftschancen Deutschlands. Der Kitt aus Mövenpick-Steuer und Herdprämie ist zu schwach, um darauf erfolgreiches Regierungshandeln aufzubauen.

(Beifall bei der LINKEN)

In einer zentralen Frage handeln Sie völlig falsch: Das ist das Thema Investitionen. Nun soll Herr Ramsauer noch einmal 750 Millionen Euro bekommen. Das ist sicherlich richtig. Trotzdem bleiben Sie hinter den Anforderungen zurück. Wir müssen investieren in Deutschland, in Städtebauförderung und in energetische Gebäudesanierung. Wir müssen mehr tun für Kitas. Wir müssen mehr tun bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Wir müssen in Krankenhäuser investieren. Das wäre notwendig. Hier bleiben Sie hinter allen Anforderungen zurück.

Sie reden von Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau. Nach den Zahlen, die dargestellt wurden, müssten wir in einer hervorragenden Situation sein. Das ist aber nicht der Fall. Diese Koalition wird in den vier Jahren über 100 Milliarden Euro neue Schulden machen - 106 Milliarden Euro. Und dann reden Sie von Konsolidierung und Schuldenabbau!

Alle Risiken blenden Sie aus. Schauen Sie sich die Konjunkturentwicklung an: Für Europa wird von einem Nullwachstum ausgegangen, für Deutschland von weniger als 1 Prozent Wachstum. Das ist in Ihrem Haushalt in keiner Weise abgebildet. Die Situation in Frankreich letzte Nacht, wo spiegelt sich das im Haushalt wider? Was ist mit der Zinsentwicklung? Nur 1 Prozentpunkt höhere Zinsen, und wir haben 10 Milliarden Euro mehr Ausgaben. Auch das spiegelt sich nicht wider.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Doch!)

Die Koalition macht diesen Haushalt wirklich nur mit Blick auf die Bundestagswahl.

Deutschland ist in puncto Haushaltsdisziplin wahrhaftig kein Vorbild in Europa: Schauen Sie sich die Staatsverschuldung an! Sie ist unter dieser Koalition auf 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Nach den Maastricht-Kriterien dürften es maximal 60 Prozent sein. Den Vertrag von Maastricht müssen doch auch Sie einhalten. Wir liegen bei 82 Prozent!

Eines ist ganz klar: Durch Ausgabenreduzierung werden wir dieser Situation nicht Herr werden. Sicherlich lässt sich auf der Ausgabenseite etwas machen; das ist überhaupt keine Frage. Das Kernproblem ist aber, dass wir in Deutschland ein Einnahmeproblem haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen endlich dazu kommen, dass die Vermögenden, die Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Gebot der Stunde. Nur dann wird die Gesellschaft funktionieren. Es ist doch nicht zu akzeptieren, dass die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland bei unter 1 Prozent liegen. In Frankreich, in Großbritannien, da liegen sie bei 4 Prozent. Warum wird bei uns in dieser Richtung nichts getan?

Warum ist es so absurd, in Deutschland eine Millionärssteuer einzuführen? Im letzten Jahr ist die Zahl der Vermögensmillionäre wieder gestiegen: In Deutschland gibt es inzwischen 952 000 Vermögensmillionäre. Die Zahl derjenigen, die Grundsicherung im Alter empfangen, ist ebenfalls gestiegen; das ist die andere Seite der Medaille. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist in den letzten beiden Jahren um 10 Prozent gestiegen, die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter ebenfalls um 10 Prozent. Schauen Sie sich die Einkommensentwicklung an: Die untersten 10 Prozent hatten in den letzten zehn Jahren einen Einkommensverlust von 9,6 Prozent zu beklagen. Die obersten 10 Prozent haben eine Einkommenssteigerung um 16,9 Prozent erzielt. Das ist doch eine Entwicklung, die wir allesamt nicht akzeptieren können.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da müssen wir eingreifen: durch Steuerpolitik. In der Steuerpolitik muss gesteuert werden, meine Damen und Herren.

Warum ist es so abwegig, die Erbschaftsteuer zu erhöhen? In den nächsten Jahren werden in Deutschland 2,6 Billionen Euro vererbt.

(Otto Fricke (FDP): Die Erbschaftsteuer betrifft doch gar nicht den Bundeshaushalt!)

- Herr Fricke, ich weiß, dass die Erbschaftsteuer nicht in den Bundeshaushalt geht, sondern in die Haushalte der Länder. Ist das nicht auch etwas Vernünftiges? Also, das ist auch etwas Vernünftiges.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schauen Sie sich die Situation in den Ländern und Kommunen an! Sagen Sie doch nicht, dass das keine Maßnahme ist, über die man nachdenken kann.

In einer Sache, Herr Schäuble, will ich Sie ausdrücklich loben. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Sie zusammen mit einigen Ländern in Europa bei der Finanztransaktionsteuer wirklich etwas hinbekommen. Das finde ich gut. Da haben Sie eine Idee der Linken, von Attac und anderen aufgenommen. Nehmen Sie mehr Vorschläge von den Linken an! Ich sage Ihnen: Das ist für das Land nur gut. Es bringt unser Land voran, wenn Sie das, was wir vorschlagen, umsetzen.

Ein wesentlicher Punkt - Kollege Carsten Schneider hat auch darauf hingewiesen - ist der: Wenn wir nicht endlich die Finanzmärkte regulieren, die Banken regulieren und dafür sorgen, dass nicht wieder neue Spekulationen stattfinden, wird diese Finanzmarktkrise jeden Haushalt ad absurdum führen.

Deswegen: Es ist notwendig, Ihre Politik der Spaltung der Gesellschaft und der Ungleichbehandlung von Ost und West sowie der Schwächung des Zusammenhalts in der Gesellschaft zu beenden. Ein Politikwechsel in unserem Land ist notwendig.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)