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Mehr Geschlechtergerechtigkeit - für ein gleichberechtigtes Leben im Viervierteltakt

Rede von Katja Kipping,

Katja Kipping (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 100 Jahre Frauentag zu den Wurzeln dieses Tages gehören auch folgende Etappen: Am 8. März 1857 streiken in New York Textilarbeiterinnen. Am 8. März 1908 kommen über hundert streikende Textilarbeiterinnen bei einem Fabrikbrand ums Leben, weil sie während des Streiks in der Fabrik eingeschlossen wurden. Vor 100 Jahren wurde der Frauentag in einigen Ländern erstmals am 19. März begangen. Am 8. März 1917 waren es wieder Textilarbeiterinnen, die in Russland gegen Hunger, Krieg und Zarismus streikten. Anknüpfend an diese Arbeitskämpfe wurde der Frauentag von der Zweiten Kommunistischen Frauenkonferenz auf Initiative von Clara Zetkin auf den 8. März gelegt.

(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich (DIE LINKE))

Betrachten wir die Geschichte des Frauentages, so können wir festhalten: Der Frauentag ist nicht bei Kaffekränzchen entstanden, er ist nicht Blumenrabatten entsprungen, sondern er ist aus Kämpfen um Rechte entstanden. Genau an diese Tradition des Frauentages sollten wir anknüpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Art, den Frauentag zu begehen, hat sich über die Jahrzehnte verändert, aber an der Notwendigkeit, um Frauenrechte zu kämpfen, hat sich nichts, aber auch gar nichts verändert. Kämpfe um Geschlechtergerechtigkeit sind hochaktuell und das weltweit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Geschlechterungerechtigkeit hat viele Gesichter. Das beginnt damit, dass auf den obersten Etagen der Wirtschaft faktisch immer noch „oben ohne“ - also ohne Frauen- gilt. Schließlich sind noch nicht einmal 10 Prozent aller Aufsichtsratsposten in Frauenhand. Es geht damit weiter, dass Frauen im Durchschnitt ein Viertel weniger verdienen als Männer und dass Frauen überdurchschnittlich stark in Minijobs gedrängt werden. Wir wissen: Auf Minijobs folgen Minirenten. Altersarmut ist somit gerade bei Frauen vorprogrammiert. Hier müssen wir deutlich gegensteuern.

(Beifall bei der LINKEN Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Dringend! Ganz dringend!)

Geschlechterungerechtigkeit geht weiter mit den Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. Das führt zum einen dazu, dass Frauen, die womöglich ihr Leben lang gewohnt waren, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben, dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren und der Partner etwas über den entsprechenden Grenzen verdient, sofort in die Position von Taschengeldempfängerinnen gedrängt werden. Oder es führt dazu, dass Alleinerziehende, die einen neuen Partner kennen lernen, mit diesem faktisch nicht zusammenziehen können, weil er ansonsten sofort als Aufstocker in Hartz-IV gedrängt werden würde, wenn sein geringes Einkommen auf das Einkommen des Kindes angerechnet wird.
Bei der Geschlechterungerechtigkeit spielt die ungerechte Verteilung der verschiedenen Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern eine Schlüsselrolle; denn leider ist es immer noch so, dass vor allen Dingen die Haus- und Familienarbeit den Frauen obliegt. Sie werden eher in die Rolle der Hinzuverdienenden gepresst, während die Männer die Rolle des Hauptverdienenden übernehmen. Das Ehegattensplitting zementiert diese überkommene alte Arbeitsteilung. Deswegen gehört das Ehegattensplitting abgeschafft.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Niemals! Das wird niemals abgeschafft!)

Frau Bär, Sie sagen, das gehört nicht abgeschafft. Damit unterstreichen Sie noch einmal eindeutig, dass Sie diese überkommene Arbeitsverteilung zementieren wollen.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Sie haben es nicht kapiert, das Splitting! Es gilt auch umgekehrt!)

Das Statistische Bundesamt führt aus, dass die Arbeitsverteilung wirklich ungerecht ist. 75 Prozent der Putzarbeiten und 85 Prozent der Arbeit mit Wäsche werden immer noch von Frauen erledigt. Der Armuts- und Reichtumsbericht weist aus, dass von den Müttern mit Kindern ab sechs Jahren gerade einmal 17 Prozent vollzeiterwerbstätig sind. Diese Zahlen zeigen, wie stark die überkommene Arbeitsverteilung immer noch unseren Alltag bestimmt.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Mir geht es nicht darum, Männer oder Frauen mit den angeblichen Segnungen der Erwerbsarbeit zwanghaft zu beglücken. Aber meine Kritik an dieser Verteilung setzt dann an, wenn Menschen - vor allen Dingen Frauen - von der Erwerbsarbeit - entweder aufgrund von überkommenen Geschlechterrollen oder aufgrund eines Mangels an Kitaplätzen - sozusagen weggedrängt werden. Das ist für uns als Linke nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch reden wir anlässlich einer Debatte über den Frauentag nicht nur über Probleme, sondern auch über Perspektiven, die Mut machen. Für mich ist die von der Feministin Frigga Haug entwickelte Vier-in-einem-Perspektive Mut machend und ermunternd. Diese geht davon aus, dass es vier gleichwertige Tätigkeitsbereiche gibt: erstens die Erwerbsarbeit; zweitens die Sorgearbeit, auch bekannt als Reproduktionsarbeit oder Haus- und Familienarbeit; drittens die Weiterentwicklung bzw. die Weiterbildung, auch vorstellbar als Muße; viertens die Politik, die in einer Demokratie nicht nur Berufspolitikerinnen und Berufspolitikern obliegen sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Zunehmend begeistern sich Frauen für einen solchen Aufbruch in ein Leben im Viervierteltakt, in dem eine Arbeitswoche aus vier gleichen Teilen besteht: ein Viertel Erwerbsarbeit, ein Viertel Sorgearbeit, ein Viertel Weiterentwicklung und Muße sowie - um das Ganze vollständig zu machen - ein Viertel Politik. Eine konsequente Arbeitszeitverkürzung für Männer und Frauen gleichermaßen wäre die Grundlage für einen Aufbruch in ein solches Leben im Viervierteltakt.

(Beifall bei der LINKEN)

Kämpfen wir nicht nur am Frauentag, sondern an allen Tagen im Jahr konsequent und engagiert dafür, dass die Erwerbsarbeitszeit verkürzt wird und die vorhandenen Tätigkeitsfelder gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt werden. Das heißt, dass ein Großteil der prestigeträchtigen Jobs von Männer- in Frauenhand wechseln müssen; im Gegenzug würde man gerne Sorgearbeit abgeben. Kämpfen wir dafür, dass die Bedarfsgemeinschaft auf den Prüfstand kommt. Kämpfen wir für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Kämpfen wir für globale soziale Rechte, und sorgen wir dafür, dass aus den Chefsesseln Sitzgelegenheiten werden, die mindestens zu 50 Prozent von Frauen besetzt sind.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)