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Matthias W. Birkwald: Gesetzliche Rente stärken

Rede von Matthias W. Birkwald,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt vom 4. April war die Rente wieder einmal das wichtigste Thema. Max Uthoff und Claus von Wagner berichteten vom österreichischen Rentenparadies.

Männliche Arbeiter und Angestellte erhalten in Österreich eine durchschnittliche Altersrente von sage und schreibe 1 926 Euro brutto im Monat. Bei den Frauen sind es 1 092 Euro. Für deutsche Verhältnisse ist allein das schon paradiesisch. Aber es wird noch besser: Die Pensionisten – so heißen die Rentner und Rentnerinnen in Österreich – erhalten ihre Renten 14-mal im Jahr. Auf 12 Monate umgerechnet sind das 2 247 Euro brutto bei den Männern und 1 274 Euro brutto bei den Frauen. Zum Vergleich: In Deutschland erhielten Männer 2015 eine Rente von durchschnittlich 1 162 Euro brutto, bei den Frauen waren es 916 Euro brutto, und da sind die Witwenrenten schon mit drin. 1 085 Euro mehr Rente für die Männer in Österreich und immerhin 358 Euro mehr für die österreichischen Rentnerinnen – das zeigt: Es ist beileibe nicht alles gut, was aus Österreich kommt, aber in der Rentenpolitik sollten wir unbedingt von Österreich lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch in Österreich regiert eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, und die haben uns glaubhaft versichert, dass das ausgesprochen leistungsfähige Rentensystem Österreichs bis zum Jahr 2060 nachhaltig finanziert ist, weil alle mit Erwerbseinkommen einzahlen. Herr Rosemann und Herr Schiewerling, Sie waren dabei.

(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nicht bei der Rente!)

Die Beschäftigten zahlen für die wesentlich höheren Renten in Österreich nur 0,9 Prozentpunkte mehr Beitrag als bei uns, und bei den Arbeitgebern sind es 3,2 Prozentpunkte mehr. Komplizierte Betriebsrenten und teure private Vorsorge brauchen die Österreicherinnen und Österreicher nicht. Darum: Lassen Sie uns die gesetzliche Rente auch in Deutschland wieder stärken; denn die Rente muss für ein gutes Leben reichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür hat die Linke ein Rentenkonzept vorgelegt. Es umfasst elf aufeinander abgestimmte Bausteine für eine lebensstandardsichernde und armutsfeste Rente. Hier die wichtigsten:

Erstens. Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden, und die Rente muss wieder eins zu eins den Löhnen folgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das brächte Menschen, die 45 Jahre lang durchschnittlich verdient haben, derzeit jeden Monat netto 122 Euro mehr Rente. Das ist finanzierbar, auch langfristig. Wer zum Beispiel als Erzieherin im öffentlichen Dienst in NRW 3 100 Euro brutto verdient, müsste aktuell nur 32 Euro mehr in die Rentenkasse zahlen, ihr Arbeitgeber ebenso. Union, SPD und Grüne wollen, dass diese Erzieherin jeden Monat 110 Euro Beitrag zur Riester-Rente zahlt. Das wäre dann überflüssig.

(Beifall bei der LINKEN)

110 Euro weniger für die Riester-Rente, 32 Euro mehr in die Rentenkasse – das heißt, diese Durchschnittsverdienerin hätte jeden Monat 78 Euro mehr in der Tasche, und im Jahr 2030 wären es trotz des demografischen Wandels immer noch 64 Euro.

Meine Damen und Herren, in Österreich zahlen die Arbeitgeber 12,55 Prozent des Lohns in die Rentenkasse. Damit, liebe Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen hierzulande, könnten wir in den kommenden Jahren ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent finanzieren. Ich sage: Was in Wien geht, das geht auch in Kiel oder in Köln.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Grünen wollen das Rentenniveau so lassen, wie es ist. Ganz deutlich: Das reicht nicht für eine gute Rente.

Zweitens. In Österreich gibt es eine Erwerbstätigenversicherung. Das heißt, alle Menschen mit Erwerbseinkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und selbstverständlich alle Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre. Meine Damen und Herren, eine solche Erwerbstätigenversicherung will die Linke auch in Deutschland einführen.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Wir Linken wollen die Beitragsbemessungsgrenze anheben. Heute müssen Geschäftsführer mit zum Beispiel 12 700 Euro Monatseinkommen nur Rentenbeiträge für ihr halbes Einkommen zahlen. Das ist sozial ungerecht. Darum fordert die Linke, die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise anzuheben und sie perspektivisch abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür kriegen sie auch doppelt so viel Rente! Mannomann!)

Sehr hohe Renten wollen wir in der Spitze abflachen. Das wäre verfassungsgemäß und sozial gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Die Rente muss schwierige Lebenslagen wieder ausgleichen. Alleinerziehende, Pflegende, Langzeiterwerbslose und Geringverdienende brauchen unsere Solidarität. Konkret: Wir wollen 93 Euro Mütterrente für jedes Kind – in Leipzig und in Düsseldorf, vollständig steuerfinanziert. Da, liebe Grüne, sind wir uns einig.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Hartz-IV-Betroffene müssen endlich wieder Beiträge in die Rentenkassen gezahlt werden, und zwar so, als ob sie die Hälfte des Durchschnitts verdienten. Das fordert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, und das wäre sozial gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

In Nordrhein-Westfalen sorgt der Niedriglohnsektor zum Beispiel dafür, dass gut ein Fünftel der Beschäftigten später keine ausreichende Rente erhält. Bis 1991 wurden die Renten dieser langjährig Niedrigverdienenden aufgewertet; Rente nach Mindestentgeltpunkten heißt das. Viele Sozialverbände und die Linke fordern: Die Rente nach Mindestentgeltpunkten muss auch für die Zeit ab 1992 gelten, und sie muss besser werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Denn damit würde die Altersarmut in Ost- und Westdeutschland bekämpft. Das muss drin sein!

(Beifall bei der LINKEN)

Fünftens. Über die linken Vorschläge für deutlich bessere Erwerbsminderungsrenten und für eine gerechte Angleichung der Ostrenten an das Westniveau werden wir morgen diskutieren und über Betriebsrenten Mitte Mai.

Sechstens. Zur Rente erst ab 67. Union und SPD haben Millionen Menschen die Rente massiv gekürzt, weil sie bis 67 arbeiten sollen, obwohl viele das gar nicht schaffen und es auch keine Jobs für sie gibt. Wer es nicht bis zur persönlichen Regelaltersgrenze schafft, kriegt die Rente durch Abschläge gekürzt.

Ich komme aus NRW. Dort hatte 2015 von den rund 1,1 Millionen Einwohnern im Alter von 60 bis 65 Jahren nur jeder Dritte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, mit der Rentenansprüche aufgebaut werden konnten. Die Folge: Hunderttausenden drohen gekürzte Renten, und das bei einem weiter sinkenden Rentenniveau. Das geht gar nicht!

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem: In den vergangenen Jahren waren 22 Prozent der Verstorbenen jünger als 70 Jahre. Vor allem die Armen müssen früher sterben. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen. Die armen Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen. Und darum ist jede Forderung nach der Rente erst ab 70, Herr Schäuble und Herr Spahn, nach der Rente erst ab 73, liebe Bundesbank, oder nach der Rente erst ab 85, BDI-Vizepräsident Ulrich Grillo, nichts anderes als Klassenkampf von oben. Das ist der völlig falsche Weg!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen müssen wieder ab 65 abschlagsfrei in Rente gehen können – wie in Österreich. Wer 40 Beitragsjahre hat, muss ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Bauarbeiter und Krankenschwestern haben dann genug Steine und Patientinnen und Patienten geschleppt.

(Beifall bei der LINKEN)

Siebter und letzter Punkt. Meine Damen und Herren, wenn alle diese Bausteine im Einzelfall nicht für eine Rente oberhalb der Armutsgrenze reichen sollten, dann wollen wir, dass der Rentner oder die Rentnerin eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente aus Steuermitteln erhält. Es gibt sie schon – in Österreich. Dort gibt es sogar zwei Mindestrenten. Wer in Österreich auch nur einen Cent Rentenanspruch hat, erhält als Single mindestens 1 038 Euro Rente, mit mindestens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1 167 Euro, umgerechnet auf zwölf Monate. Ausgleichszulage nennen die Ösis das offiziell.

Die Garantierente der Grünen ist dagegen ein schlechter Witz. Für langjährig Versicherte, also nach 35 Beitragsjahren,

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 30 Versicherungsjahre!)

soll es eine Garantierente in Höhe von 30 Entgeltpunkten geben. Das wären derzeit 914 Euro brutto und 811 Euro netto. Das sind 7 Euro über dem durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf im Alter außerhalb von Einrichtungen. 7 Euro – das ist doch nur weiße Salbe.

Wir brauchen eine armutsfeste, solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient. Das heißt zum Beispiel, wer als Single eine gesetzliche Rente von nur 800 Euro erreichte und 150 Euro an weiteren Alterseinkommen hätte, hätte einen Anspruch auf einen steuerfinanzierten Zuschlag von 100 Euro. Die würden dann von der Rentenversicherung ausgezahlt. Das wären dann insgesamt 1 050 Euro netto, knapp über der Armutsgrenze nach den Kriterien der Europäischen Union. Wir Linken sagen: Arbeit darf nicht arm machen, auch nicht im Alter.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)