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Martina Renner: Eine Regierung für Geheimdienste? Die LINKE sagt Nein

Rede von Martina Renner,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Warken, Sie wissen, dass das, was Sie eben gesagt haben, Widerspruch hervorruft.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Keine Falschinformationen!)

Sie haben zu Recht ausgeführt: Die herausgebende Stelle entscheidet über den Einstufungsgrad der Akte.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Die Information, die in dem Sondervotum enthalten ist, ist natürlich gemeint!)

Und wer war die herausgebende Stelle? Bei einem Sondervotum ist dies die Opposition.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Sie können da nicht einfach geheim eingestufte Dinge reinschreiben!)

Es ist unser vornehmes Recht, in einem Sondervotum unsere eigenen Feststellungen und Bewertungen aufzuschreiben, ohne dass Sie eingreifen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch Ihr Hinweis darauf, dass wir das Sondervotum mit 43 Tagen Verzögerung vorgelegt haben, stimmt nicht.

(Nina Warken [CDU/CSU]: 41!)

Wir konnten das Sondervotum erst erstellen, nachdem Sie Ihre Bewertungen und Feststellungen abgegeben haben, weil das Sondervotum die abweichende Meinung der Opposition widerspiegelt.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)

Und wenn Sie 17 Tage zu spät sind,

(Nina Warken [CDU/CSU]: Wir waren nicht zu spät! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)

dann können wir nicht pünktlich einlaufen. Hören Sie auf, zu lügen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss wirklich sagen, dass hier die Debatte von gestern fortgesetzt wird. Auch gestern dachte man teilweise, man ist im falschen Film.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, bei Ihnen!)

Der Ausschussvorsitzende hat gestern die Einmütigkeit und Einigkeit im NSA-Untersuchungsausschuss besungen. Man fragt sich wirklich, wo er die letzten drei Jahre gewesen ist.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat drei Jahre lang mitgeholfen, die Opposition in diesem Ausschuss durch vielfältige Beschlüsse und vielfältige Dinge, die sich im Geheimen abspielten, massiv zu behindern. Teilweise hat man sogar versucht, den Rednern der Opposition in Auseinandersetzungen das Wort zu entziehen. Ich erinnere mich gut. Ich weiß nicht, ob Herr Sensburg mittlerweile geblitzdingst wurde, sodass er das alles nicht mehr weiß.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Sensburg ist dafür verantwortlich, dass in einem einmaligen Vorgang in diesem Haus die Berichterstatter der Oppositionsfraktionen abberufen wurden, ohne zu fragen, ob die Stellvertreter an ihre Stelle treten. Und er hat in der Presse dreist über die Gründe gelogen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Unverschämtheit, diese Unterstellungen!)

Er hat gesagt, wir hätten grundlos unsere Unterschrift verweigert. Das ist nicht der Fall. Der Grund lag in Ihrer Einstufung unseres Sondervotums als Geheim und in nichts anderem.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nina Warken [CDU/CSU]: Sie haben geheime Sachverhalte veröffentlicht!)

Das war der Höhepunkt einer Kampagne gegen die Kontrollfunktionen des Parlaments, die allein auf dem Dogma beruht, dass Regierungsinteressen identisch mit dem Staatswohl sind. Aber das sind sie nicht.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Die Regierung ist für den Staat verantwortlich!)

In einer Demokratie übt nämlich das Parlament eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus. Wer diese Kontrolle sabotiert, der beraubt nicht nur die Opposition ihrer demokratischen Rechte, sondern schadet auch der Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich nenne einige Beispiele. Auch in dieser Legislatur wurde der NSU-Untersuchungsausschuss in seiner Arbeit massiv behindert. Der ehemalige BfV-Präsident Fromm verschwieg jahrelang den Tatverdacht gegen einen V-Mann im Zusammenhang mit dem NSU-Anschlag auf einen iranischen Lebensmittelladen. In seiner Befragung wurde offenbar: Solange Parlamentarier nicht anderweitig über die Machenschaften der Dienste informiert werden, erfahren sie aus den Geheimdiensten nichts, wie viele Beweisbeschlüsse sie auch stellen. Und wenn Verschweigen nicht reicht, dann wird eben das Staatswohl als Begründung für die Verweigerung von Akten herangezogen. So geschah es auch im Fall von Ralph H., einem mutmaßlichen Unterstützer des NSU, der Medien zufolge als V-Mann angeworben werden sollte. Die Akten könnten Aufschlussreiches über das Wissen des Verfassungsschutzes bezüglich des NSU offenbaren. Doch lesen durfte der Ausschuss die Akten nicht.

Auch im NSA-Untersuchungsausschuss verweigerte die Bundesregierung Akten mit dem Argument, das Thema hätte gar nichts mit dem Untersuchungsauftrag zu tun. Dabei weiß die Bundesregierung und wissen auch Sie ganz genau, dass das Verfassungsgericht klar geregelt hat, dass der Ausschuss entscheidet, was zum Thema gehört – und eben nicht die Regierung oder die Große Koalition.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben eine verdrehte Rechtsauffassung!)

Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass 2010 ein deutscher Islamist im Foltergefängnis Bagram in Afghanistan von Verfassungsschutzbeamten verhört wurde. Einen Tag später ist ein anderer deutscher Islamist im angrenzenden Pakistan von einer US-Drohne getötet worden. Die Akten darüber durften wir nicht lesen. Dabei ist die deutsche Rolle im Drohnenkrieg Thema des Untersuchungsauftrages gewesen.

Eine weitere Posse: Wir sollten in unserem Sondervotum nicht schreiben dürfen, was der Ausschussvorsitzende in seinem Buch ausplaudert. Er zitiert offen aus einer BND-internen Mail, während diese Passage in unserem Sondervotum geschwärzt wurde. Mein Kollege Konstantin von Notz nannte das Schikane. Ich nenne es reine Willkür.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch der Bericht der Datenschutzbeauftragten über die BND-Stelle Bad Aibling sollte geheim bleiben. Es geht dabei um 18 schwerwiegende Rechtsverstöße und 12 Beanstandungen. Das war einzig und allein VS-Grad Vertuschung und nichts anderes.

Bei parlamentarischen Anfragen machten wir ähnliche Erfahrungen. Immer wieder kriegen wir vorgefertigte Satzbausteine: Eine Beantwortung sei nicht möglich, weil sie die Arbeit der Dienste oder das Wohl des Staates gefährden könnte.

Genau gegen diese Haltung klagen wir im Zusammenhang mit unseren Kleinen Anfragen zum Oktoberfestattentat vor dem Bundesverfassungsgericht. Denn diese Haltung läuft darauf hinaus, die Aufklärung zu verhindern. Mit dieser Haltung wird die Strafverfolgung der NSU-Verbrechen ebenso wie die vollständige Aufklärung des Oktoberfestattentates behindert. Aber auch die illegalen Machenschaften der NSA und des BND bleiben ohne Folgen für die Verantwortlichen. Damit werden wir uns nicht abfinden, auch wenn Sie unsere Berichte an die Geheimschutzstelle schicken, –

– ich bin fertig – Akten zurückhalten oder sich von den Geheimdiensten wie an einem Nasenring durch die Arena ziehen lassen.

Wir bleiben dabei: In einer Demokratie bedeutet Staatswohl, dass das Parlament die Regierung kontrolliert – und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn diese Regierung das anders sieht, dann brauchen wir eine andere Regierung.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)