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Martina Renner: Das neue BKA-Gesetz ist ein Angriff auf unsere Verfassung

Rede von Martina Renner,

Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wo stehen wir eigentlich in der Sicherheitsdebatte? Dass Anis Amri nicht gestoppt wurde, bevor er zwölf Menschen ermordete, lag nicht daran, dass über ihn nicht genügend Daten vorlagen oder dass er keine Fußfessel trug. Man ließ ihn gewähren, weil die Behörden sich einfach nicht vorstellen konnten, dass jemand, der Alkohol trinkt und die Gebete vernachlässigt, ein fanatischer Islamist sein könnte. Falsche Annahmen gab es auch im Fall des rassistischen Attentats am Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Der Täter war ein Anhänger von Breivik und Hitler, die Opfer waren Migranten. Es gibt ein schriftliches Bekenntnis. Aber es sei kein rechter Terror – so sagen es die Behörden bis heute.

Beides sind Beispiele dafür, dass aus falschen Analysen falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Das ist das wahre Problem Ihrer Sicherheitsarchitektur.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer den Terrorismus bekämpfen und überwinden will, muss verstehen, warum Menschen zu Attentätern werden. Ihr Technikfetisch wird Ihnen darauf keine Antwort geben können.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gesetzentwurf folgt dem bekannten Muster: Ihr Erzfeind ist eigentlich der Datenschutz. Das sieht man insbesondere an den Regelungen zum Datenpooling: Einmal erhobene Daten können fast ohne besondere Voraussetzungen weiter genutzt, auf Vorrat gehalten und im Ergebnis noch Jahrzehnte später verwertet werden. Nach Verhältnismäßigkeit und Zweckbindung fragt hier niemand mehr.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Steht doch im Gesetz!)

Der Besuch eines Fußballspiels oder einer Demonstration, bei denen die Personalien erhoben wurden, ohne dass man sich irgendetwas zu Schulden hat kommen lassen, kann im Zweifel Anlass genug dafür sein, dass die persönlichen Daten fast ewig gespeichert werden – über Jahre hinweg. Das ist ein Albtraum in Big Data.

(Beifall bei der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wo steht denn das?)

Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2016 eben nicht eine dauerhafte Vorratsspeicherung gestattet, sondern nur eine unmittelbare Anschlussnutzung inklusive anschließender Löschung. Man braucht keine Glaskugel, um heute schon sagen zu können: Die vorgeschlagenen Regelungen haben gute Chancen darauf, in Karlsruhe wieder kassiert zu werden.

Die Linke lehnt außerdem die Einführung der elektronischen Fußfessel gepaart mit Aufenthalts- und Kontaktverboten ab. Wenn ein konkreter Verdacht einer unmittelbar bevorstehenden Straftat vorliegt und der Täter bereit ist, sein Leben dafür zu opfern, dann nutzt die Fußfessel gar nichts. Sie unterliegen auch hier dem Irrtum, fehlendes Personal bei der Polizei und mangelnde Gefahrenprognose durch Überwachungstechnik heilen zu können. Das wird nicht funktionieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, um das zu belegen. Adel Kermiche stand in der Normandie unter Hausarrest inklusive Fußfessel, als er den 86‑jährigen Priester ­Jacques Hamel tötete. Oder: Der aus der Strafhaft entlassene Rafik Yousef trug eine Fußfessel, als er in Berlin mit einem Messer bewaffnet auf eine Polizistin losging. Hören Sie endlich auf, den Bürgern und Bürgerinnen vorzumachen, diese Maßnahmen würden schützen! Sie gaukeln lediglich Sicherheit vor.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Linke lehnt auch den Einsatz von Staatstrojanern und die Onlinedurchsuchung ab.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie lehnen alles ab!)

Im Gesetz fehlen jegliche Regelungen über die vom Trojaner einzuhaltenden technischen Anforderungen. Ob der Trojaner tatsächlich nur Daten ausliest, angegriffene Systeme manipuliert oder Daten sogar selbst erzeugt, wissen wohl nur das BKA und die beteiligten externen Ermittler. Die Kontrolleure sind blind, und blind sind auch das Parlament und die Justiz. Das für die Kontrolle zuständige Amtsgericht Wiesbaden ist zur Beurteilung der Eingriffstiefe der Software gar nicht in der Lage. Dies hat das Amtsgericht Wiesbaden in der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht selbst erklärt.

Dann bleibt fraglich, wie das BKA eigentlich Zugriff auf den Rechner bekommt, möglicherweise durch Ausnutzung von Sicherheitslücken in Hard- und Software, gekauft auf einem kriminellen Markt von einem Staat, der im Interesse der Bürger und Bürgerinnen diese Sicherheitslücken eigentlich schließen müsste und sie nicht für sich nutzen sollte.

Die Onlinedurchsuchung greift in die Arbeitsgrundlage von Psychologen und Presse ein. Sie kennen die vielen Stellungnahmen, die uns als Parlament zugegangen sind. Patientengeheimnis, Informantenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht sind Kern der freiheitlichen Rechtsordnung. Es ist bedauerlich, dass sie einigen hier im Haus so wenig wert sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Das alles bringt kein Mehr an Sicherheit, nur ein Mehr an Überwachung. Das alles führt zur Preisgabe des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre. Aus diesen Gründen werden wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes ablehnen.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)