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Lohnunterlagen noch nicht in den Reißwolf

Rede von Martina Bunge,

Rede (zu Protokoll) für TOP 23 am 10.11.2011 zum Antrag der Fraktion Die Linke „Aufbewahrungsfrist der Lohnunterlagen von DDR-Betrieben bis 31.12.2016 verlängern“ (17/7486)

Zeitungen schreiben darüber, im Radio und im Fernsehen gibt es Hinweise, Kommunen machen darauf aufmerksam, Gewerkschaften und Sozialverbände informieren. Auch Sozialministerien und die Deutsche Rentenversicherung äußern sich inzwischen zum bevorstehenden Ablauf der Aufbewahrungsfrist von Lohnunterlagen aus DDR-Zeiten.
Dabei hatte die Bundesregierung mir im April auf eine diesbezügliche Frage noch wie folgt geantwortet: „Handlungsbedarf für eine gesonderte Information der Öffentlichkeit über den endgültigen Ablauf der Aufbewahrungsfrist wird zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesehen, da der Fristablauf lange genug bekannt ist.“ Zum Glück haben sich damals dennoch einige Zeitungen dieses Themas angenommen, das inzwischen solche Aufmerksamkeit findet. Und das zu Recht, denn die Lohnunterlagen, die u.a. Auskunft über die Höhe der Einkommen und über Beschäftigungszeiten geben, sind unverzichtbar für die Sicherung von Rentenansprüchen. Fehlende Lohnunterlagen können dazu führen, dass Rentenansprüche gemindert werden oder im schlimmsten Falle ganz verloren gehen.
Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund sowie der DRV Berlin-Brandenburg, der DRV Mitteldeutschland und der DRV Nord gibt es rund 648.00 ungeklärte Rentenkonten von Versicherten in den ostdeutschen Bundesländern. Nicht erfasst sind in diesen Zahlen diejenigen, die nach Herstellung der Einheit von Ost nach West gingen. Laut Statistischem Bundesamt waren das allein bis 2008 mehr als 2,7 Millionen Menschen. Es ist leider nicht davon auszugehen, dass alle ihre Rentenangelegenheiten geklärt haben.
Natürlich resultieren nicht alle Lücken in Rentenkonten aus Zeiten der Berufstätigkeit in der DDR. Aber die Deutsche Rentenversicherung Nord zum Beispiel schätzt für Mecklenburg-Vorpommern, dass von den 57.900 offenen Konten etwa 45.000 wegen fehlender Unterlagen aus DDR-Zeiten noch nicht abschließend geklärt werden konnten. Das sind mehr als drei Viertel.
Noch einige Worte zu zwei speziellen Gründen, die Lohnunterlagen zugänglich zu halten. Erstens geht es um diejenigen, die sich in Klageverfahren befinden. Sie müssen erfahrungsgemäß häufig weitere Belege beibringen. Zweitens gibt es den Personenkreis, der nach eventuellen gesetzlichen Korrekturen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Originaldokumente vorlegen muss. Beide Gruppen brauchen zur Wahrnehmung ihrer Rechte den weiteren Zugang zu den Lohnunterlagen.
Die Bundesregierung hat mich auf die Glaubhaftmachung nach SGB VI verwiesen. „Hierdurch werden Nachteile in der Rentenhöhe abgemildert, wenn der Nachweis von Versicherungszeiten nicht gelingt“, hieß es in einer Antwort. Konkret ist eine Glaubhaftmachung mit einem Verlust von einem Sechstel des eigentlichen Anspruchs verbunden. Das wäre eine Belastung vor allem für diejenigen, die längere Zeiten von Arbeitslosigkeit hinnehmen mussten und deren Renten ohnehin schmal ausfallen dürften.
Im Übrigen gibt es Menschen, für die selbst eine Glaubhaftmachung schwer, wenn nicht gar unmöglich ist. Zum Beispiel Menschen, die in die Bundesrepublik geflüchtet waren – nachvollziehbarer Weise ohne alle Unterlagen – und die heute nur noch vage Erinnerung an genaue Beschäftigungszeiten und an das Einkommen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, entschließen Sie sich wie schon im Jahr 2006 zu einer Gesetzesänderung, um die Frist nochmals zu verlängern. Ändern Sie wie damals den § 28f Abs.5 des SGB IV. Ersetzen Sie das darin enthaltene Datum „31. Dezember 2011“ durch den „31. Dezember 2016“. So einfach wäre die Gesetzesänderung! Sie wäre nicht nur für zahlreiche Versicherte, sondern auch für die Deutsche Rentenversicherung gut, denn deren Aufwand zur Feststellung von Rentenansprüchen würde sich ohne den weiteren Zugang zu den Lohnunterlagen massiv erhöhen.