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Lohndumping und Zeitarbeit bei der Firma Schlecker

Rede von Sabine Zimmermann,

Mündliche Fragestunde der Bundesregierung am 25.11.2009

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich rufe dann die Frage 27 der Abgeordneten Sabine Zimmermann auf:
Welche rechtlichen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass das Unternehmen Schlecker versucht, mit der Zeitarbeitsfirma Meniar einen mit der Gewerkschaft Verdi geschlossenen Tarifvertrag über Lohn- und Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu unterlaufen, und wie steht sie zu dem Vorwurf, dass es sich dabei de facto um eine „rechtsmissbräuchliche Strohmann-Konstruktion“ handelt, vor dem Hintergrund, dass laut Wirtschaftswoche vom 16. November 2009 der Geschäftsführer dieser Zeitarbeitsfirma jahrelang Toppersonalmanager bei Schlecker war und ein Büro am Konzernsitz unterhält?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Frau Kollegin, meine Antwort auf Ihre Frage wird sehr kurz sein. - Die Bundesregierung hat keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse in dieser Sache. Ohne genaue Kenntnis dieses Einzelfalls kann dieser nicht bewertet werden. Deshalb können daraus auch keine rechtspolitischen Schlüsse gezogen werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Zimmermann, Nachfrage?

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich bin ein bisschen überrascht, dass Sie keine Kennt-nisse darüber haben. Der Stammsitz der Zeitarbeitsfirma der Schlecker GmbH - Meniar mit Namen - befindet sich in Zwickau. Diese Firma ist bereits seit einem Jahr tätig und hat die Zulassung zur Arbeitnehmerüberlassung. Wenn Sie bei der Bundesagentur für Arbeit nachgefragt hätten, dann hätten Sie diese Informationen dort bekommen können.

Da Sie sagen, dass Sie keine Kenntnisse haben, muss ich Ihnen die Praxis in diesem Bereich schildern: Schlecker entlässt die eigenen Beschäftigten und stellt sie über diese Leiharbeitsfirma wieder ein, aber nicht zu den-selben Bedingungen, sondern zu einem wesentlich geringeren Einkommen. Es ist bis zu 50 Prozent geringer. Wie beurteilen Sie die Praxis dieser Leiharbeitsfirma? Wie bewertet die Bundesregierung solche Praktiken? Das ist kein Einzelfall; es gibt andere Unternehmen, die dies schon praktizieren.
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Zunächst ist festzustellen: Die Bundesregierung ist kein Forschungsinstitut, dessen Aufgabe es wäre, solchen Einzelfällen nachzugehen. Hierfür sind andere Instanzen zuständig. Die zuständigen Gerichte müssen sich mit diesen Fragen beschäftigen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Weitere Nachfrage?

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Herr Staatssekretär, das befremdet mich schon; denn es geht hier um 4 300 Menschen. Sie sind in diese Leiharbeitsfirma gedrückt worden. Sie waren zuvor als Verkäuferinnen im Einzelhandel bzw. bei Schlecker beschäftigt. Ich denke, es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung hier tätig wird.
Ich gebe Ihnen mit auf den Weg, dass Sie Recherchen dazu anstellen und versuchen, zu klären, wie solche Praktiken auf gesetzlichem Wege unterbunden werden können. Dies ist im Interesse der Allgemeinheit; denn die Folgekosten - es werden dadurch geringere Sozialversicherungsbeiträge gezahlt - trägt die Gesellschaft. Dies kann nicht sein. Sind Sie der Meinung, dass es richtig ist, wenn die Kosten so verlagert werden?
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Ich wiederhole mich zunächst einmal: Es geht hier nicht um generelle Tendenzen, sondern wir haben es hier mit einem Einzelfall zu tun. Die Gerichte werden klären, was rechtens ist und was nicht.

Im Übrigen möchte ich ein Wort zum Thema der Leiharbeit insgesamt sagen. Für die Bundesregierung ist die Leiharbeit bzw. Zeitarbeit ein flexibles Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Sie hat ein hohes Beschäftigungspotenzial und bietet vielen Arbeitslosen die Chance auf ein sozialversicherungsverträgliches Arbeitsverhältnis - und das bei grundsätzlich gleichen Ar-beitnehmerschutzvorschriften. Diese müssen eingehal-ten werden; darum geht es. Dafür müssen wir sorgen.

Falls es Praktiken gibt, die dem nicht Rechnung tragen, ist es Sache der dafür zuständigen Instanzen, sich damit zu befassen. Hier sind die Gerichte gefragt.

(Beifall des Abg. Jens Ackermann [FDP])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Damit kommen wir zur Frage 28 der Kollegin Zimmermann:
Befürwortet die Bundesregierung eine Vermittlungspraxis der Bundesagentur für Arbeit, wonach Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen genötigt werden, Leiharbeitsplätze anzunehmen, obwohl diese dazu genutzt werden, bisher gültige Tarifverträge in einem Unternehmen zu unterlaufen, und werden damit wie im Fall Schlecker nicht sittenwidrige Löhne unterstützt angesichts der Tatsache, dass die von der Leiharbeitsfirma Meniar gezahlten Löhne 40 Prozent unter dem Entgeltniveau liegen, das über Tarifverträge der Gewerkschaft Verdi im Einzelhandel vereinbart ist?
Das ist die letzte Frage, die ich zulasse; denn die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist dann beendet.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Zu Frage 28 kann ich nur ausführen, dass die Bun-desagentur für Arbeit im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags der Arbeits- und Ausbildungsvermittlung zu prüfen hat, ob das Stellenangebot gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt. Wenn dem so ist, ist der Vermittlungsauftrag abzulehnen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nachfrage, Frau Zimmermann?

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich stelle fest, dass sich die Bundesregierung mit solchen Einzelfällen, wie Sie es bezeichnen, nicht beschäftigen will. Ich muss aber trotzdem fragen: Ist sich die Bundesregierung darüber klar, dass der Staat und die Allgemeinheit den Niedriglohnsektor gerade im Einzelhandel massiv subventionieren? In Deutschland sind allein im Einzelhandel 160 000 Hartz-IV-Aufstocker beschäftigt. Das heißt, jeder achte Aufstocker in Deutschland arbei-tet im Einzelhandel. Will die Bundesregierung diesen Niedriglohnsektor weiter subventionieren und ihn ausweiten?

Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Ich entnehme Ihrer Frage, dass Sie durch die Hintertür wieder auf das Thema Mindestlohn kommen möchten.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir kommen durch die Vordertür!)

Das ist mit uns auf diese Weise nicht zu machen. Wir haben klare Vorgaben, in welchem Rahmen Mindestlöhne gezahlt werden oder nicht; und diese werden eingehalten. Solange wir regieren, müssen sich alle nach unserer Auffassung richten.
Ich darf weiterhin darauf hinweisen, dass für Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer von den Sozialpartnern ausgehandelte Tarifentgelte nahezu flächendeckend gelten. Es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe der Bundesregierung, die Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts festzulegen. Das ist, mit Verlaub, nach weit verbreiteter Auffassung in diesem Hause die Aufgabe der Sozialpartner. Dass das funktioniert, zeigen die über 50 Jahre hinweg erfolgreichen Sozialpartnerschaften in Deutschland.

(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Sehr erfolgreich!)

Diese sollten wir weiterhin bestehen lassen und fördern. Auf sie sollten wir uns stützen. Die Bundesregierung würde es allerdings nicht hinnehmen, wenn es sich um sittenwidrig niedrige Löhne handelt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Zimmermann, haben Sie eine Nachfrage?

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen. Bei Schlecker haben die Verkäuferinnen 12,80 Euro die Stunde erhalten. Nachdem ihnen betriebsbedingt gekündigt wurde, wurden sie bei der Leiharbeitsfirma Meniar eingestellt. Die Verkäuferinnen erhalten nun 6,50 Euro pro Stunde. Das ist schon ein großer Unterschied. Finden Sie es richtig, dass durch die Subventionierung, die Sie über die Aufstockung betreiben, die Steuerzahler, also die Allgemeinheit, für diese Kosten aufkommen müssen?

Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Ich kann nur sagen, dass auch der Staatssekretär Zeitung lesen kann.

(Zuruf von der SPD: Das ist gut, dass Sie das sagen!)

Ich nehme deswegen aber noch lange nicht alles, was in der Zeitung steht, eins zu eins hin. Es gibt vielleicht noch Rückfragen. Ich verstehe gut, dass Sie als örtlich betroffene Abgeordnete diesen Fragenkomplex ansprechen. Allerdings müssen Sie auch mich verstehen, dass ich bereits gegebenen Antworten nichts hinzuzufügen habe.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sehr schwach!)