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LINKE fordert Konjunkturprogramm zur gesellschaftlichen Integration der Hiesigen und der Ankommenden

Rede von Roland Claus,

Rede des Haushaltspolitischen Sprechers und Ostkoordinators der Fraktion DIE LINKE, Roland Claus, in der Debatte zum Nachtragshaushalt 2015 am 5. November 2015

Roland Claus (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So viel Selbstkritik wie eben habe ich von der Christlich Demokratischen Union lange nicht gehört.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD))

Bekanntlich gehört die CDU ja dem hier vielkritisierten Senat Berlins an.

Der Nachtragshaushalt ist in der Regel eher eine Angelegenheit für wenige im Parlament damit befasste Abgeordnete. In der Regel geht es um ein paar Ausgabenerhöhungen auf der einen Seite, um ein paar Deckungsvorschläge bei den Einnahmen auf der anderen Seite. Aber hier, stellen wir fest, sind wir natürlich nicht in normalen Zeiten. Dieser Nachtragshaushalt steht vor einer enormen Herausforderung von gesellschaftspolitischer Dimension. Leider - das müssen wir Ihnen sagen - ist dieser Nachtragshaushalt an diesen Herausforderungen komplett gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Nachtragshaushalt wird vor allem mit enorm gestiegenen Flüchtlingszahlen begründet, und das Wort von der Flüchtlingskrise geht um. Ich meine, dieses Wort ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor der Kritik an der Bundesregierung will ich jedoch etwas anderes tun, weil in diesem Nachtragshaushalt etliche Mittel als Zuweisungen an Kommunen zur Flüchtlingsunterstützung stehen. Da finde ich es mehr als angebracht, Dank an ungezählte ehrenamtliche und hauptamtliche Helferinnen und Helfer auszusprechen, die in diesen Situationen Tag für Tag wirklich Hervorragendes leisten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort „Flüchtlingskrise“ ist meines Erachtens deshalb falsch, weil die Schutzsuchenden, die zu uns kommen, uns nur die Krise unseres hiesigen gesellschaftlichen Systems, ja, auch die Krise der herrschenden europäischen Politik vor Augen führen, meine Damen und Herren. Den Unterschied machen wir.

(Beifall bei der LINKEN)

Hatten wir denn vor der Ankunft der Geflüchteten ein gutes Bildungssystem mit genügend Lehrerinnen und Lehrern? Nein. Hatten wir genügend bezahlbare Wohnungen in den großen Städten? Nein. Waren wir auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Nein. Erst in diesen Tagen veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Bilanz für 2014 und stellt darin fest: Mehr als jeder fünfte Mensch in Deutschland ist von Armut bedroht; Tendenz leider steigend. - Eine offenbar gut unterrichtete Zeitung titelte vor einigen Tagen mit Blick auf die Haushaltssituation des Bundes „Das letzte goldene Jahr“, weil ab 2016 mit einem Einnahmerückgang zu rechnen ist. Heute wird der Bundesfinanzminister noch die Ergebnisse der Steuerschätzung kundtun, wozu das Bundesfinanzministerium gestern im Haushaltsausschuss noch nicht bereit oder in der Lage war.

Ich gestatte mir an dieser Stelle festzustellen: Nur die Linke thematisiert die Einnahmeseite des Bundes. Nur die Linke macht hier Vorschläge, wie wir wirklich zu mehr Einnahmen für den Bund für eine sozial gerechte Politik kommen können. Das werden wir fortsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Gemeint sind damit natürlich nicht Mehrwert- oder Lohnsteuererhöhungen, sondern eine gerechte Besteuerung von Superreichen und eine Besteuerung von internationalen Spekulationsgeschäften.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))

Meine Fraktion hält vor diesem Hintergrund diesen Nachtragshaushalt für kleingeistig, halbherzig und - ja, das muss man Ihnen auch sagen - zum Teil auch starrsinnig. Vor aller humanitären Hilfe soll die sogenannte schwarze Null bestehen bleiben. Aus meiner Fraktion wurden Ihnen Alternativen vorgeschlagen. Wir haben vorgeschlagen, ein staatliches Konjunkturprogramm zur gesellschaftlichen Integration der Hiesigen und der Ankommenden aufzulegen. Wir werden das für 2016 wieder vorschlagen; aber wir hätten ja jetzt schon einmal anfangen können: mit mehr sozialem Wohnungsbau - man muss natürlich jetzt auch mit dem staatlich geförderten Abriss aufhören -, mit der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, von Erzieherinnen und Erziehern, mit einem Breitbandausbau auf einer völlig neuen Stufe. Kollege Brackmann hat ja angesprochen, dass der Bund eine Rücklage bilde, weil er gut gewirtschaftet habe. Dabei hat der Bund Mobilfunkfrequenzen für 4,5 Milliarden Euro versteigert, verkauft und entgegen dem Versprechen, den Großteil dieser Erlöse in den Breitbandausbau zu stecken, genau daraus diese Rücklage gebildet. Das ist nicht hinzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen natürlich auch, dass Menschen, die zu uns kommen, möglichst zügig in Arbeit und Ausbildung integriert werden können, und dass deren Qualifizierungen auch anerkannt werden. Wir haben deshalb gestern im Haushaltsausschuss auch höhere Zuweisungen an Landkreise und Kommunen beantragt. Das wurde bekanntlich abgelehnt.

Ganz neu im Nachtragshaushalt ist: mehr Geld für die UNHCR-Organisation, also die internationale Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen - bei Zustimmung aller Fraktionen im Haushaltsausschuss. Obwohl wir alle dem zugestimmt haben, kam es uns doch ein bisschen so vor wie ein Ablasshandel: ein zugegeben beträchtlicher Batzen Geld gegen sehr viel schlechtes Gewissen. Wir haben ja bei der ersten Lesung dieses Etats darauf hingewiesen, dass es uns darum gehen muss, auch Fluchtursachen zu bekämpfen. Es ist doch nun Fakt, dass genau in diesen Tagen, wo wir hier über diesen Etat sprechen, mit deutschen Waffen im Jemen Krieg geführt wird und damit die nächsten Flüchtlingsbewegungen in Gang gesetzt werden. Damit muss Schluss sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Claus, achten Sie bitte auf die Zeit.

Roland Claus (DIE LINKE):

Meine Damen und Herren, im Nachtragshaushalt stehen einige Vorhaben, die wir durchaus unterstützen. Aber insgesamt ist dieser Nachtragshaushalt eine Fortsetzung von Staatsversagen; und dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

(Beifall bei der LINKEN)