Zum Hauptinhalt springen

Leyenhafte Politikansätze für die Zukunft von Kindern, Familien, Frauen, Jugendlichen und Senioren

Rede von Jörn Wunderlich,

Die Familienpolitik der schwarz-gelben Regierung steht für nichts Konkretes: nur wollen, abwarten, mal sehen, prüfen oder verteilen von unten nach oben.

Für DIE LINKE aber heißt moderne und soziale Familienpolitik : das Leben mit Kindern muss für alle lebbar sein; deshalb sind die Lebensbedingungen der Eltern und Kinder zu verbessern!

Frau Präsidentin! Frau Ministerin von der Leyen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Wachstum kein Wachsen. Das ist im Grunde die Kernaussage des Koalitionsvertrages, die wir in den letzten beiden Tagen von der Kanzlerin und anderen immer wieder gehört haben. Ohne Wachstum kein Wachsen - das weiß eigentlich jedes Kind. Aber was soll wachsen? Die Zahl der verpassten Chancen, die uns Frau von der Leyen heute genannt hat? Die Zahl der Kinder, die in Armut leben? Die Zahl der Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen? Die Zahl der Frauen, die aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen? Die Zahl der Alleinerziehenden, die weiterhin zum Amt gehen müssen? Die Zahl der Frauen, die immer noch weniger verdienen als die Männer? Die Zahl der Steuervergünstigungen für Besserverdienende? All dies legt der Koalitionsvertrag nahe. Ich habe ihn hier, Schwarz auf Weiß, etwa 130 Seiten, viel Text, wenig Inhalt und wenn, dann entweder altbekannt oder gruselig und diskriminierend.

(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Der Name ist Programm!)

- Ja, so ist es. Wenn das so weitergeht, überlege ich mir noch meinen letzten Satz.

Es scheint angebracht, die großen Versprechungen unter die Lupe zu nehmen und sie zu hinterfragen. Auf einzelne Punkte möchte ich eingehen:

Zu den Alleinerziehenden. Die Ministerin hat es angesprochen - ich zitiere einmal aus dem Koalitionsvertrag -:

Wir wollen die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern. Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerkstrukturen für Alleinerziehende lückenlos, flexibel und niedrigschwellig bereitgestellt werden.

Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltung des bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrages in einen Abzug von der Steuerschuld möglich und interessengerecht ist.

Toll!

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Was sollen diese Worthülsen? Jeder Familienpolitiker weiß doch, dass die Zahl der Ein-Eltern-Familien - in der Mehrheit alleinerziehende Mütter - und ihr Anteil an allen Familienhaushalten beständig wächst. Jedes siebte Kind in den alten und jedes fünfte Kind in den neuen Bundesländern wird von einem Elternteil allein erzogen.

(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Richtig!)

„Wir wollen verbessern und prüfen …“ - ja, nennen Sie doch einmal Ihre konkreten Vorhaben!

(Iris Gleicke [SPD]: Das würden wir auch wollen!)

Zum Kinderzuschlag findet sich keine Aussage. Im Kampf gegen Kinderarmut müssen endlich konkrete Maßnahmen auf die Tagesordnung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Über zweieinhalb Millionen Kinder in Deutschland leben unterhalb der Armutsgrenze. Doch weder eine realistische Höhe des Regelsatzes noch eine existenzsichernde Grundsicherung für Kinder werden irgendwie in Betracht gezogen. Beschämend! Zu den Kinderregelsätzen im Rahmen von Hartz IV ist nichts geplant. Die Devise heißt: Abwarten!

Betreuungsgeld. Das Betreuungsgeld, das geplant ist, ist fatal und diskriminierend - konservativer geht es eigentlich nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Betreuungsgeld ist frauenfeindlich, bildungsfeindlich und wird verstärkt zum Ausstieg junger Frauen aus dem Berufsleben führen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Interessant ist auch: Warum soll das Betreuungsgeld gerade im Jahr 2013 eingeführt werden? Ich erinnere daran: Im Jahr 2013 soll es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder geben. Es ist längst klar, dass die Zahl der Plätze dem Anspruch nicht gerecht wird, dass Plätze fehlen werden.

(Iris Gleicke [SPD]: Deswegen machen die das auch so!)

Also muss man etwas machen. Die Zahl der Kitaplätze verstärkt ausbauen? Nein, weit gefehlt. Stattdessen will diese Regierung durch finanzielle Anreize die Kinder aus den Kindergärten verbannen, um so ihre verfehlte Politik zu kaschieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Iris Gleicke [SPD]: Das ist es!)

Noch eines: Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, sollen dafür Geld erhalten. Was soll das? Ja, erziehen denn Eltern, die ihre Kinder in den Kindergarten bringen, nicht? Verdienen diese Eltern etwa keine Anerkennung? Die Koalition ist offensichtlich der Ansicht, dass diese Eltern ihre Kinder im Kindergarten abgeben, sie Jahre später wieder abholen und dann sagen: Kerl, wat bist du groß geworden!

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb lehnt die Linke ein derartiges Betreuungsgeld ab. Ehegattensplitting. Mein Gott, Frau Gruß! Frau Laurischk, was hat die FDP dagegen gekämpft! Und jetzt? Umgefallen.

(Sibylle Laurischk [FDP]: Sie haben den Koalitionsvertrag nicht genau gelesen, Herr Wunderlich, tut mir leid!)

Die Alleinverdienerehe wird weiter privilegiert. Was haben wir im Ausschuss dafür gekämpft, dass das abgeschafft wird! Wie sind die Kolleginnen der FDP seinerzeit auf die Barrikaden gegangen! Was ist davon geblieben? Da kann man nur aus Konstantin Weckers Lied Was passierte in den Jahren zitieren:

… und für die, die du bekämpft hast, machst du jetzt den Buckel krumm.

Das scheint das Lied der FDP zu sein.

Qualität der Kindertagesstätten? Allgemeine Appelle an die insolventen Länder. Erst wird ihnen das Geld weggenommen, und dann heißt es: Jetzt zahlt mal! Ich habe ernsthaft die Befürchtung, dass im Zusammenhang mit dem qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung die Gefahr der Privatisierung und Kommerzialisierung droht.

(Christel Humme [SPD]: So ist es!)

Bleibt die Abkehr von der Gemeinnützigkeit im Rahmen von Bildung und Daseinsvorsorge weiter Regierungsprogramm?

Kinderarmut. Wird durch die Regierung - Frau von der Leyen, das ist wichtig - im Koalitionsvertrag völlig ausgeblendet! Nur einmal heißt es in einem Sowie-Satz beiläufig „Kinderarmut“ - und das in dem Wissen darum, dass, wie gesagt, über zweieinhalb Millionen Kinder in diesem Lande in Armut leben. Es macht mich wütend, wenn ich hier immer wieder erleben muss, dass sich die Regierungsparteien für alternativlos halten. Hören Sie wenigstens hin und wieder auf das Volk und die Opposition! Damit wäre den Kindern jedenfalls geholfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Elterngeld. Die Maßnahmen kommen mir irgendwie bekannt vor. Der Antrag klingt fast wie der Antrag der Linken aus der 16. Wahlperiode, aber auch nur fast; denn so, wie das jetzt ausgestaltet ist, droht doch wieder, dass verstärkt Frauen in Teilzeit gehen.

Zum Unterhaltsvorschussgesetz. Klasse, der Vorschlag, die Zwölf-Jahres-Grenze fallen zu lassen, stand in dem ersten Gesetzentwurf, den ich eingebracht habe; das war im Jahr 2005. Was wurde darüber gelacht! Alle haben gesagt: Guter Gesetzentwurf; aber du bist in der falschen Partei. - Abgelehnt! Jetzt wollen Sie diesen Vorschlag umsetzen. Na, besser späte Einsicht als gar keine.

Kindergeld. Warum wird die Erhöhung des Kindergeldes kritisiert? Es wird doch an alle gezahlt. Richtig! Was Sie verschweigen, ist aber folgende Tatsache: Kinder, die in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben - Frau von der Leyen, hören Sie einmal zu, dann begreifen Sie es vielleicht auch -,

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wenn Sie mit ihr sprechen wollen, dann müssen Sie sie auch anschauen!)

haben nämlich nichts davon. Bei ihnen wird die Kindergelderhöhung nämlich voll auf die Sozialleistung angerechnet. Sie sollten sich schämen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Besserverdienenden werden hier wieder finanziell bezuschusst, und Familien, die es tatsächlich bräuchten, gehen leer aus. Es ist so, wie es vorhin schon zitiert wurde: Goldene Zeiten für reiche Familien.

Kinderrechte. Miriam Gruß hat es angesprochen - ich zitiere -:

Wir setzen uns für eine Stärkung der Kinderrechte ein. Diese Rechte müssen im Bewusstsein der Erwachsenen stärker verankert werden. Wir wollen in allen Bereichen … kindgerechte Lebensverhältnisse schaffen. Wir wollen die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen.

Da kann ich nur sagen: Völker, hört die Signale! Eine über Jahrzehnte währende, lähmende Debatte lässt mich an dieser Aussage im Koalitionsvertrag zweifeln. Die Regierungsparteien wollten doch immer wieder den Eindruck erwecken, dass die deutsche Rechtslage im Asylund Aufenthaltsrecht bereits im Einklang mit der UNKinderrechtskonvention stünde. Jetzt kommt es plötzlich zu diesem Sinneswandel - und das gerade bei dieser Koalition bzw. der CDU? Da bin ich aber gespannt, wie dann die Abstimmung ausfallen wird, wenn es darum gehen wird, sich auch weiter dazu zu bekennen. Ich sage nur: Na, ihr Umfaller, das ist doch wieder etwas für euch.

Frauen- und Gleichstellungspolitik. In dem Koalitionsvertrag ist im Wesentlichen der Status quo als Ziel des künftigen Regierungshandelns festgeschrieben. Das sind verbale Bekenntnisse ohne jede konkrete Umsetzung. Stattdessen gibt es viele Prüfaufträge und zu erstellende Gutachten. Es wird weiter auf Freiwilligkeit in der Wirtschaft gesetzt und ein nebulöser Rahmenplan zur gleichberechtigten Teilhabe versprochen. Super!

Der Koalitionsvertrag entspricht in seiner Grundsubstanz in keinster Weise den Auflagen, den der CEDAWAusschuss, also der Fachausschuss der Vereinten Nationen zur Gleichstellung von Männern und Frauen, gegenüber der Bundesregierung 2009 ausgesprochen hat. Der Ausschuss hat die Regierung nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gleichstellung die Verpflichtung des Vertragsstaates ist. Gleichzeitig wurden konkrete - ich wiederhole: konkrete - Ziele wie Quoten und Fristen gefordert. Nichts davon wurde umgesetzt; es gab nur Lippenbekenntnisse. Frau von der Leyen, da sagen Sie, verpasste Chancen könnten wir uns nicht leisten. Hohn und Spott!

Seniorenpolitik. Zum Schluss noch einige Sätze dazu. Die Koalition will eine erfolgreiche Generationenpolitik voranbringen. Na, da bin ich aber gespannt. Die jetzigen Regierungsparteien hatten vor einem halben Jahr auf dem 9. Seniorentag in Leipzig jedenfalls nichts Konkretes dazu vorzuweisen. Dann aber mal los! Als Bildungslektüre kann ich nur die seniorenpolitischen Leitlinien der Linken empfehlen.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Koalitionsvertrag steht nichts Konkretes: nur wollen, abwarten, mal sehen, prüfen oder verteilen von unten nach oben. Wenn das die Familienpolitik dieser schwarz-gelben Regierung in den nächsten Jahren sein soll, dann kann ich nur fragen: Das soll eine Biene- Maja-Koalition sein? Maja war immer eine fleißige und intelligente Biene. Deshalb kann diese Koalition nicht Biene Maja heißen, sondern bestenfalls Drohne Willi: unbedarft, bemitleidenswert, teilweise sympathisch, aber immer dringend hilfebedürftig.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.