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Legislativprogramm Europäische Kommission

Rede von Alexander Ulrich,

Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Jahre lang bestand in diesem Haus Konsens darüber, dass Europa Frieden und Wohlstand schafft. Frei nach dem Motto „Wünsch dir was“ hat jede Seite dieses Hauses ihre eigenen Erwartungen an Europa formuliert. Die eine Seite des Parlaments wollte, dass Deutschland durch Europa stärker wird und die Märkte der europäischen Nachbarn sichert. Die andere Seite verstand Europa als Achse des Friedens und als eine politische Antwort auf die internationalen Märkte.
Es war die Bundesregierung, die den Sozialstaat in der europäischen Verfassung bzw. im Vertrag von Lissabon faktisch bekämpfte.
(Markus Löning (FDP): Von wegen! Schön wäre es gewesen!)
„Sozialstaat“ wurde durch „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ ersetzt. Mir hat noch niemand erklären können, was er unter Wettbewerbsfähigkeit versteht.
(Zuruf von der CDU/CSU: Doch, bestimmt! Sie haben es nur nicht verstanden!)
Soll das etwa eine Situation wie in Deutschland sein: hohe Arbeitslosigkeit bei großen Exportüberschüssen? Die europäische Verfassung und der Vertrag von Lissabon müssen nicht das Programm meiner Partei sein. Trotz alledem sagen wir: Diese Verträge müssen für den zukünftigen Willen der Europäer offen sein.
(Beifall bei der LINKEN - Markus Löning (FDP): Wir reden doch gerade über etwas ganz anderes! Da hat Ihnen wohl jemand das falsche Manuskript gegeben!)
Sie dürfen nicht die Ewigkeitsprinzipien des Grundgesetzes missachten.
Kollege Roth, Sie haben ein sehr positives Bild von der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands und davon, wie sich Europa weiterentwickelt hat, gezeichnet. Manchmal wäre es, wie ich glaube, notwendig, auch in diesem Hause ein bisschen realistischer zu sein, wenn man über Europa nachdenkt.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Dann fangen Sie doch mal an!)
Wenn sogar ein Linker sagt, der Realismus von Sarkozy würde uns guttun, weil er ein zutreffenderes Bild von Europa zeichnet, hat das schon etwas zu sagen. Gestern hat Sarkozy die Probleme Europas im Europäischen Parlament meines Erachtens gut dargestellt.
(Beifall bei der LINKEN - Markus Löning (FDP): Wollen Sie also auch den Eisenbahnern die Rente kürzen, oder was?)
Im Ausschuss haben wir in der letzten Woche eine Debatte über das Arbeitsprogramm geführt. Dort erzählte uns die Bundesregierung durch Sie, Herr Gloser, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sei der Motor des sozialen Europas gewesen. An den Taten sollte man auch die Bundesregierung und die EU-Kommission messen.
Im Februar dieses Jahres unterzeichneten die Arbeitsminister von neun Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Luxemburg, die Erklärung von Paris. Darin wurden soziale Mindeststandards für Europa gefordert. Der Mann, der vorgestern erklärte, als Vizekanzler zurückzutreten, hat diese Erklärung nicht unterschrieben. Er verweigerte seine Unterschrift. Ich weiß nicht, ob sein Rücktritt, dessen Begründung ich respektiere, an der Ansicht der Bundesregierung etwas ändert. Doch sehr ernst scheinen es Bundesregierung und EU-Kommission nicht zu meinen, wenn es um die soziale Gestaltung der Globalisierung geht, und dies trotz der massiven Zunahme der Armut in Europa. Die Zunahme der Armut unter Kindern und älteren Menschen in der EU ist ein Skandal. Mit dieser Art von Politik schaden Sie der europäischen Idee.
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Bellmann hat schon angesprochen, dass EU-Kommissar Spidla das Grünbuch „Arbeitsrecht“ scheinbar beerdigt hat; es bleibt abzuwarten, ob das für die Arbeitnehmer eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Dennoch setzt die EU-Kommission weiter auf „Flexicurity“. Sie behauptet nach wie vor, dass durch einen geringen Arbeitnehmerschutz die Arbeitslosigkeit verringert wird. Die OECD hat diese Aussage widerlegt und gezeigt, dass Wachstum und Beschäftigung viel mehr mit öffentlichen Investitionen und mit einer vernünftigen Geldpolitik zu tun haben. Ich hoffe, dass die im internationalen Vergleich immer noch viel zu hohe Zahl von 17 Millionen Arbeitslosen in Europa in der Debatte über den Stabilitätspakt und über die Koordination der Europäischen Zentralbank etwas bewirkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn es um „Flexicurity“ geht, wird gerne auf den geringen Kündigungsschutz in Dänemark verwiesen.
(Markus Löning (FDP): Es wird vor allen Dingen auf die niedrige Arbeitslosigkeit in Dänemark verwiesen!)
Dabei wird die hohe Unterstützung, die Arbeitslose in Dänemark bekommen, allerdings gerne unterschlagen, Herr Löning. In Dänemark gab es außerdem Druck auf Arbeitslose, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen.
(Markus Löning (FDP): Immerhin Jobs! Die haben Jobs!)
Nun einmal zum Vergleich: In Deutschland ist etwa jeder sechste Arbeitsplatz ein Niedriglohnjob, in Dänemark nur jeder elfte. Die Anzahl der sogenannten 0 Euro-Jobs in Dänemark, auf die sich deutsche Politiker so gerne berufen,
(Michael Roth (Heringen) (SPD): Was sind 0 Euro-Jobs?)
umfasste in der Spitze gerade einmal 267 Fälle. Davon blieben 2005 ganze 8 Fälle übrig.
(Markus Löning (FDP): Richtig! Wir sind sehr für das dänische Modell!)
Rüttelt es die Bundesregierung eigentlich nicht auf, dass ein tschechischer EU-Kommissar für das Wohl der Arbeitnehmer in Deutschland eintritt, zum Beispiel bei der Bekämpfung der Leiharbeit?
Das Gleiche gilt für die Energie- und Klimapolitik. Hier gibt es Licht und Schatten. Die Atomenergie beschert uns zahlreiche internationale Konflikte; das kann man jeden Tag nachlesen. Die deutsche Atomforschung verhindert das von Minister Gabriel hochgepriesene ökologische Wirtschaftswunder. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten sich daher von dieser gefährlichen Technologie endlich verabschieden und nicht, wie wieder vorgesehen, sie weiter fördern.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Das Manuskript ist ja 20 Jahre alt!)
Die Europäische Kommission und andere haben gefordert, die europäischen Stromgiganten zu zerschlagen. Private Monopole setzen die Preise zu hoch, und sie verhindern den politischen Einfluss auf die Energiewende. Der Vorschlag der Kommission ist ein wichtiger Schritt, reicht aber bei weitem nicht aus. Netzindustrien werden immer zu Monopolen führen. Selbst wenn, wie vorgeschlagen, Kraftwerkskapazitäten der Konkurrenz überlassen werden müssten, verhinderte das keine Preisabsprachen oder dass, wie es Enron in Kalifornien gemacht hat, Kraftwerkskapazitäten künstlich verknappt werden. Wir brauchen daher eine öffentliche Kontrolle der Netze.
Doch selbst die zaghaften Vorschläge der Kommission lehnt die Bundesregierung ab. Die Bundesregierung kämpft gegen die Kommission und damit für europäische Monopolisten; sie verhindert Mindestlöhne, die vor der Marktmacht der Arbeitgeber schützen; sie kämpft sogar, wie im Falle der Post, gegen Arbeitgeber, die Mindestlöhne wünschen; sie behindert europäische Sozialstandards gegen den Willen wichtiger EU-Partner. Nennen Sie das soziale Marktwirtschaft? Lassen Sie mich hinzufügen: Die Bundesregierung hat die Postliberalisierung gegen den Willen vieler EU-Partner durchgesetzt. Die SPD ist beim Postmindestlohn gescheitert. Deshalb sollte die SPD dem Ende des Postmonopols nicht zustimmen; das wäre konsequent.
(Markus Löning (FDP): Die Post zahlt doch Mindestlöhne! Was wollen Sie denn?)
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen: 500 Menschen sind allein in diesem Jahr bei dem Versuch ertrunken, die sogenannte Festung Europa und FRONTEX zu überwinden. Die Vereinten Nationen vermuten, dass die Dunkelziffer weit höher liegt. Meine Damen und Herren, Sie diskutieren über eine Bluecard, Sie diskutieren über eine Partnerschaft mit Afrika, weil Afrika Energiequellen besitzt; aber Sie lassen Menschen, die ihre Familien und ihre Herkunft aufgeben, ersaufen wie Tiere. Bevor Sie nicht Boote schicken, um die Menschen wenigstens vor dem Sterben zu retten, sollte man das „christliche Menschenbild Europas“ nie wieder in den Mund nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Entscheiden Sie sich, auf welcher Seite Sie stehen! Die Linke steht auf der Seite der Menschen in Europa, der Arbeitnehmer und der Schwachen. Die Linke will ein starkes, ein gerechtes Europa. Welches Europa wollen Sie? Das Arbeitsprogramm der Kommission und die Politik der Bundesregierung geben hierauf eine Antwort, die nichts Gutes für nächstes Jahr erahnen lässt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

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