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Landgrabbing: Kolonialismus im neuen Gewand!

Rede von Niema Movassat,

Herr Präsident, Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Auswirkungen von Landgrabbing oder zu Deutsch "Landnahme" in den Ländern des globalen Südens sind gravierend: Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Fischer und Nomaden werden durch die Landkäufe ausländischer Unternehmen und Staaten teilweise gewaltsam von ihrem Land vertrieben. Ihre Landrechte sind oft ungesichert und ihr politisches Gewicht ist verglichen mit den Investoren gering.

Angesichts der über 900 Millionen hungernden Menschen weltweit ist das Landgrabbing eines der derzeit drängendsten Probleme der Entwicklungsländer. Alleine in Afrika wurden laut dem International Food Policy Research Institut bereits 20 Millionen Hektar Land entweder verkauft oder für einen Zeitraum von 30 bis 100 Jahren verpachtet.

Die ausländischen Käufer nutzen die erworbenen Flächen, um Pflanzen für Biokraftstoffe anzubauen, es als Offshore-Farmland für die die Lebensmittelversorgung ihrer Heimatländer sicherzustellen oder schlicht um damit zu spekulieren. Statt die Ernährungssituation im Erzeugerland zu verbessern wird in großflächigen Monokulturen für den Export produziert.

Die fatalen Konsequenzen für die lokale Bevölkerung sind Armut, Elend und Hunger. Davon konnte ich mir bei einem Besuch in Madagaskar Anfang November selbst ein Bild machen. In Madagaskar trat 2008 ein Gesetz in Kraft, welches es ausländischen Investoren erstmals erlaubt, auch riesige Landflächen für bis zu 99 Jahre zu pachten.

Obwohl der Inselstaat heute schon umfangreich Nahrungsmittel importieren muss, hat sich die südkoreanische Firma Daewoo die Rechte an 1,3 Millionen Hektar Land gesichert. Dies entspricht rund der Hälfte der fruchtbaren Agrarfläche Madagaskars. Die allgemeine Entwicklung zeigt die Absurdität dieses Falles: die Ausgaben der afrikanischen Länder für Getreideimporte sind insgesamt seit 2008 um ganze 130 Prozent gestiegen.

Daewoo will in Madagaskar ausschließlich für den südkoreanischen Markt produzieren, obwohl es vor Ort massive Unterernährung gibt. Sollte dieser Deal tatsächlich in die Tat umgesetzt werden - derzeit liegt er auf Eis - werden noch mehr Menschen dort hungern müssen. Das ist Kolonialismus im neuen Gewand, mittels Kauf- und Pachtverträgen und wie immer auf Kosten der Armen!
Die Liberalisierung der Landmärkte und die Abschaffung von Restriktionen für ausländische Investoren sind wichtige Grundlagen vieler ähnlicher Landgrabbing-Deals.

Die internationale Entwicklungszusammenarbeit hat nicht zuletzt selbst die Weichen für diese katastrophalen Entwicklungen gestellt. Auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fördert durch ihre einseitige Ausrichtung der Landpolitik auf technische und administrative Themen die beschriebenen Tendenzen.

Ein Beispiel dafür ist das Engagement der deutschen Durchführungsorganisation GTZ in Kambodscha. Dort unterstützt die GTZ zwar die Vergabe von Landtiteln. Besteht aber Interesse an einem bestimmten Gebiet seitens zahlungskräftiger Investoren oder lokaler Eliten, werden häufig gar keine Landtitel vergeben. Weder GTZ noch BMZ widersprechen dieser Praxis, obwohl die lokale Bevölkerung genau in diesen Fällen besonders von Vertreibungen bedroht ist.

Bereits 1968 hat sich Deutschland durch die Unterzeichnung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte dazu verpflichtet, das Menschenrecht auf Nahrung durch nationale und internationale Zusammenarbeit durchzusetzen. Dies bedeutet besonders, vorhandenen Zugang zu Land und Wasser zu schützen, aktiv zur Verbesserung des Zugangs zu Land für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und Landlose beizutragen und traditionelle Landnutzungen zu respektieren.

Das aktuelle Landgrabbing und die ihm zugrunde liegende Landpolitik aber verschärft die Konflikte um Land und führt zu einer weiteren Konzentration von Land in den Händen einiger weniger.
Die G8 haben sich beim Gipfel in Hokkaido 2008 für internationale Verhaltensregeln zusammen mit der Weltbank stark gemacht.

Doch freiwillige Verhaltenskodizes stellen keine Lösung dar. Zum einen haben sie in der Vergangenheit in den seltensten Fällen Menschenrechtsverletzungen verhindert, zum anderen stellen sie die Entwicklung nicht grundsätzlich in Frage. Der Erstellung freiwilliger Verhaltenskodizes steht die Aufstockung der Gelder für das Agrobusiness von drei auf vier Milliarden US-Dollar durch die Weltbank gegenüber. Ein grundlegendes Umsteuern in Richtung einer nachhaltigen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die von Hunger betroffene Gruppen ins Zentrum stellt, ist damit in weite Ferne gerückt.

Damit Deutschland seiner Verantwortung für die Erreichung des Ziels der Ernährungssouveränität zukünftig gerecht wird, fordert die Fraktion DIE LINKE in ihrem Antrag ein Verbot von großflächiger Landnahme und Spekulationen mit Land oder Agrarproduktion in den Ländern des Südens.

Denn auch deutsche Unternehmen wie die Deutsche Bank mischen munter mit beim Landgrabbing. Angesichts der Finanzkrise suchen sie nach neuen Finanzprodukten und haben erkannt, dass neben Erdöl auch Agrarland und Wasser knappe Ressourcen sind. Investitionen in die Landwirtschaft gewinnen für sie zunehmend an Lukrativität. Nach dem „peak oil“, dem Gipfel der Ausbeutung von Öl, droht inzwischen auch der „peak soil“, die grenzenlose Ausbeutung des Bodens.

Daher gilt: Nur wenn wir Auslandsdirektinvestitionen internationaler und deutscher Unternehmen und Finanzinstitutionen in großflächigen Landkauf oder Landpacht unterbinden, hat das Menschenrecht auf Nahrung zukünftig Vorrang vor den Interessen von Investoren.

Angesichts fast einer Milliarde Hungernder steht es für uns außer Frage, dass das Ziel der Ernährungssouveränität über den wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen stehen muss. Landpolitik muss sich primär an den Bedürfnissen der marginalisierten ländlichen Gruppen ausrichten. Großflächige Landnahmen konterkarieren dies und gefährden somit direkt Menschenleben!