Zum Hauptinhalt springen

Länder nicht an den Katzentisch!

Rede von Bodo Ramelow,

Bodo Ramelow, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE., während der Föderalismus-Debatte des Bundestages

Werte Kolleginnen und Kollegen!

Nachdem vom Abt Öttinger die Rede war und Laotse zitiert worden ist, möchte ich mit Konfuzius anfangen:
Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.

Ich denke, in der Föderalismusreform II gibt es viel Dunkelheit zu beklagen. Es reicht mir nicht, Kollegin Tillmann, wenn wir nur auf unsere Fußspitzen schauen. Man sollte schon wissen, in welche Richtung der Straßenfeger die Straße auskehrt. Wenn man das Ziel nicht vor Augen hat, dann kann man seine Hausaufgaben nicht machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Struck, Sie haben die Frage aufgeworfen, warum wir den Einsetzungsantrag, den wir zwar für verbesserungswürdig, aber von der Richtung her für richtig halten, nicht mitgetragen haben. Ich will Ihnen diese Frage beantworten.

Am 31. März 2003 fand in der Hansestadt Lübeck der Lübecker Konvent statt. Alle Landesparlamente waren durch ihre Fraktionsvorsitzenden vertreten und auch der Bundespräsident hat teilgenommen. Ich darf auf das Protokoll hinweisen. Darin ist festgehalten worden, dass der Föderalismuskonvent der Auftakt der Initiativen ist, dass auch die Landesparlamente an der Föderalismusreform mitarbeiten müssen. Man kann diese Reform nicht ohne sie und auch nicht gegen sie durchführen, Kollegin Tillmann.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben zu Recht auf die Neuordnung der Länder hingewiesen, die im Grundgesetz als geschützter Bereich geregelt ist.

In dem Protokoll heißt es aber auch - ich zitiere; es lohnt sich, das nachzulesen -:
Es zeigt sich darin auch der einheitliche Wille, über den jetzt festgelegten Maßstab der „Lübecker Erklärung“ hinaus einen weitergehenden Prozess zu eröffnen, der sich in mindestens einem Folgekonvent niederschlagen wird.

Ich sage: niederschlagen muss; denn wenn wir nicht in einen zweiten Konvent mit den Landtagen eintreten werden, dann wird es zu einer Verhandlungsrunde ohne die Landesparlamente kommen. Darauf bezieht sich unsere kritische Sichtweise. Deswegen haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt.

(Volker Kröning (SPD): Lesen Sie doch den Antrag!)

- Ich habe ihn gelesen, Herr Kollege. Sie haben aber offenkundig die Lübecker Erklärung nicht gelesen.
Es wundert mich sehr, dass der Deutsche Bundestag jetzt eine Kommission einsetzt, die all diese Themen behandelt, in der die Ministerpräsidenten der Bundesländer vertreten sein werden, die damals noch als Fraktionsvorsitzende die Lübecker Erklärung mit unterschrieben haben. Vier Namen sind darin zu finden, die damals diese Erklärung mit unterschrieben haben und sich jetzt auf die Bundesratsseite stellen. Ich habe die Befürchtung, dass man im Zweifelsfall eine abgeschottete Finanzverhandlungsrunde durchführt, an der die Landesparlamente nicht beteiligt sind. Das halte ich für ein strukturelles und inhaltliches Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Struck, ich gebe Ihnen ausdrücklich Recht: Es darf keine parteipolitische Kungelrunde werden. Es darf nicht dazu führen, dass sich die Ayatollahs mancher Bundesländer als Gegenregierung zur großen Koalition präsentieren. Ich meine zum Beispiel Ihren Herrn Koch, den ultraorthodoxen Konservativen, der seine machtpolitischen Spielchen auf Landesebene spielt, wenn es gegen die große Koalition geht. Wenn ich mir den Vertreter des Freistaates Bayern anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass wir eine Gegenregierung in diesem Land haben und dass die einzige Opposition nicht die drei kleinen Fraktionen im Bundestag, sondern die CDU/CSU-Ministerpräsidenten sind.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf der Abg. Daniela Raab (CDU/CSU))

- Es scheint Sie tief zu treffen, dass diese Kakophonie von Ihren Repräsentanten zu vertreten ist. Das ist aber noch immer besser als der gestrige Ausdruck „Brüsseldorf“.

Die Finanzbeziehungen der Länder müssen im Verhältnis zum Bund neu geordnet werden. Deswegen begrüßen wir die Einsetzung der Kommission. Wir werden in der Kommission mitarbeiten. Wir werden Ihnen aber Gelegenheit geben, darüber abzustimmen, ob die Landesparlamente in eigener Verantwortung bestimmen können, dass sie zumindest antrags- und redeberechtigt sind. Das ist ein qualitativer Unterschied. Es dürfen nicht nur vier Vertreter der Landesparlamente am Katzentisch sitzen. Vielmehr sollen sie antragsberechtigt sein. - Frau Tillmann, regen Sie sich doch nicht auf! Ich habe Ihren Humor doch auch ertragen. Nun ertragen Sie, dass ich, der ich einmal Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag war, einfordere, das umzusetzen, was wir im Lübecker Konvent fraktionsübergreifend beschlossen haben. Sie können im Bundestag nicht sagen: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Diese Halbherzigkeit können wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht nicht nur um die Beziehungen der Länder untereinander, sondern auch um den Wettbewerbsföderalismus. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab. Das unterscheidet uns in der Tat von der FDP.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen nicht, dass sich die Länder, die eine prosperierende Entwicklung haben, mit allen ihren Möglichkeiten besser aufstellen und dass anschließend - Stichwort „gemeinsame Bildungslandschaft in Deutschland“ - die einen im Armenhaus und die anderen auf der Sonnenseite der Bundesrepublik Deutschland leben. Ich empfehle einen Blick auf die vorgestrige Satire in Belgien. Hier hat ein Fernsehprogramm das Verhältnis zwischen Flamen und Wallonen in Form einer bissigen Satire dargestellt. Das Schlimme war, dass die Menschen in Belgien geglaubt haben, dass Belgien auseinander fällt. Wenn die wirtschaftlich stärkeren Länder in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Rücken der wirtschaftlich schwächeren Länder Geschäfte machen, dann haben wir mit Zitronen gehandelt. Wir halten an dem Prinzip der Ausgleichsverpflichtung fest. Alle Menschen in Deutschland müssen gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen haben und Chancengerechtigkeit erleben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gemeinschaftsaufgabe Ost ist zwar bis 2010 gesichert. Aber nach 2010 - nun verstehe ich langsam, was die Agenda 2010 von Herrn Schröder bedeutet - werden die Mittel degressiv abgeschmolzen. Wir brauchen daher einen Sonderweg, wenn es um die Schulden der neuen Bundesländer geht. Wenn wir die zu bewirtschaftenden Schuldenberge nicht berücksichtigen, werden wir einen Wettbewerbsföderalismus Ost-West haben. Dann haben wir einen bitteren Weg vor uns.
Reden Sie also bitte auch über die Einnahmeseite und nicht nur über die Verteilung! Wenn die Abgaben- und Steuerquote in Deutschland nur den OECD-Durchschnitt erreichte, hätten wir 130 Milliarden Euro mehr in der Kasse und wir könnten uns starke, prosperierende Bundesländer erlauben. Dann könnten wir über einen neuen, innovativen Haushaltsansatz nachdenken, bei dem die Mittel für die Bildung als Investition und nicht als konsumtive Ausgaben gewertet werden. Lassen Sie uns in diesem Sinne an die Arbeit in der Föderalismusreformkommission herangehen. Nicht, dass der Bundespräsident hinterher wieder alles aus dem Verkehr zieht. Das hielte ich für eine Katastrophe.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)