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KSE-Krise als Abrüstungschance:Neue Ansätze erforderlich

Rede von Paul Schäfer,

Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Spätestens jetzt wissen wir: Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa befinden sich in der Krise. Die einseitige Aussetzung des KSE-Vertrages durch Russland ist nicht positiv zu bewerten. Es ist eine bedauerliche Reaktion, die auch aus veraltetem militärischem Gleichgewichtsdenken gespeist ist; aber es ist eine nachvollziehbare Reaktion.
Wenn jetzt die NATO diesen Schritt beklagt und verurteilt, dann gehört dazu eine gehörige Portion Chuzpe und Scheinheiligkeit; (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)) denn die NATO-Mitgliedstaaten haben sich bis heute geweigert, den KSE-Vertrag zu ratifizieren. Dies hat unter anderem die Konsequenz, dass die neuen NATO-Mitgliedstaaten im Baltikum keinerlei Beschränkungen unterworfen sind. Russland hat ratifiziert.
Sie verweisen auf die Istanbul-Verpflichtung Russlands. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was die damalige Bundesregierung im Jahresabrüstungsbericht 2002 geschrieben hat. Ich zitiere:
Einige Staaten beharren aber auf der Erfüllung auch dieser nicht KSE-relevanten Verpflichtungen aus der Schlussakte von Istanbul durch Russland. Damit würde die Ratifikation des Anpassungsübereinkommens von der Lösung eher untergeordneter Fragen abhängig gemacht, und es bestünde die Gefahr, dass das Inkrafttreten des für die Sicherheit und Stabilität des gesamten europäischen Kontinents so elementaren Rüstungskontrollabkommens auf die lange Bank geschoben oder gar unmöglich wird.
Das hat die damalige Bundesregierung gesagt.
(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war sehr richtig!)
Das war eine sehr saubere und gute Begründung dafür, dass es dieses Junktim nicht geben darf. Nur, gemacht hat man nichts, sondern im NATO-Schlepptau hat man die Sache eben auf die lange Bank geschoben.
Aber es geht nicht nur um die Nichtratifizierung des angepassten KSE-Vertrags. Wir reden hier über eine ganz Palette von Maßnahmen, die Russland herausgefordert haben und die zugleich das Gegenteil von Vertrauensbildung sind. Wir reden über die geplante Stationierung von US-Raketenabwehrsystemen in Tschechien und Polen, wir reden über die bisherigen NATO-Erweiterungsrunden und die geplanten neuen Erweiterungsrunden mit Georgien sowie der Ukraine, und wir reden über die geplante Einrichtung von US-Stützpunkten in Bulgarien und Rumänien. Das ist genau der Grund dafür, dass wir sagen: Jetzt gilt es, innezuhalten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Jetzt muss verhindert werden, dass wir sozusagen in einen neuen Aufrüstungskreislauf und in eine Spirale wechselseitiger Drohpolitiken kommen. Das heißt, Deutschland muss alles tun, was notwendig ist, um sich an den bestehenden KSE-Vertrag zu halten. Die Regierung muss dem Bundestag den angepassten KSE-Vertrag zuleiten und gegenüber den USA darauf hinwirken, dass die US-Pläne für ein Raketenabwehrsystem zumindest auf Eis gelegt werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Der KSE-Vertrag schafft in der Tat weltweit einmalige Transparenz, und er sichert eine ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen. Deshalb ist es wichtig, dass der Schalter wieder umgelegt wird. Aber der Vertrag sollte auch nicht mystifiziert werden. Die seinerzeit vereinbarten Waffenobergrenzen sind längst obsolet geworden. Die damalige Flankenregelung greift nicht mehr. Daher brauchen wir jetzt dringend ein Startsignal für neue Verhandlungen über konventionelle Abrüstung im OSZE-Rahmen. Das heißt, wir müssen weit darüber hinausgehen. Das ist jetzt die Aufgabe. Ohne die Einleitung neuer Abrüstungsschritte wird der KSE-Vertrag nach meiner Überzeugung rasant an Bedeutung verlieren. Die jetzige Krise muss als Chance genutzt werden, um die Debatte darüber einzuleiten, wie man die immer noch völlig überdimensionierten Streitkräfte in Europa jetzt reduzieren kann.
Im ersten Schritt sollte es zum Beispiel darum gehen, den Iststand als Höchstgrenze festzulegen. Zum Zweiten könnte man über eine Reduzierung der Waffenarsenale im OSZE-Rahmen um ein Drittel reden. Das würde immer noch bedeuten, dass in diesem Raum über 66 000 schwere Waffensysteme und weit über 2 Millionen Soldaten stationiert sind. Ich könnte Ihnen jetzt im Einzelnen vorrechnen, was das für die Waffenkategorien bedeutet. Wenn wir die Waffenarsenale nur um ein Drittel reduzierten, dann reichten die restlichen Waffenarsenale allemal, um allen Sicherheitsbelangen gerecht zu werden. Drittens brauchen wir einen neuen, tragfähigen Ansatz in der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik, der die qualitative Dimension berücksichtigt. Das heißt, bei neuen Rüstungstechnologien und -entwicklungen müsste über Moratorien gesprochen werden.
Zum Schluss. Wir reden in diesen Tagen viel von Frieden auf Erden. Nach meiner Überzeugung können wir das nur erreichen, wenn wir uns dafür einsetzen, dass es weniger Waffen und weniger Soldaten in Europa geben wird. In diesem Sinne darf ich uns allen ein frohes Fest und einen guten Start ins Jahr 2008 wünschen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))