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Klaus Ernst: Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ausweiten

Rede von Klaus Ernst,

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst auch von mir Glückwunsch an Martin Schulz.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer ist das? – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ach, jetzt geht es los! – Beifall bei der SPD)

Er hat es geschafft, der SPD wieder Leben einzuhauchen. Grandios!

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wir haben vorher schon gelebt!)

– Na ja, nicht mehr so ganz. – Mich freut übrigens auch das Wahlergebnis von 100 Prozent für Martin Schulz.

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sozialistisch!)

Damit hat er mit mir etwas gemeinsam: Ich habe auch 100 Prozent bekommen, allerdings nur im Wahlkreis Schweinfurt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Schlimm genug!)

In der Süddeutschen Zeitung habe ich gelesen – Zitat –: „Kauder: Schulz denkt nur an Wahlkampf“. Ich bin erschrocken. Habt ihr schon aufgegeben? Macht ihr keinen Wahlkampf mehr?

(Heiterkeit bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wir regieren noch ein bisschen, Herr Ernst!)

Habt ihr keine Lust mehr? Habt ihr schon resigniert, weil die Werte der SPD nach oben gehen und eure nach unten? Was macht denn euer Kauder? Macht er keinen Wahlkampf mehr? Züchtet er nur noch Karnickel, oder was macht er?

(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Er ist Lobbyist von der Waffenindustrie!)

Macht euch doch nicht lächerlich mit solchen Sprüchen! Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das darf doch wirklich nicht wahr sein, der Schulz macht Wahlkampf. Irre!

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt Pressesprecher der SPD werden?)

Schulz hat gesagt – das ist der Grund, warum es diesen Hype gibt; damit sind wir beim Thema –:

"Menschen müssen mit Respekt und Anstand behandelt werden, wenn sie ihren Job verlieren. Menschen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten und ihre Beiträge zahlen, haben ein Recht auf entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie – oft unverschuldet – ins Straucheln geraten."

So weit das Zitat. Genau darum geht es in unserem Antrag.

Ein 49-Jähriger, der sein ganzes Leben gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, hat zurzeit nur 12 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld I, ein 55-Jähriger nur 18 Monate. Dann ist er oder die betroffene Person oder wie auch immer auf Hartz IV. Das kriegt er aber auch nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn er das, was er sich in seinem Leben sauer angespart hat, auch noch vorher ausgibt.

Das ist die Realität. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, und deshalb hat Schulz vollkommen recht, wenn er das anprangert, und ihr seid ein bisschen hinter dem Mond, wenn ihr nicht merkt, dass das ein Problem ist. Das ist der Zustand, den wir haben.

(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist glatte Anbiederung!)

Nach unserem Antrag, meine Damen und Herren, hätte ein Beschäftigter, der im Alter von 25 Jahren zu arbeiten beginnt, nie arbeitslos ist und immer in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, bei einer Arbeitslosigkeit im Alter von 55 Jahren wenigstens einen Anspruch von drei Jahren und vier Monaten.

Abhängig Beschäftigte zahlen in die Arbeitslosenversicherung ein, um bei Jobverlust finanziell abgesichert zu sein. Je größer die Angst vor Arbeitslosigkeit ist – ich denke, das hat sich als Standpunkt wieder durchgesetzt –, umso leichter ist es, Belegschaften zu disziplinieren und die Löhne zu drücken. Wenn man das Ziel verfolgt, die Löhne zu drücken, muss man das Arbeitslosengeld I schleifen. Genau das hat Schröder getan; Sie wissen das noch. Deshalb wurde die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung mit den Reformen der Agenda 2010 massiv eingeschränkt. Vor Schröder, also in der Kanzlerschaft von Kohl, wurde Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate gezahlt. Sie wissen das vielleicht nicht mehr; es war so.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Doch, ich weiß es! Ich habe es gelesen!)

Heute sind nur noch 31 Prozent der Erwerbslosen im Arbeitslosengeld I; der Rest ist schon ins Arbeitslosengeld II abgedrängt. Durch die realistische Gefahr, durch Jobverlust bald in Hartz IV zu landen, wurde der Zwang erzeugt, einen neuen Job anzunehmen, selbst wenn dieser schlechter bezahlt ist als der vorherige und weit unter der bisherigen Qualifikation ist. Schröder hat übrigens die Lohndrückerei auch noch gelobt. Er rühmte sich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2005 – Zitat –, „einen der besten Niedriglohnsektoren in Europa geschaffen zu haben“.

In der Tat haben wir heute in Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa. Was hat Schulz dazu gesagt? Das freut mich jetzt wieder. Er hat dazu gesagt – Zitat –:

"Auch wir haben Fehler gemacht. Fehler zu machen, ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist, wenn Fehler erkannt werden, dann müssen sie korrigiert werden."

(Beifall bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Guter Mann!)

Recht hat er. – Heute haben Sie mit unserem Antrag die Möglichkeit, es gleich schon einmal zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: So gut ist er nun auch wieder nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie allerdings korrigieren, dann bitte schön auch richtig.

Das ist jetzt schon zum Nachdenken, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch die Kriterien, wann ein Arbeitsloser im Arbeitslosengeld I einen Job ablehnen darf, ohne dass ihm eine Kürzung oder Sperrung seines Arbeitslosengeldes droht, wurden im Zuge der Agenda deutlich verschlechtert. Schon in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit muss jeder einen Job annehmen, auch wenn er bis zu 20 Prozent schlechter bezahlt wird, nach weiteren drei Monaten, auch wenn er zu 30 Prozent schlechter bezahlt wird. Ohne das Recht, einen Job unter der eigenen Qualifikation ablehnen zu dürfen, bleiben Förderung, Weiterbildung und Qualifikation Etikettenschwindel. Dann müssen wir das schon richtig machen.

Das, was wir gegenwärtig haben, ist eine verordnete Rutschbahn der Löhne nach unten. Das müssen wir ändern. Es geht bei unserem Antrag tatsächlich um das, was Martin Schulz gesagt hat. Ich zitiere ihn noch einmal:

"Menschen müssen mit Respekt und Anstand behandelt werden, wenn sie ihren Job verlieren."

Das gilt im Übrigen ganz besonders – das sage ich auch an die Adresse der Grünen – für Menschen, die älter sind. Sie brauchen mehr Zeit für die Jobsuche. Sie sollen bis 67 arbeiten, aber werden kaum noch eingestellt, wenn sie älter als 50 sind. Frau Hasselfeldt – ich habe sie nicht gesehen –, auch ältere Menschen wollen arbeiten und nicht, wie Sie behaupten, in Frührente gehen.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)

Das ist Unfug. Deshalb sage ich Ihnen: Sie wollen auch schon deshalb nicht in Frührente gehen, weil sie mit den gekürzten Renten, für die auch die Grünen Verantwortung haben, kaum noch über die Runden kommen. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen Ihres Koalitionsvertrages unserem Antrag schon nicht zustimmen, was ich mir vorstellen könnte,

(Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Das könnte so passieren!)

dann geben Sie wenigstens zu, dass wir recht haben; dann regeln wir das in der nächsten Koalition.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Optimist!)

Ich danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN)